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Der lange Abschied von der Kohlekraft

Braunkohle-Kraftwerk, grün angemalt
Das Braunkohle-Kraftwerk Kladno in der Tschechischen Republik ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Alpiq. janmaly.cz

Alpiq, einer der grössten Schweizer Energiekonzerne, prüft den Verkauf seiner beiden Kohlekraftwerke in Tschechien. Das Unternehmen spricht von "strategischen Gründen" für die Devestition. Hintergrund sind finanzielle Risiken, die mit Kohlekraftwerken wegen der CO2-Emissionen verbunden sind.

Seit Jahren steht die Kohlekraft im Zentrum der Diskussionen um die künftige Energie- und Klimapolitik. Die Kohlekraft ist immer noch weit verbreitet, recht günstig, erzeugt aber beim Verbrennungsprozess grosse Mengen von Kohlendioxid, die eine zentrale Rolle für den Treibhauseffekt und Klimawandel spielen. Im Jahr 2013 trug die Kohlekraft 43% zum weltweiten Gesamtausstoss an CO2 bei.

Der grösste Kohle-Verbraucher weltweit ist China – mit 1887,6 Millionen Tonnen Öläquivalent (Stand 2016). Es folgen Indien (411,9) und die USA (358,4). In Europa wird die Rangliste von Deutschland angeführt (75,3 Millionen Tonnen Öläquivalent), gefolgt von Polen und der Türkei (Quelle: BP).

Deutschland gehört zudem zu den grössten Braunkohle-Produzenten der Welt. Es handelt sich um eine relativ junge Kohlenart (50-80 Millionen Jahre alt), die beim Verbrennen wesentlich mehr Kohlendioxid freisetzt als die wesentlich ältere Steinkohle. In den letzten Monaten kam es im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen zum erbitterten Widerstand von militanten Umweltschützern gegen den dort geplanten Braunkohleabbau.

In der Schweiz spielt Kohle nur eine untergeordnete Rolle. Gemäss der Gesamtenergiestatistik des BundesExterner Link deckt Kohlekraft 0,4% des gesamten Energieverbrauchs ab. Mehr als vier Fünftel der importierten Kohlekraft-Energie wird in Zementwerken verbraucht, die ihrerseits dabei sind, fossile Energieträger durch andere Energiequellen zu ersetzenExterner Link.

Die Schweiz und ausländische Kohlekraftwerke

Der Schweizer Energiesektor hat jedoch durchaus einen direkten Draht zur Kohlekraft. Denn diverse Schweizer Energieunternehmen, die international tätig sind, haben in den letzten Jahren in Kohlekraftwerke im Ausland investiert.

+ Schweizer Investitionen in Kohlekraft: Eine Übersicht ab dem Jahr 2010

Von den vier grössten Energielieferanten in der Schweiz (Axpo, Alpiq, BKW, Repower) haben sowohl AlpiqExterner Link als auch BKWExterner Link bedeutende Investitionen in Kohlekraftwerke getätigt. Gemäss Zahlen der Schweizerischen EnergiestiftungExterner Link stammten im Jahr 2017 genau 9% der von BKW in der Schweiz und im Ausland produzierten Energie aus Kohlekraft. Im Falle von Alpiq beträgt der Anteil sogar 13,9%.

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BKW besitzt eine 33-prozentige Beteiligung am Steinkohle-Kraftwerk Wilhelmshaven in Niedersachsen (Deutschland), das jüngst ins Kreuzfeuer der KritikExterner Link geriet. Den Betreibern wird vorgeworfen, Kohle aus kolumbianischen Bergwerken zu verwenden, in denen es zahlreiche Fälle von Menschenrechts-Verletzungen gibt. 2009 musste die BKW bereits auf die Beteiligung an einem geplanten Kraftwerk in Dörpen, ebenfalls in Niedersachsen, verzichten.

Auch RepowerExterner Link, die teilweise von AxpoExterner Link kontrolliert wird, hat einen Versuch gestartet, in die Kohlekraft zu investieren. Das Bündner Unternehmen hat jedoch 2012 aus wirtschaftlichen Gründen das Projekt für das Kohlekraftwerk in Brunsbüttel (Deutschland) aufgegeben.

2016 verzichtete Repower zudem definitiv auf die Beteiligung am Projekt eines Kohlekraftwerkes in Saline Joniche in Kalabrien. Dieser Entscheid erfolgte, nachdem sich das Bündner Stimmvolk zwei Mal gegen Investitionen in Kohlekraft für Unternehmen ausgesprochen hatte, an denen der Kanton beteiligt ist.

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Auch im Kanton Tessin äusserten sich im Jahr 2011 die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an der Urne zur Frage, ob ein öffentliches Energieunternehmen wie die kantonale AET (Azienda elettrica ticineseExterner Link) Investitionen in Kohlekraft tätigen sollte. Die Mehrheit der Stimmbürger entschied in diesem Fall, dass keine neuen Investitionen getätigt werden sollten, die AET aber zugleich ihre bereits erworbenen Beteiligungen am Kohlekraftwerk in Lünen (Nordrhein-Westfalen) bis 2035 behalten dürfe.

«Strategische Gründe»

Alpiq prüft nun den Verkauf ihrer beiden thermischen Kraftwerke KladnoExterner Link und ZlínExterner Link in der Tschechischen Republik. Sie sollen aus «strategischen Gründen» verkauft werden.

