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Ein wenig Schweiz zwischen den Lichtern Singapurs

Nach der Weltwirtschaftskrise ist die Stadt am Singapur River wieder voll beleuchtet. swissinfo.ch

Wie die Schweiz setzt auch Singapur entschieden auf Finanzwirtschaft und Spitzentechnologie. Die Schweiz will ihre bereits hohe Präsenz im asiatischen Stadtstaat nun weiter ausbauen.

Wie wichtig Singapur für die Schweizer Wirtschaft ist, zeigen einige Zahlen.

Der Stadtstaat ist der grösste Handelspartner der Schweiz in Südostasien und der viertgrösste auf dem ganzen asiatischen Kontinent.

Die Schweizer Banken beschäftigen in Singapur, dem drittgrössten Finanzplatz der Welt nach London und New York, rund 7000 Personen.

Die Schweiz hat 2009 in Singapur ihren drittgrössten Handelsüberschuss in Asien (1,47 Milliarden Franken) erzielt.

Am 9. Juli hat sich Bundespräsidentin und Wirtschaftsministerin Doris Leuthard persönlich nach Singapur begeben: Eine Gelegenheit zum Dialog mit einem Land, das sich wie die Schweiz eine erstrangige Position auf internationaler Ebene sichern will, indem es auf Finanzindustrie und Forschung setzt.

Ein auch schweizerischer Freihafen

Die Schweizer Delegation hat den Freihafen von Singapur besucht, der in der Nähe des internationalen Flughafens des Stadtstaats liegt. Der Hafen wurde nach dem Modell des Genfer Freihafens erbaut. Die Räume des «Singapore Freeport» beherbergen im besonderen wertvolle Kunstwerke, und es werden auch Auktionen organisiert.

Das rund 50’000 m2 grosse Gebäude des Freihafens wurde von den beiden Schweizer Jungarchitekten Bénédicte Montant und Carmelo Stendardo entworfen: Ein Beispiel dafür, was die Plattform «Ingenious Switzerland» erreichen will, die von der Eidgenossenschaft im Rahmen der Antikrisen-Massnahmen finanziert wird.

Damit soll der Zugang zu neuen Märkten – vor allem in Frankreich, Deutschland und eben Singapur – für kleine und mittlere Schweizer Unternehmen (KMU) in den Sektoren Architektur, Design und Ingeneering erleichtert werden.

Nelly Wenger, Direktorin von «Ingenious Switzerland», erklärte, Ziel sei es, «intellektuelle Leistungen mit hohem Mehrwert zu liefern». Das sei «die einzige Möglichkeit der Schweiz, ihre Produkte nach Orten wie Singapur zu exportieren, das wahre und tatsächliche Tor zum Markt Asiens».

Technologischer Auftrieb

Die Schweizer Delegation besuchte in diesem Zusammenhang auch Astar, die Promotionsagentur für Forschung in Singapur, die dem Handels- und Industrieministerium untersteht. Astar konzentriert sich auf angewandte Forschung und fördert Projekte in den Sektoren Biomedizin, Nanotechnologie, Mikroelektronik, Mikrotechnik und Informatik.

Astar investiert stark in die Forschung, um die hellsten Köpfe nach Singapur zu locken – mit dem Ziel, Kompetenzzentren zu schaffen, die den Wissenstransfer mit der Privatwirtschaft garantieren. So will der Schweizer Pharma-Konzern Roche beispielsweise 100 Millionen Franken für sein erstes Transplantationsmedizin-Zentrum investieren.

Durch die Zusammenarbeit mit einigen Schweizer Universitäten sind auch etliche Schweizer Forschende in den modernen Einrichtungen von Astar tätig. Einer von ihnen ist der Biomediziner Oliver Dreesen.

Er ist überzeugt, mit seiner Wahl von Singapur auf die richtige Karte gesetzt zu haben, weil der Fokus dort stark auf die Forschung gelegt werde. «Ich habe die Forschungszentren in Singapur bereits 2004 gesehen, aber damals fehlte noch die kritische Masse an Kompetenz, um mich zu überzeugen», erklärt er.

