«Ein Krieg der Uhren-Riesen»
Ein Entscheid der Wettbewerbskommission über die Lieferung von Uhrwerken hat den Zwist unter Schweizer Herstellern vergrössert. Das Monopol des Weltmarktführers Swatch sei entscheidend im Kampf um die Vorherrschaft in der Branche, sagt Pierre-Yves Donzé.
Auch nach zehn Jahren ist ein Ende des Streits noch nicht in Sicht. Die Schweizer Hersteller seien noch nicht in der Lage, bei der Produktion mechanischer Uhren ohne bestimmte Teile auszukommen, die praktisch exklusiv von der Swatch Group stammten, schrieb die Weko vor einigen Wochen.
Die Wettbewerbshüter des Bundes wiesen damit ein Abkommen zurück, welches das hauseigene Sekretariat der Weko im Frühling mit dem Branchenprimus abgeschlossen hatte. Dieses sah die schrittweise Reduktion der Teile-Lieferungen an die Mitbewerber durch die Swatch Group vor.
Pierre-Yves Donzé, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Kyoto in Japan, hat ein Buch über die Geschichte von Swatch geschrieben. Im Gespräch mit swissinfo.ch erhellt der Branchenkenner die Ursprünge des Streits.
swissinfo.ch: Wo liegen genau die Wurzeln des Konflikts der Schweizer Uhrenhersteller?
Pierre-Yves Donzé: In den letzten 20 Jahren hat Swatch nicht wirklich Profit aus dem Monopol geschlagen, das die Gruppe hatte erben können. Der Umbruch, der die Branche in den 1990er-Jahren erfasste, insbesondere der phänomenale Aufstieg der Luxusuhren, hat aber alles verändert.
Mit der Positionierung in diesem Segment, geschehen durch die Käufe der Traditionsmarken Blancpain und Breguet sowie der Neuausrichtung von Omega, konnte die Bieler Gruppe ihren Umsatz und Gewinn markant steigern.
Parallel dazu formierten sich zwei grosse Konkurrenten: Innert weniger Jahre stiegen Richemont (Cartier, Vacheron Constantin) und LVMH (Tag Heuer, Zenith, Hublot) innerhalb des Luxussegments zu grossen Playern auf. Die Konkurrenz für Swatch stammt also nicht mehr aus Japan (Seiko, Citizen), sondern aus der Schweiz selbst.
Das Hersteller-Monopol auf mechanischen Uhrwerken und Teilen ist heute für den Inhaber ein Vorteil von zentraler Bedeutung. Es ist logisch, dass die Swatch Group seine Konkurrenten nicht mehr beliefern will. Der Weko-Entscheid ist aber ebenso verständlich, denn dadurch soll die Industrie mehr Zeit erhalten, sich nach Alternativen umzusehen.
2002 liess die Swatch Group die Bombe platzen, dass sie schrittweise aus der Lieferung von Teilen für Uhrwerke an die Konkurrenz aussteigen will.
2009 kündigte der damalige Swatch-Boss Nicolas G. Hayek an, die Konkurrenz nicht mehr mit Bestandteilen zu beliefern, die von Firmen der Gruppe produziert werden. Damit löste er in der Branche, die fast vollständig von den Swatch-Töchtern ETA und Nivarox abhängig war, ein mittleres Erdbeben aus.
Mitte 2011 eröffnete die Wettbewerbskommission (Weko) eine Untersuchung. Sie erlaubte es der Bieler Gruppe, ab 2012 die Lieferung von Bestandteilen an Dritte zu reduzieren.
Im Frühling 2013 unterzeichneten das Weko-Sekretariat und die Swatch Group einen Vertrag über die stufenweise Reduktion der Lieferung von kompletten mechanischen Uhrwerken und von Assortimenten an Dritte (das ist der steuernde Teil eines mechanischen Uhrwerks, der aus Unruh, Spirale, Ankerrad und Anker besteht, die Red.)
Mitte Juli wies die Weko diesen Vertrag überraschend zurück, weil die Mitbewerber bei den Assortimenten, insbesondere den Spiralfedern, keine Alternative zum Lieferanten Nivarox hätten.
swissinfo.ch: Gibt es einen Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte über den Schutz des Labels «Swiss made»?
P.-Y.D.: Dahinter steckt genau dieselbe Logik. Für die Swatch Group war die Erhöhung des Anteils der in der Schweiz gefertigten Teile von 50% auf 60% ein Mittel, um ihre Position im Vergleich zur Konkurrenz zu festigen. Diese konnte die Vormachtstellung nicht öffentlich anfechten, weil sie sonst von der Swatch Group nicht mehr beliefert worden wäre.
Wollte Swatch mit der Vorstellung des neuen, vollautomatischen Uhrwerks System51 demonstrieren, dass es möglich ist, innerhalb von zwei Jahren ein neues mechanisches Produkt zu entwickeln und zu produzieren, das zu 100% «Swiss made» ist?