Die beiden Kraftwerke in Tschechien «performen gut», hält Alpiq-Sprecherin Sabine Labonte gegenüber swissinfo.ch in einer schriftlichen Stellungnahme fest. Das Ziel von Alpiq sei aber eine europaweit kohlefreie Stromproduktion. «Damit setzt Alpiq die Fokussierung auf ihr Kerngeschäft in einer zunehmend dekarbonisierten, digitalisierten und dezentralen Energiewelt fort», schreibt Labonte.

Alpiq hatte bereits 2012 versucht, die beiden Kohlekraftwerke in Tschechien für eine halbe Milliarde Franken zu verkaufen, wie Radio SRF berichteteExterner Link. Doch die Angebote seien damals zu tief gewesen. Zum jetzt angestrebten Verkaufspreis und über mögliche Interessenten will sich das börsenkotierte Unternehmen nicht äussern.

Die Risiken der Kohlekraft

Für Rolf WüstenhagenExterner Link ist die Strategie von Alpig «ein vernünftiger Schritt». Er ist Professor für Management Eneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen und Berater der Schweizer Regierung für die Energiestrategie 2050Externer Link.

Allerdings ist Wüstenhagen angesichts der Risiken im Kohlenstoffmarkt «ein bisschen skeptisch, ob es gelingen wird, wirklich einen Käufer zu finden». Er verweist darauf, dass Alpiq schon vor fünf Jahren versucht hat, diese Kraftwerke zu verkaufen. «Damals lag der CO2-Preis in Europa noch bei fünf Euro pro Tonne CO2, inzwischen beträgt er fast 20 Euro pro Tonne», so Wüstenhagen.

Die Schwierigkeiten lassen sich am Fall Vattenfall aufzeigen. Vor zwei Jahren verkaufte der schwedische Energiekonzern Braunkohle-Kraftwerke in Ostdeutschland. Das Unternehmen erhoffte sich aus dem Verkauf Einnahmen in Höhe von mehreren Milliarden Euro, doch am Ende musste das Unternehmen 1,7 Milliarden Euro aus der eigenen Tasche draufzahlen.

Die Kraftwerke wurden von der tschechischen Holding EPH übernommen. «Im Extremfall, wenn man noch Geld dazu gibt, gibt es durchaus noch Leute, die Kohlekraftwerke übernehmen möchten», kommentiert Wüstenhagen.

Die «Kohlenstoff-Blase»

Die mit der Kohlekraft verbundenen Risiken beschränken sich nicht nur auf die Emissionszertifikate. In Fachkreisen und unter Finanzexperten spricht man schon seit Jahren von einer «Carbon bubble»Externer Link, einer Kohlenstoff-Blase.

Gemeint ist damit eine angenommene Überbewertung von Unternehmen im Bereich fossiler Brennstoffe (Kohle, Gas, Erdöl), da diese auf dem Umfang und der Nutzung bekannter Lagerstätten beruht.

Auf Grund der eingeleiteten Massnahmen zum Klimaschutz und zum Erreichen des Klimaziels (der Temperaturanstieg der Erde soll gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter nicht mehr als zwei Grad betragen) könnte indes ein Grossteil der bereits bekannten Lagerstätten unangetastet bleiben.

«Der Gouverneur der Bank von England, Mark Carney, hat schon vor drei Jahren davor gewarnt», hält Wüstenhafen fest. «Firmen wie Alpiq oder vor zwei Jahren Vattenfall (…) versuchen, sich ein Stück weit gegenüber diesen Risiken im Kohlenstoff-Markt abzusichern.»

Lieber Schliessen statt verkaufen

Aus Sicht des Klimaschutzes macht der Verkauf von Kohlekraftwerken, die grosse Mengen an CO2 ausstossen, keinen grossen Sinn. «Diese Werke müssten eigentlich geschlossen, nicht verkauft werden», sagt Florian Brunner, Projektleiter Fossile Energien & Klima bei der Schweizerischen EnergiestiftungExterner Link.

Auch in dieser Hinsicht hat der Fall Vattenfall bereits Geschichte geschrieben: Unter den interessierten Käufern war nämlich auch Greenpeace SchwedenExterner Link. Die Nichtregierungs-Organisation schlug vor, die Kraftwerke an eine Stiftung zu übertragen, die von Vattenfall sowie der schwedischen und deutschen Regierung finanziert werden sollte, um die Anlagen bis 2030 zu schliessen. Gemäss Greenpeace stellten diese Kraftwerke keinen Wert, sondern Kosten dar. Die für die Transaktion beauftragte Bank Citigroup schloss Greenpeace jedoch von der Versteigerung ausExterner Link.

In Zukunft könnte möglicherweise die öffentliche Hand dazu übergehen, Kohlekraftwerke stillzulegen. In diese Richtung weist jedenfalls die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und BeschäftigungExterner Link, die gemeinhin unter dem Namen «Kohlekommission» bekannt ist und von der deutschen Regierung eingerichtet wurde, um einen Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohlekraft zu erarbeiten.

Die KohlekommissionExterner Link hätte zur 24. UNO-Klimakonferenz, die vom 3. bis 14. Dezember 2018 in Katowice (Polen) stattfindet, eine Liste mit Empfehlungen vorlegen sollen, doch der abschliessende BerichtExterner Link wird nun für Februar erwartet, weil die Frage des Arbeitsplatz-Abbaus in diesem Sektor noch eingehender geprüft werden soll.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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