Emmanuel Macron: «Sie wissen es vielleicht nicht, aber Sie sind bereits Europäer»
Die Beziehungen zwischen Bern und Brüssel waren der rote Faden am ersten Tag des Staatsbesuchs des französischen Präsidenten in der Schweiz. Emmanuel Macron, der von seinem Schweizer Amtskollegen Alain Berset empfangen wurde, sprach sich für eine Beschleunigung der Verhandlungen aus.
Die Schweiz musste sich sechs Jahre lang gedulden, bevor sie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einem Staatsbesuch begrüssen konnte. Am frühen Mittwochnachmittag traf er in Begleitung seiner Frau Brigitte und einer grossen Delegation auf dem Flughafen Belp-Bern ein, wo er von Bundespräsident Alain Berset begrüsst wurde.
In der Bundeshauptstadt waren die Ungeduld und eine gewisse Anspannung bereits Stunden vor der Ankunft des Staatspräsidenten spürbar. Der Bundesplatz wurde für diesen Anlass vollständig abgeriegelt und stand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Auf den umliegenden Dächern waren Mitglieder der Sicherheitskräfte positioniert. Die französische, die europäische und die Schweizer Flagge wehten am Himmel.
Rund tausend Menschen hatten sich um den Bundesplatz versammelt, um die Ankunft von Emmanuel und Brigitte Macron zu beobachten, und schwenkten französische und Schweizer Fahnen. Um die Wartezeit zu überbrücken, konnten sie den millimetergenauen Aufbau der militärischen Zeremonie beobachten. Kleidung und die Position der Soldaten wurden mehrmals kontrolliert, Schuhe noch ein letztes Mal geputzt.
Sogar die Sonne liess sich blicken, als das Präsidentenpaar kurz vor 15 Uhr vor dem Bundeshaus auftauchte. Gemeinsam mit Alain Berset und seiner Frau Muriel Zeender Berset begrüssten sie alle Mitglieder des Bundesrates sowie die Delegationen der beiden Länder. Anschliessend schritten die Präsidenten über den roten Teppich auf dem Bundesplatz, bevor sie die Truppe inspizierten.
Nachdem die Nationalhymnen Frankreichs und der Schweiz erklungen waren, nahmen die beiden Präsidentenpaare ein Bad in der Menge, tauschten sich mit den Anwesenden aus und posierten für Selfies.
Diesmal gab es keine Zwischenfälle zu vermelden. Anders als beim letzten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten im Jahr 2015, als ein junger Mann mit François Hollande posierte – inklusive Stinkefinger. Der Schnappschuss hatte natürlich einen Skandal ausgelöst, zumal es sich bei dem Mann um einen Angestellten der Stadt Bern handelte.
«Die Schweiz braucht die Europäische Union»
Nach dem Begrüssungszeremoniell trafen sich die Präsidentendelegationen in der Wandelhalle des Bundeshauses, um ihre jeweiligen offiziellen Reden zu halten. Der französische Präsident legte Wert darauf, eine starke Botschaft zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa zu überbringen. «Die Europäische Union braucht die Schweiz, und ich glaube, dass die Schweiz auch die Europäische Union braucht», sagte er.
Nachdem der Bundesrat die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU im Jahr 2021 abgebrochen hatte, kündigte er kürzlich an, bis Ende des Jahres ein neues Verhandlungsmandat ausarbeiten zu wollen. Nach diesem ersten Schritt wollte Emmanuel Macron Ergebnisse in diesem Dossier sehen. «Frankreich unterstützt die Europäische Gemeinschaft in ihrem Willen, Fortschritte zu machen», betonte er.
«Die Schweiz ist nicht so isoliert inmitten Europas, denn man findet in ihr viel von Frankreich», sagte Bundespräsident Alain Berset seinerseits. Er legte Wert darauf, die vielen Gemeinsamkeiten und die historischen Verbindungen zwischen den beiden Ländern hervorzuheben, die zudem eine gemeinsame Sprache und Kultur haben.
Rund 210’000 Schweizer:innen leben in Frankreich – die grösste Schweizer Gemeinschaft im Ausland. Rund 163’000 französische Staatsangehörige leben hingegen in der Schweiz. Darüber hinaus arbeiten mehr als 220’000 Grenzgänger:innen in der Schweiz.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist Frankreich der fünftgrösste Handelspartner der Schweiz, nach Deutschland, den USA, Italien und China. Im Jahr 2022 belief sich der Wert des Handels zwischen den beiden Ländern auf 36,2 Milliarden Franken.
Die Eidgenossenschaft steht als ausländischer Investor in Frankreich an dritter Stelle, nach den USA und knapp hinter Deutschland. Frankreich seinerseits steht an vierter Stelle der ausländischen Investoren in der Schweiz.
Von Kriegen geprägte Reden
Emmanuel Macron sprach auch die Kriege und Konflikte in der Ukraine sowie im Nahen Osten, in der Sahelzone und in Berg-Karabach an. Er lobte insbesondere die Schweiz für «ihr klares, starkes Engagement, indem sie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt und die Sanktionen der EU wieder aufgenommen hat.» «Wir müssen in dieser Hinsicht weiter zusammenarbeiten und weiter gehen, jeder nach seinen Möglichkeiten», warnte er jedoch.
«Unsere Welt blutet», sagte seinerseits Alain Berset und bezog sich dabei auch auf das Wiederaufflammen der Gewalt in und vor Europa. «Es gibt sicherlich politische Lösungen, aber der nationale Rückzug ist keine davon», sagte er. In diesem Zusammenhang bezeichnete er den multilateralen und internationalen Ansatz von Emmanuel Macron als «Beispiel, dem man folgen sollte».
«Europa ist in den Genen der Schweiz»
Am Ende des Tages tauschten sich die beiden Präsidenten auch mit der schweizerischen und französischen Presse aus. Und auch hier war die europäische Frage zentral. «Sie wissen es vielleicht nicht, aber Sie sind bereits Europäer», sagte Emmanuel Macron. Und weiter: «Jeden Tag tauschen Sie sich aufgrund Ihrer geografischen Lage, aufgrund der Tatsache, dass Ihr Land offen ist, mit dem Rest Europas aus.»
In den Augen des französischen Präsidenten «ist Europa in den Genen der Schweiz». «Es gibt jedoch eine einzigartige Beziehung der Schweiz zu Europa, die wir alle lieben, die darin besteht, dass sie nicht der EU beitritt», kommentierte er.
«Die Schweiz ist zutiefst europäisch, durch ihre geografische Lage, aber auch durch ihre Werte und ihre Kultur», fügte der Bundespräsident hinzu. Er betonte, dass die Pflege einer stabilen Beziehung zur EU für die Schweiz von zentraler Bedeutung sei.
Alain Berset ging auch auf den Beschluss der Regierung ein, bis Ende des Jahres ein Mandat für Verhandlungen mit Brüssel zu verabschieden. «Dies ist ein wichtiger Schritt in unserer Strategie, die darauf abzielt, den bilateralen Weg mit der EU zu festigen und auszubauen», betonte er.
Hier können Sie die SRF-Berichterstattung des Staatsbesuchs nachsehen:
Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris
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