Einwanderung sorgt für hohe Immobilienpreise
Die Hypothekarzinsen sind in den letzten zehn Jahren auf ein Niveau gesunken, das Wohneigentum für viele Leute erschwinglich gemacht hat. Ist deswegen eine Immobilienblase entstanden, die bei steigenden Zinsen zu platzen droht? Experten sind geteilter Meinung.
Die Schweizer sind ein Volk von Mietern. Das Land ist klein und dicht bevölkert, der Anteil nicht bewohnbarer Bergregionen an der Gesamtfläche gross, der Boden knapp und deshalb teuer.
Dazu kommt eine vergleichsweise offene Wirtschaft mit zahlreichen ausländischen Hausbesitzern und im Vergleich zu vielen anderen Ländern tieferen Steuern und höherer Lebensqualität.
Das vergangene Tiefzins-Jahrzehnt in der Schweiz hat vielen Privaten dank günstiger Hypothekarkredite Hausbesitz ermöglicht. Während in den 1960er- bis 80-Jahren das Familienhäuschen im Grünen als Mass aller Dinge galt, sind seit der Jahrtausendwende Stockwerk-Eigentum und Stadtwohnungen sehr gefragt.
Zu dieser atypischen Entwicklung nach der Immobilienkrise der 1990er-Jahre haben neben den fallenden Zinsen auch die minimale Teuerung geführt, trotz schwankenden Frankenkursen.
Seit aber vor einigen Monaten das Zinsniveau seinen vorläufigen Tiefpunkt erreichte und sich die Zinssätze für Hypotheken zu stabilisieren begannen, kamen auch die Befürchtungen auf, dass der Zinsanstieg zu einem Platzen der Immobilienblase führen könnte.
Die Schweizerische Nationalbank warnte schon Ende 2010 – zwar nicht vor einer schweizweiten Immobilienblase – aber vor «regionalen Überbewertungen».
Bankenkonkurrenz
Die zur Zeit bestehende intensive Wettbewerbssituation der Banken kann je nach Sichtweise positiv oder negativ interpretiert werden. So befürchtet die SNB «Fehlentwicklungen» wegen der starken Konkurrenz im Hypothekargeschäft.
Thomas Jordan von der SNB befand kürzlich gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung die Kreditvergabepolitik der Banken als «nicht ausgesprochen konservativ». Mit anderen Worten, die Wahrscheinlichkeit sei vorhanden, dass Hypothekarkredite auch an Personen mit ungenügender Bonität verliehen würden.
Paul Brand von der Aare Immobilien-Treuhand AG in Bern als Immobilien-Treuhänder sieht das anders: «Ich habe keine Angst vor einer Immobilienblase. Zwar sind die Hypo-Kredite wegen dem tiefen Zinssatz heute sehr günstig, aber meine Erfahrung zeigt, dass die Banken von den Grundregeln – jedenfalls in meinem Bereich – nicht abweichen.»
Wichtig ist, wie der Zins steigt
Fredy Hasenmaile, Leiter Real Estate Analysis bei der Grossbank Credit Suisse, relativiert: «Es kommt darauf an, wie der Zins steigt. Entwickelt er sich sanft nach oben, werden wohl keine Blasen platzen. Hat er ein hohes Niveau erreicht und steigt weiter, dann könnte es problematisch werden, besonders in gewissen Regionen.»
Doch vorläufig bleibt der «hypothekarische Referenzzinssatz» bei 2,75%, wie das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) am Dienstag mitgeteilt hat. Seit Dezember 2010 ist dieser für die Höhe der Mieten relevante Satz unverändert geblieben.
Andererseits fiel der durchschnittliche Hypo-Zinssatz 2008 von 3,43% auf 2,59% im März 2011. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren hatten die Hypo-Zinssätze noch Höhen von 7,5% erklommen, was zur Krise der 1990er-Jahre führte.
Einwanderung wichtiger als Zinskosten
Etwas anders gewichten Immobilien-Professionelle: «Der hauptsächliche Treiber im heutigen Schweizer Immobilienmarkt sind weniger die Zinsen als der Umstand, dass in den aktiven Regionen des Landes das Bodenangebot immer knapper wird», sagt Paul Brand. «Und das ist in erster Linie auf die Personenfreizügigkeit, sprich die starke Einwanderung, zurückzuführen.»
Statistiken zeigen: In den letzten Jahre kamen netto jährlich rund 70’000 bis 100’000 Personen in die Schweiz. Dem steht eine Produktion von rund 40’000 Wohnungen gegenüber, wobei man im Durchschnitt mit zwei Personen pro Wohnung rechnet. Während die Bevölkerung und der Anspruch des Einzelnen an seinen Wohnraum wachsen, bleibt der Boden nicht vermehrbar und die Bauzonen weitgehend ausgenützt.
Die klassische Regel besagt nun, dass ein Zinsanstieg die Immobilienpreise ins Rutschen bringt. Doch Brand glaubt, dass dies durch den Einwanderungseffekt wettgemacht wird: «Die Preise dürften erst dann wirklich fallen, wenn die Schweiz eines Tages für Einwanderer weniger attraktiv ist.»