P.Y.D.: System51 erklärt sich dadurch, dass Swatch die einzige Uhrengruppe der Schweiz ist, die auch im unteren und mittleren Segment tätig ist (Tissot, Swatch, Calvin Klein, Longines). Der Konzern benötigt also eine leistungsfähige industrielle Produktion, um Skaleneffekte erzielen zu können. Die Bieler Gruppe kann sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die sie sich im ultra-kompetitiven Luxus-Sektor holt.
Swatch stellt für den Weltmarkt aber auch Werke für Quartzuhren im Ausland her, die also nicht «Swiss made» sind.
swissinfo.ch: Hat Swatch-Chef Nick Hayek also nicht recht, wenn er behauptet, dass in den letzten Jahren zu viele Uhrenhersteller von «Swiss made» als einer Milchkuh profitiert hätten, ohne Geld in die Forschung, Entwicklung und leistungsfähige industrielle Werkzeuge zu investieren?
P.-Y.D.: In der Tat verfügt die Konkurrenz theoretisch über die nötigen Mittel zur Herstellung von Bestandteilen wie etwa die berühmten Federaufzüge. Aber einige haben es unterlassen, in die Produktion zu investieren.
Paradoxerweise streichen die Marken in der Werbung fast ausschliesslich die technologischen Innovationen der Uhrwerke hervor. Tatsächlich sind diese aber sehr selten. Am wichtigsten wären aber für sie die Bereitstellung von Mitteln, damit sie unabhängig sein könnten.
Der Wirtschaftshistoriker Pierre-Yves Donzé rekapituliert die wichtigsten Stationen der Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie der letzten Jahrzehnte:
«In der Zwischenkriegszeit wurde die dominierende Stellung der Schweiz auf dem globalen Uhrenmarkt in Frage gestellt, weil sie die Uhren nicht ganz, sondern in Teilen exportierte. Die Bestandteile wurden erst in den Verbraucherländern zu fertigen Uhren montiert.
Die Antwort darauf war die Bildung einer kartellähnlichen Organisation. Rund 30 unabhängige Hersteller schlossen sich zur Ebauches SA und Asuag zusammen. Letztere kontrollierte die Herstellung von Einzelteilen in der Schweiz zu 100%.
Einigen Herstellern wie Rolex, Omega oder Patek Philippe war es erlaubt, Teile für den eigenen Bedarf zu produzieren, nicht aber für andere.
In den 1960er-Jahren büssten die meisten Hersteller ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt ein. Sie kauften zunehmend bei der Ebauches SA ein. Aus dieser ging dann die ETA hervor, die heute zur Swatch Group gehört.
Die Firma Omega, die sich als einzige eine gewisse Unabhängigkeit hatte bewahren können, fusionierte 1983 mit der Asuag.
Aus der Uhrenkrise der 1970er-Jahre ging auf Betreiben des Beraters Nicolas G. Hayek die Swatch Group hervor.
Deren Monopolstellung war während rund 20 Jahren kein Thema, weil Swatch in erster Linie Hersteller von Uhrwerken war und nicht von Fertiguhren.
Mit dem Eintritt von Swatch ins Luxusuhren-Segment änderte sich dies: Aus ehemaligen Kunden wurden für die Bieler Konkurrenten.
swissinfo.ch: Wird der Rückzug von Swatch zu einem Innovationsschub in der Schweizer Uhrenindustrie führen oder im Gegenteil zu einer Abwanderung der Teilehersteller ins Ausland?
Die Produktion von Uhrwerken ist eine heikle Sache, weil sie das Herz des Schweizer Knowhows betrifft. Die Globalisierung der Schweizer Uhrenindustrie ist aber schon Realität. Seit 15 Jahren steigen die Importe von Teilen für die Herstellung von Uhrwerken, während die Zahl der Uhrenexporte stagniert. Dies bedeutet, dass Bestandteile aus dem Ausland immer wichtiger werden.
Heute sind Firmen in China und Thailand fähig, Uhrwerke von gleicher Qualität herzustellen wie jene von ETA, die zu Swatch gehört und die Werke für die Gruppe herstellt. TAG Heuer bezieht seine Federaufzüge von Seiko.
Man muss aber daran erinnern, dass vom Label «Swiss made» nur die Werke und deren Endmontage betroffen sind. Das Design einer Uhr fällt nicht darunter, selbst wenn dieses ein zentrales Element für ein Luxusprodukt ist. Gehäuse, Zifferblatt und Armbänder stammen fast gänzlich aus dem Ausland, insbesondere aus China.
swissinfo.ch: Woher stammt dann aber die fast uneingeschränkte Dominanz der Schweizer Uhrenhersteller auf dem Weltmarkt?
P.-Y.D.: Heute ist die Uhr nicht mehr ein Utensil, sondern ein Mode-Accessoire, ein Träger von Image und Emotionen, gerade für Männer. Die Stärke der Schweizer Uhrenindustrie besteht darin, dass sie es verstanden hat, kulturelle Ressourcen, sprich Tradition und technologische Fähigkeiten, die auf einer bestimmten Region fussen, in eine Ressource des Marketings zu transformieren.
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch