Ein Schweizer Top-Ökonom mit internationaler Erfahrung im Geldcast
Der Ökonom Oliver Wünsch führte während der Eurokrise der 2010er-Jahre für den Internationalen Währungsfonds die Verhandlungen mit der zypriotischen und der griechischen Regierung. Im Geldcast spricht er über seine Erfahrungen und erklärt, wie das neuste Instrument der Europäischen Zentralbank den geldpolitischen Spielraum der Schweizerischen Nationalbank vergrössert.
«Wir mussten in einer Nacht- und Nebelaktion mehrere Milliarden Euro-Banknoten mit einem Flugzeug nach Zypern schaffen.» Was nach einem Finanzthriller tönt, war für Oliver Wünsch, heute Zentralbank-Berater bei der Beratungsfirma «Oliver Wyman», beinharte Realität: Als einer der Missions Chiefs des Internationalen Währungsfonds (IWF) verhinderte er 2013 den Kollaps des zypriotischen Finanzsystems und leitete während der Eurokrise für den IWF die Verhandlungen mit der griechischen Regierung.
Nötig wurde das Husarenstück mit dem eingeflogenen Bargeld in Zypern, weil dort 2013 der Bargeldbezug am Bankautomaten eingeschränkt wurde: Pro Tag konnten maximal 100 Euros abgehoben werdenExterner Link. So sollten die Banken vor einen Kollaps bewahrt werden.
Das alleine reichte aber nicht: «Wir mussten sicherstellen, dass die Bankautomaten den Maximalbetrag auch jederzeit auszahlen konnten», erklärt Wünsch. Andernfalls wäre die Panik nur noch grösser geworden, denn: «Ein Kunde kann nicht unterscheiden: Ist einfach nur der Bankautomat leer – oder hat die Bank kein Geld mehr?»
«Als mehrere Lastwagen voll mit Bargeld und begleitet von Panzern und Helikoptern in die zypriotische Zentralbank einfuhren: Da wurde mir das Ausmass der Krise nochmals deutlich vor Augen geführt», sagt Wünsch heute.
Ein Schweizer Verhandlungsführer in Griechenland
Doch nicht nur in Zypern war Wünsch an vorderste Front dabei, als es galt, einen Finanzkollaps zu verhindern: Als Vertreter des IWF verhandelte er auch mit der griechischen Regierung um Hilfsgelder in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro. Damit sollte ein Staatsbankrott und ein Austritt Griechenlands aus dem Euro verhindert werden.
Im Gegenzug musste die griechische Regierung wirtschaftspolitische Reformen beschliessen, zum Beispiel in der Altersvorsorge. «Wir haben Griechenland Reformen aufoktroyiert, die teilweise den Wahlprogrammen der gewählten Regierungen deutlich widersprachen», so Wünsch heute. Entsprechend gross war zu jener Zeit der politische Druck auf die Vertreter der geldgebenden Institutionen. Trotz aller Härte in den Verhandlungen habe er aus dieser Zeit auch Positives mitgenommen: Mit einigen Vertretern der damaligen griechischen Regierung sei er noch heute befreundet.
Steht eine neuerliche Eurokrise bevor?
Nach den Krisen in Griechenland 2012 und Zypern 2013 wurde die Diskussion um ein mögliches Auseinanderbrechen der Eurozone wieder leiser – bis Corona kam und die Zinskosten der Peripherieländer wieder in die Höhe trieb. Zuletzt berichtete die Financial TimesExterner Link über gestiegenen Spekulationen auf einen italienischen Euro-Austritt. Auch deshalb hat die Europäische Zentralbank im Juli entschieden, im Notfall unbeschränkt Staatsanleihen einzelner Länder zu kaufen. Dazu wurde das Transmission Protection Instrument (TPI) ins Leben gerufen.
«Das Transmission Protection Instruments ermöglicht der EZB, stärker gegen die Inflation vorgehen», sagt Wünsch. TPI verhindere nämlich im Notfall, dass die Zinskosten der Peripherieländer übermässig steigen, wenn die EZB den Leitzins erhöht. Um die Inflation von aktuell 9.1 Prozent wieder runterzubringen, hat die EZB im Juli ihre Zinsen um 0.5 Prozentpunkte erhöht.
EZB-Instrument vergrössert den Spielraum der SNB
Indirekt habe TPI so auch den geldpolitischen Spielraum der SNB vergrössert, sagt Wünsch. Erst im Juni dieses Jahres hat auch die SNB ihren Leitzins um 0.5 Prozentpunkte erhöht.
Längerfristig sei TPI aber nicht nur ein gutes Zeichen für die Schweiz: «TPI ist auch ein Eingeständnis der EZB, dass die strukturellen Probleme der Eurozone weiterhin bestehen.» Damit gemeint ist etwa das Fehlen eines europäischen Finanzausgleichs. Das bedeutet für die Schweizerische Nationalbank: Der Franken wird wohl auch über die nächsten Jahre eher zur Aufwertung tendieren.
Hier geht es zum Geldcast mit Oliver Wünsch in voller Länge:
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