«Einige Jahre später hat sich die Situation fundamental geändert: Der Stadtstaat hat es geschafft, zahlreiche Weltklasse-Forscher anzulocken.» Tatsächlich hat Singapur von 2006 bis 2010 für Forschung und Entwicklung insgesamt rund 10 Milliarden Franken ausgegeben.

Verschiedene Modelle

Spontan stellt sich die Frage, ob der Staat nicht auch in der Schweiz stärker auf die Forschung setzen sollte, statt diese Aufgabe dem privaten Sektor zu überlassen?

«Die Ausgangssituation ist anders», betont Dreesen: «In Singapur war es notwendig, eine Menge Geld zu investieren, um Wissenschaftler und Unternehmen anzulocken. In der Schweiz ist die Wissenschaft praktisch Teil der nationalen Identität.»

Tricia Huang, Planungsleiterin von Astar, erklärt es so: «Für jeden Dollar, der in den öffentlichen Sektor investiert wird, gehen deren zwei in den privaten Sektor. Ein Verhältnis, welches wir zu halten beabsichtigen.»

Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Ländern, hat Dreesen festgestellt, ist die in Singapur fast völlige Absenz ethischer Debatten über die wissenschaftliche Forschung.

Gemeinsame Interessen

Bei ihrem Besuch in Singapur traf Bundespräsidentin Doris Leuthard neben dem Präsidenten S.R. Nathan auch die dortigen Minister für Finanzen und Handel.

Die Schweizer Wirtschaftministerin unterstrich, die beiden konkurrierenden Finanzplätze würden gemeinsam für die Wahrung der Privatsphäre einstehen. Auch der Stadtstaat kennt ein Bankgeheimnis. Wie die Schweiz hat auch Singapur seine Bereitschaftschaft erklärt, den OECD-Standard für den Austausch von Informationen anzupassen.

Leuthard betonte weiter, sowohl die Schweiz wie auch Singapur hätten kein Verständnis dafür, dass zwei der wichtigsten Finanzzentren der Welt nicht in der G20 vertreten seien. Daher, schloss sie, sollten wichtige Themen wie die Finanzpolitik nicht an einen Kreis von ein paar wenigen Ländern delegiert werden.

Andrea Clementi, Singapur, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Wirtschaftsministerin Doris Leuthard äusserte sich anlässlich ihres Besuchs auch zu dem in Singapur zu fünf Monaten Gefängnis und drei Stockschlägen verurteilten Schweizer.

Die Schweiz lehne Körperstrafen ab, von dieser Form der Strafe sei man längst abgekommen, so Leuthard.

Der Schweizer war Ende Juni unter anderem wegen Vandalismus verurteilt worden, weil er gemeinsam mit einem 29-jährigen Briten U-Bahnwagen in Singapur mit Graffiti verziert hatte.

Der Schweizer hat gegen seine Haftstrafe Berufung eingelegt.

Nach den Treffen mit Finanzminister Tharman Shanmugaratnam und Handelsminister Lim Hng Kiang haben die Schweiz und Singapur das Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen von 1978 angepasst.

1819 verkaufte der Sultan von Malakka die gesamte Insel der britischen Ostindien-Handelskompanie.

1959 wurde Singapur eine selbstregierte Kronkolonie. Diese wurde nach den von der People’s Action Party (PAP) gewonnenen Wahlen von Lee Kuan Yew als erstem Premierminister regiert.

Bis 1963 war Singapur mit Ausnahme der japanischen Besetzung (1942-1945) eine britische Kolonie.

Seit dem 1. September 1963 ist Singapur vom Vereinigten Königreich unabhängig. Es wurde nach einem Referendum in die malaysische Föderation mit Malaya, Sabah und Sarawak entlassen.

Nach heftigen Spannungen mit der Föderationsregierung wurde Singapur aber bald schon aus der Föderation ausgeschlossen und am 9. August 1965 unabhängig.

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