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«Unsere Boote sind effizienter als Elektrovelos»

Prototyp eines emissionsfreien Tragflügelboots von Mobyfly
Der Prototyp von Mobyfly erreicht eine Geschwindigkeit von 74 km/h und kann mit einer einzigen Ladung maximal 125 km weit fahren. MobyFly

Sue Putallaz, Geschäftsführerin und Mitgründerin von Mobyfly, will mit ihren emissionsfreien Tragflügelbooten den Wassertransportmarkt revolutionieren und die Klimaproblematik vorantreiben. Ein Treffen am Genfersee mit der Unternehmerin, die soeben vom World Economic Forum mit einem prestigeträchtigen Preis ausgezeichnet wurde.

swissinfo.ch: Ihre Boote verwenden wiederaufladbare Batterien und fahren in Zukunft vielleicht auch mit Wasserstoff. Genügt das, um grosse Energieeinsparungen zu erzielen?

Sue Putallaz: Absolut! Unsere Tragflügelboote sparen 70% Energie im Vergleich zu herkömmlichen Booten. Der Grund dafür ist ganz einfach: Da sich unsere Tragflügelboote im Wasser aufrichten, entfallen fast die gesamte Reibung mit dem Wasser und der Luftwiderstand.

Anders gesagt: Die Rümpfe herkömmlicher Boote drücken das Wasser auseinander, während die sehr dünnen «Foils» unserer Boote das Wasser zerschneiden. Bezogen auf den Energieverbrauch pro Fahrgast und Strecke sind unsere Produkte sogar effizienter als E-Bikes mit 45 Stundenkilometern!

Wie sieht Ihre Umweltbilanz aus, wenn Sie den gesamten Lebenszyklus Ihrer Produkte einschliesslich der Herstellung der Batterien betrachten?

Sie ist sehr positiv, denn unsere Boote verbrauchen nicht nur sehr wenig Energie, sondern verursachen auch keine CO2-Emissionen, keine Gerüche, keine Mineralölreste im Wasser, keine Wellen und sind mit etwa 64 Dezibel so leise wie ein Geschirrspüler.

Nach Abschluss ihres Wirtschaftsstudiums an der Universität Genf im Jahr 1997 begann Sue Putallaz ihre berufliche Laufbahn als Strategieberaterin bei PwC.

Später belegte sie eine Ausbildung in Entrepreneurship an der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) und schloss mit einem Executive-Diplom am Institut des hautes études en administration publique (IDHEAP) ab.

In den letzten zwanzig Jahren hat sie Erfahrungen in der Privatwirtschaft und in der Verwaltung des Kantons Genf gesammelt. Sie ist Mitgründerin von Mobyfly.

Auf welchen Markt zielen Sie?

Wir zielen auf den Markt für Schnellfähren, die sowohl von Menschen auf dem Weg zur Arbeit als auch von Ferienreisenden genutzt werden. Es gibt weltweit 10’000 solcher Fährlinien. Ein typisches Beispiel ist die Strecke zwischen Evian und Lausanne.

Schon heute werden weltweit jährlich mehr als 2,1 Milliarden Menschen per Schiff befördert, was in etwa dem Flugverkehr entspricht. Unsere potenzielle Kundschaft sind Transportunternehmen wie die Compagnie Générale de Navigation (CGN) auf dem Genfersee.

Sue Putallaz vor einem der Propeller ihres Tragflügelboots auf der Genfer Messe für Erfindungen
Sue Putallaz vor einem der Propeller ihres Tragflügelboots auf der Genfer Messe für Erfindungen. DR

Wird das Segment der emissionsfreien Boote stark wachsen?

Auf jeden Fall! Einerseits zielt die Gesetzgebung darauf ab, die Umweltverschmutzung durch den Schiffverkehr zu begrenzen, der für mehr als 3% der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Dies ist auch in der Schweiz der Fall, wo dieses Verbot beispielsweise in Lausanne ab 2030 gelten wird.

Andererseits ist es für die öffentliche Hand ungleich rentabler, eine neue Schnellfährenlinie einzurichten, als eine neue Strasse zu bauen, eine Brücke zu errichten oder eine Eisenbahnlinie zu verlängern. Ausserdem verwenden unsere Schiffe die gleichen Schnellladegeräte wie Elektroautos.

Welche Finanzzahlen streben Sie kurz- und mittelfristig an?

Für Mobyfly sind nicht Umsatz, Profitabilität oder Marktanteile das Wichtigste, sondern unser Beitrag zum Wandel des Transportmarkts hin zu emissionsfreien Lösungen.

Ich wünsche mir, dass unsere Technologie eines Tages auch auf grossen Schiffen mit 800 Fahrgästen eingesetzt werden kann.

Wann kommen Ihre Produkte auf den Markt?

Wir haben bereits einen Prototyp auf dem Genfersee. Unser erstes kommerzielles Schiff wird 2024 ausgeliefert, es wird 12 bis 20 Fahrgäste fassen, zehn Meter lang sein und eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern erreichen.

Danach werden wir grössere Schiffe mit einer Länge von 20 Metern (für 60 bis 120 Personen) und 30 Metern (für 300 bis 350 Personen) ausliefern.

Sie haben Vereinbarungen für Projekte an der Seine in Paris und am Luganersee unterzeichnet und Machbarkeitsstudien für die Weltausstellung 2025 in Japan durchgeführt. Sind sie keine Prophetin im eigenen Land?