Seit Ende 2010 hat sich die Einwanderung effektiv etwas verlangsamt. Donato Scognamiglio von der IAZI Beratung hat schon Anfang 2011 eine «Preiskehre» bei den Einfamilienhäusern ausgemacht: «Nicht gerade dramatisch, aber um ein Prozent im letzten Quartal 2010.»
«Es gibt auch keine Hot Spots mehr, also keine Regionen, wo die Preissteigerung über 3,5% pro Jahr beträgt.» Das Preisniveau bleibe zwar hoch, aber der Dampf sei draussen. Nur: Für die Eigentums-Wohnungen gelte dies nicht.
Dies bestätigt auch Hasenmaile: «Bei Eigentums-Wohnungen gab es nur einen kurzen Einbruch. Bei den Einfamilienhäusern gab es wirklich einen Rückgang, aber bereits 2009.»
Vorschriften wiegen mehr als Zinssatz
Die Nachfrage nach Eigentums-Wohnungen nehme zu, sagt Brand, weil sich das Angebot an Mietwohnungen nicht mehr zufriedenstellend entwickle. Dies sei neben der Einwanderung und der Bodenknappheit der dritte Grund zur Immobilien-Verteuerung.
«Die Baukosten für Miethäuser haben sich wegen der strengeren Bauvorschriften erhöht. Der Boden ist teurer geworden. Berücksichtigt ein Investor dies, rechnen sich Mietshäuser nicht mehr wie früher.» Brand beruft sich auf Zahlen: Im Mietwohnungsmarkt blieb das Angebot in den letzten Jahrzehnten stabil, das heisst, es stagnierte.
«Das Gros des Mietwohnungsangebots der Schweiz besteht aus Objekten, die zwischen den 1960er- und 80er-Jahren gebaut wurden.»
Weniger dramatisch sieht das Hasenmaile: «Die Wohnungsproduktion reagiert relativ schnell auf Nachfrage-Signale. Die Zuwanderung hat in einer ersten Phase das Segment der Mietwohnungen sehr begünstigt. Doch inzwischen interessieren sich schon viele Zugewanderte, die bereits einige Jahre in der Schweiz sind, vermehrt für Hauseigentum.»
Als vierten Teuerungsgrund führt Brand einen gegenüber früher völlig anderen Konsum an Wohnraum an. Die Ansprüche an die Wohnfläche seien ständig gestiegen. Die Dreizimmerwohnung aus den 1960er-Jahren mit 70 Quadratmetern sei heute gar kein Standard mehr.
«Sucht jemand eine Neuwohnung zum Mieten, inklusive den heute gesuchten Standards, wird er nur wenig Auswahl haben. Deshalb haben sich Immobilien-Investoren vermehrt in Stockwerk-Eigentum und weniger in Mietshäuser engagiert.»
Häuser sind reproduzierbar, der Boden (das Grundstück) nicht. Deshalb ist der Boden der wahre Treiber der Preisentwicklung.
Wenn also von fallenden oder steigenden (Einfamilien-)Hauspreisen die Rede ist, darf man nicht nur das Haus darunter verstehen.¨
Dies gilt weltweit, in der Schweiz aber besonders, weil nur 7% der Gesamtfläche des Landes auf Siedlungsgebiet entfällt.
Bauland ist besonders dort rar, wo die Leute wohnen möchten.
Die Bodenpreise haben in der Schweiz nominell von 1978 bis 2008 um 340% zugenommen, inflationsbereinigt um 170%.
Durchschnittlich hat ein Quadratmeter unbebauter Boden stärker an Wert zugelegt als ein bebauter Quadratmeter, also ein Grundstück mit einem Haus darauf.
(Quelle: IAZI)
«Die Bank schaut sich bei jedem Hypo-Kredit-Gesuch prioritär die Tragbarkeit der Finanzierung durch den Käufer an, in Relation zum Wert des Objekts,» sagt Paul Brand.
«Bei Wohnobjekten verlangen die Banken mindestens einen Eigenanteil von 20%. Und die Gesamtbelastung der Immobilie inklusive Erneuerung darf einen Drittel des Bruttoeinkommens nicht überschreiten.»
Diese Tragbarkeits-Berechnungen der Banken basieren auf einem theoretischen Hypo-Zinssatz von 4,5% bis 5%, obwohl der reale Satz zur Zeit viel tiefer liegt.
Eine Hypothek dient im Bankwesen als Sicherungsmittel für Kredite.
Sie gibt dem Gläubiger (meist die Bank) im Fall einer Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung des Grundstücks Berechtigung auf den Erlös.
Die Hypothek ist ein Grundpfandrecht (Kreditsicherung an Grundstücken). Das damit verbundene Darlehen ist ein Hypothekar-Kredit.
Neu erstellte Wohnungen pro Jahr:
2004: 36’935
2005: 37’958
2006: 41’989
2007: 42’915
2008: 44’191
2009: 39’733
57,6% aller Gebäude sind Einfamilienhäuser.
Die durchschnittliche Fläche pro Wohnung entspricht 98 m2
Die Wohnfläche pro Person beträgt 44 m2
Bewohnen pro Wohnung: 2,3
Wohneigentumsquote: 34,6%
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch