Sie lieben die Schweiz, aber wollen den Pass nicht
Der Schweizer Pass ist beliebt. Der Weg dazu aber kostspielig und aufwendig. Längst nicht alle Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die in der Schweiz wohnen, wollen sich einbürgern lassen.
Sie entscheiden sich gegen den Schweizer Pass – auch wenn sie ihn beantragen könnten. Weil der Aufwand sie abschreckt. Die Staatsbürgerschaft ihnen zu wenig Vorteile bringt. Der Pass zu teuer ist. Oder, weil sie sich bereits als Schweizerin oder Schweizer fühlen. Vier Menschen erzählen.
Claudia Ferrara, 49
«Ich bin in Teufen in Appenzell Ausserrhoden geboren und aufgewachsen. Schweizer Pass habe ich bis heute keinen. Wir sind Süditaliener. Meine Eltern sind in den 1960er-Jahren in die Schweiz gekommen.
Sie waren klassische Arbeiter: Mein Vater war Sattler. Er nähte Taschen fürs Militär, Skisäcke, solche Sachen. Meine Mutter machte Heimarbeit.
In der Schulklasse war ich damals das einzige Italienerkind: ‹Der Tschingg!›. Damals wurde man als Italienerin gehänselt.
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Als meine Grosseltern noch lebten, waren wir dreimal im Jahr im Süden: Sommerferien, Weihnachten, Ostern. Wenn mir mit 13 Jahren jemand gesagt hätte, ‹Wir gehen nach Italien›, ich hätte keinen Moment gezögert. In der Schweiz waren wir immer die Italiener, wenn wir in Italien ankamen, sagten sie: ‹Ah, i Svizzeri!› Ich fragte mich früh: ‹Was bin ich denn?›
Mein Herz hat bis heute zwei Seiten. Bin ich Italienerin oder Schweizerin? Ich bin einfach Claudia.
Aber zu Hause bin ich in der Schweiz. Hier bin ich aufgewachsen, mit Blick vom Kinderzimmer auf den Alpstein.
In der St. Galler Altstadt führe ich seit über 20 Jahren einen eigenen Coiffeursalon. Ich denke immer wieder mal über eine Einbürgerung nach. Vor allem, weil ich mich politisch gerne beteiligen würde. Aber mich stört, dass man von mir genau dasselbe erwartet, wie von einer Person, die vielleicht erst seit zehn Jahren hier lebt.
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Die ganze komplizierte Anmeldung, dann der Kurs und die Prüfung. Wie heisst dieser See, wie heisst jener Berg, wie funktioniert das politische System? Ich finde es richtig, dass es diese Prüfung für Menschen gibt, die erst seit einigen Jahren in der Schweiz sind.
Aber dass das auch für jemanden wie mich nötig ist, finde ich wirklich unfair! Ich erwarte nicht, dass man mir den Ausweis schenkt.
Ich zahle gerne etwas dafür und reiche die nötigen Unterlagen ein. So wie bei einer Wohnungsbewerbung. Dann kommt ein Einzahlungsschein, ich zahle und einige Wochen später kommt der Ausweis. Fertig. Weshalb das nicht gehen soll, das verstehe ich nicht.»
Nadine Lankreijer, 33
«Ich verliebte mich in die Schweiz als Kind während den alljährlichen Skiferien im Berner Oberland. Mit 21 verliess ich Holland und ging nach Adelboden, um als Skilehrerin zu arbeiten.
Am Anfang war das richtig hart. Ich konnte kein Deutsch und meine Skitechnik war auch nicht wahnsinnig gut.
Es dauerte drei Monate, bis ich langsam Anschluss fand. Von Adelboden zog ich dann einige Jahre später nach Zürich und begann, als Flight-Attendant bei der Swiss zu arbeiten.
Im Grundkurs sagte mir die Ausbilderin: ‹Wenn du in den Flieger gehst, mach mal auf Nadine light.› Als Holländerin bin ich sehr spontan und direkt, das kommt hier nicht immer gut an.
Wenn ich nach Holland fliege und aus dem Fenster schaue, habe ich genau dasselbe Gefühl, wie wenn ich in der Schweiz lande: Es ist Heimat.
In Holland lebt meine Familie, dort liegt meine Vergangenheit. In der Schweiz meine Gegenwart und vielleicht auch die Zukunft.
Eigentlich möchte ich mich gerne hier einbürgern lassen, vor allem, damit ich abstimmen kann. Aber damit würde ich meine holländische Staatsbürgerschaft verlieren. Das will ich nicht.
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In der Schweiz lebe ich mit einer C-Bewilligung gut. Ich kann ein Haus kaufen, arbeiten, eine Firma gründen. Wenn ich eine doppelte Staatsbürgerschaft haben könnte, dann würde ich es wohl machen.
Dafür gibt es eine einzige Möglichkeit: Dass ich einen Schweizer heirate. Dann würde Holland eine zweite Staatsbürgerschaft erlauben. Aber das habe ich zurzeit nicht vor.
Meine Beziehung ging im letzten Jahr zu Bruch. Da überlegte ich mir ernsthaft, ob ich nach Holland zurückkehren soll. Ich hatte meine Familie in der Zeit sehr vermisst. Aber am Schluss entschied ich mich, zu bleiben.