Wir sind in der Tat sehr exportorientiert. Trotzdem arbeiten wir mit der Walliser Gemeinde Port-Valais an einem Pilotprojekt für den Genfersee, um diese Region zu entlasten.

Mobyfly hat mehrere Preise gewonnen, vor allem in Japan. Gerade wurden Sie vom WEF als «Technologiepionierin» ausgezeichnet. Welche Perspektiven eröffnet Ihnen das?

Diese Auszeichnungen bringen uns vor allem internationale Anerkennung und Glaubwürdigkeit. Sie ermöglichen uns auch, bei unserer potenziellen Kundschaft sichtbarer zu werden.

Das ist notwendig, um unser Wachstum zu sichern und unsere Produkte international zu vermarkten.

Besonders stolz sind wir auf die Auszeichnung unserer Firma als eine der 200 Technologiepionierinnen des WEF. Das wird uns viele Türen öffnen und unser Netzwerk erweitern.

So werden wir beispielsweise ab Ende Juni 2023 an WEF-Veranstaltungen in China und im Januar 2024 in Davos teilnehmen.

Wie ist Ihre Beziehung zur Waadtländer Firma Almatech, die ebenfalls emissionsfreie Boote entwickelt?

Wir kennen uns, aber im Moment gibt es keine Zusammenarbeit. Mobyfly ist in der Tat weiter fortgeschritten, denn wir haben bereits unser erstes Boot auf dem Wasser und bereiten unsere erste kommerzielle Vorserie vor.

Generell ist es sehr erfreulich, dass es in der Westschweiz mehrere aktive Unternehmen in unserem Bereich gibt. Dies wird zur Schaffung eines echten Kompetenzzentrums in unserer Region beitragen.

Wie hoch ist das Risiko, dass grosse Unternehmen mit beträchtlichen finanziellen und kommerziellen Ressourcen Ihre Produkte imitieren und Ihren Markt erobern?

Man kann es immer versuchen! Zum einen sind viele unserer Schlüsselinnovationen durch Patente geschützt. Andererseits lassen sich bestimmte strategische Komponenten wie unsere Flugsoftware nicht kopieren.

Einzigartig ist auch unser hauseigenes Knowhow, mit dem wir unsere verschiedenen Technologien miteinander verbinden. Die einzige wirkliche Möglichkeit für diese grossen Unternehmen, uns zu kopieren, wäre, uns zu kaufen.

Sind Ihre Boote rentabler als herkömmliche Boote?

Was die Anfangsinvestition betrifft, sind unsere Boote mit herkömmlichen Booten gleicher Leistung vergleichbar. Die Betriebskosten unserer Produkte sind jedoch aufgrund des geringen Energieverbrauchs wesentlich niedriger.

Ausserdem sind die Wartungskosten unserer Boote minimal: weniger als 5% der Betriebskosten gegenüber mehr als 20% bei herkömmlichen Booten.

Sue Putallaz
Sue Putallaz war 2020 Mitbegründerin des Unternehmens Mobyfly. DR

Mobyfly ist in Collonges (Kanton Wallis), Saint-Genis-Pouilly (Frankreich) und Porto (Portugal) vertreten. Warum gerade an diesen Standorten?

Abgesehen von meinen persönlichen Verbindungen bietet der Kanton Wallis ein Ökosystem für Innovationen im Bereich der Mobilität. Zudem ist der Walliser Seehafen Le Bouveret unsere eigentliche Operationsbasis, wie dies bereits beim Segelteam Alinghi der Fall war.

Für unsere Standorte in Frankreich und Portugal war die Nähe zu unserer Kundschaft ausschlaggebend. Darüber hinaus ist eine Präsenz in der Europäischen Union für Unternehmen, die im Bereich der Innovation tätig sind, unerlässlich geworden.

Was sind die grössten Herausforderungen in Ihrem Geschäft?

Die Nachfrage nach dieser Art von technologischer Lösung ist so gross, dass die grösste Herausforderung für Mobyfly – und seine Konkurrenz – die Skalierung des Herstellungsprozesses sein wird, also die Fähigkeit, schnell sehr grosse Mengen zu produzieren.

Sie sind Präsidentin und Geschäftsführerin von Mobyfly. Welche Vorteile hat diese Doppelfunktion?

Das war ein Wunsch unserer Investorinnen und Investoren, denn ich bin sowohl Ingenieurin als auch Wirtschaftswissenschaftlerin. So verbinde ich die technischen Aspekte mit den finanziellen und kommerziellen Anforderungen.

Mobyfly ist ein lösungsorientiertes Unternehmen, das mit den besten technischen Lösungen auf die Bedürfnisse seiner Kundschaft eingeht. Schliesslich können weibliche Führungskräfte gut zuhören und daher besser zusammenarbeiten.

Vor der Gründung von Mobyfly 2020 haben Sie mehr als 20 Jahre Erfahrung im privaten und öffentlichen Sektor gesammelt. Das ist unter Startup-Gründenden sehr selten.

In der Tat, aber so kann ich auf ein sehr vielfältiges Netzwerk und mehrere unternehmerische Erfahrungen zurückgreifen.

Darüber hinaus haben mir meine acht Jahre in der Genfer Kantonsverwaltung, hauptsächlich als stellvertretende Generalsekretärin des Planungsdepartements, geholfen, die Stadtplanung und die Herausforderungen der öffentlichen Hand besser zu verstehen.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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