In der Schweiz habe ich mir ein Leben aufgebaut, meinen Freundeskreis, meine Arbeit. Ich musste dafür kämpfen, so schnell gebe ich das nicht wieder her!»
Gidon Schvitz, 31
«Ich hätte gerne den Schweizer Pass. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe hier studiert. Die Schweiz ist meine Heimat. Aber die Hürden zur Einbürgerung sind hoch.
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Wie erhalte ich den Schweizer Pass?
Als ich 11 Jahre alt war, kam meine Mutter wegen der Liebe hierher. Von Holland nach Basel. Ich grenzte mich lange Zeit von der Schweiz ab, sagte ich bin Holländer. Inzwischen sage ich, dass ich aus der Schweiz komme.
Einbürgern lassen möchte ich mich aus zwei Gründen: Wenn ich die Schweiz länger als sechs Monate verlasse, verliere ich meine Niederlassungsbewilligung C. Meine Frau kommt aus der Slowakei und wir würden gerne die Freiheit haben, hin und wieder einige Zeit im Ausland zu leben.
Der andere Grund ist mehr emotionaler Natur. Ich würde mich gerne an Abstimmungen beteiligen und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden.
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In den vergangenen Jahren habe ich mich oft mit der Einbürgerung beschäftigt. Zuerst Mitte 20, damals konnte ich es mir aber als Student nicht leisten. Alles in allem kostet die Einbürgerung mehr als 2000 Franken.
Zwei Jahre später nahm ich einen neuen Anlauf und merkte, wie aufwendig der Prozess ist. Alle Unterlagen, die man einreichen muss, dann die Prüfung. Zudem plante ich damals mit meiner Freundin die Heirat. Will man sich einbürgern lassen, geht das aber nicht.
Man darf den Zivilstand nicht ändern, bis der Pass ausgestellt ist. Und das kann bis zu zwei Jahre dauern. Da habe ich es wieder bleiben lassen, es war mir einfach zu blöd.
Vor einigen Monaten sagte ich mir, ‹So, jetzt›. Da tauchte ein neues Problem auf: Weil ich keinen Militär- oder Zivildienst geleistet habe, müsste ich nach der Einbürgerung Wehrpflichtersatz bezahlen. Drei Prozent meines Einkommens, neuerdings bis zum 37. Geburtstag.
Das ist viel Geld. Dabei habe ich mich ja nie gedrückt. Ich hätte sehr gerne Zivildienst geleistet, konnte es damals aber nicht, weil mir der Pass fehlte. Es gibt auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft einfach zu viele Hindernisse. Das ganze Prozedere klingt alles andere als einladend.
Ich hätte gerne das Gefühl: Du bist willkommen. Aber das spüre ich nicht, im Gegenteil. Die ganzen Regeln und Auflagen empfinde ich als abschreckend. Ich überlege es mir dann nochmals, wenn ich 37 bin.»
Michael Bockman, 68
«Ich bin vor neun Jahren in die Schweiz gekommen. Ehrlich gesagt, habe ich mich bisher noch nicht sehr integriert.
Meine Frau und ich hatten uns in Los Angeles kennengelernt. Ich arbeitete dort in der Filmindustrie, lebte in einem Haus direkt am Meer. Nach einigen Monaten war klar, dass wir unser Leben zusammen verbringen möchten.
Die Frage war nur wo – in Kalifornien oder der Schweiz. Als Autor kann ich von überall aus arbeiten. Also gab ich mein Zuhause in LA auf und kam mit meiner Frau nach Zürich. Ich tat es aus Liebe.
Mit einem Fuss sind wir beide in Kalifornien. Ich verbringe dort jedes Jahr einige Wochen bis Monate. Meine Freunde und meine Familie leben dort. Beruflich wie auch privat unterhalte ich mich mehrheitlich mit Menschen aus den USA. Einige Freunde meiner Frau sind unterdessen auch meine Freunde geworden.
Mir gefällt die Schweiz sehr. Aber ich fühle mich nicht so zugehörig wie in den USA. Was dort passiert, verfolge ich genau und habe natürlich bei den Wahlen meine Stimme abgegeben.
Die Schweizer Staatsbürgerschaft war für mich bisher nie ein Thema. Ich lehne die Idee nicht ab. Bisher gab es für mich aber absolut keinen Grund, mich einbürgern zu lassen.
Ich verdiene mein Geld grösstenteils in den USA, mein Bankkonto befindet sich dort. Der C-Ausweis reicht mir. Da ich kein Deutsch spreche, hätte ich wohl sowieso keine Chancen auf Einbürgerung.
Die Schweiz ist für mich eine grosse Nummer zwei. Es ist ein überwältigend schönes Land und ich mag die Menschen. Sie sind sehr vertrauenswürdig, fokussiert und anständig.
Die Community in Hollywood hingegen ist frei und unangepasst. Diese Freiheit und die Weite des Ozeans vermisse ich hier manchmal. Wo ich den Rest meines Lebens verbringe? Wir werden sehen.»
Das Schweizer Einbürgerungsverfahren ist das strengste von ganz Europa. Eine vierteilige Dok-Serie begleitet Einbürgerungswillige aus allen vier Landesteilen auf ihrem Weg zur Schweizer Staatsbürgerschaftgewährt und gewährt so einen Blick hinter die Kulissen des Prozesses. Alle vier Teile finden Sie hierExterner Link.
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