«Die Technologien sind da, jetzt braucht es Markt»
Die Energiestrategie der Schweiz ist die erste und bisher einzige, die vom Volk legitimiert wurde. "Darin liegt ihr Wert", sagt Rolf Wüstenhagen; er ist Professor für das Management erneuerbarer EnergienExterner Link an der Universität St. GallenExterner Link. Er begleitete die Entwicklung der nun beschlossenen „Energiestrategie 2050“ als Beirat.
swissinfo.ch: Herr Wüstenhagen, schafft die Schweiz die Energiewende ohne Kohlestrom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich?
Rolf Wüstenhagen: Ich bin zuversichtlich nach diesem klaren Ja.
swissinfo.ch: Und hat sie künftig genügend Energie, auch im Winter?
R.W.: Ich denke schon, es gibt dafür eine ganze Reihe von Lösungsansätzen. Das Land verfügt über viel Wasserkraft, diese kann zur saisonalen Speicherung beitragen. Ich spreche von ganz normalen Stauseen, die auf den Winter hin gefüllt werden.
swissinfo.ch: Es braucht also zusätzliche Stauseen?
R.W.: Das hängt davon ab, wie man den Stromerzeugungspark ausbaut. Wenn man nur auf Solarenergie setzt, dann entstehen ausgeprägte saisonale Schwankungen: im Sommer sehr viel Strom und im Winter recht wenig. Mit einem Mix von Solar- und Windenergie sieht es schon sehr viel besser aus, weil der Wind im Winterhalbjahr mehr weht als im Sommerhalbjahr.
swissinfo.ch: Liegt in der Solartechnologie noch Potenzial?
R.W.: Es gibt viele Forscher auf der Welt, die noch immer an verbesserten Wirkungsgraden der Solarenergie tüfteln. Das wird sich Schritt für Schritt noch etwas erhöhen. Grundsätzlich ist die Technologie aber ausgereift. Potenzial liegt in der breiten Anwendung. Man kann noch viel mehr Solarzellen auf die Dächer von Schweizer Häusern setzen. Bayern ist innerhalb eines Jahrzehnts von 1 auf 12 Prozent Solarstromanteil gekommen. Am Anfang wurde dieser Strom sehr grosszügig gefördert. Doch mit der Zeit sind die Kosten der Photovoltaik so stark gesunken, dass es heute für Hausbesitzer tatsächlich günstiger ist, den eigenen Strom zu produzieren, als ihn vom Elektrizitätswerk zu beziehen.
swissinfo.ch: Dieser Strom geht aber nicht ins Netz, der bleibt im Haus.
R.W.: Langfristig ist es ein gutes Modell, den Strom da zu produzieren, wo man ihn braucht. Heute sind noch praktisch alle Häuser mit dem Stromnetz verbunden. Da gibt es aber auch ein Abwägen, das kennt man von Schweizer Alpen. Nicht überall lohnt es sich, eine Stromleitung zu legen.
swissinfo.ch: Dafür braucht es aber Batterien.
R.W.: Ja, und diese Entwicklung wird im Moment sehr stark getrieben von der Elektromobilität. Tesla macht vorwärts, auch die anderen Batteriehersteller investieren stark. Der Trend geht auch hier hin zur Massenproduktion. Dadurch sinken die Kosten, so wie man das bei der Photovoltaik in den letzten Jahren gesehen hat. In beiden Fällen haben technologische Entwicklungen Schritt für Schritt die Wirkungsgrade verbessert – und gleichzeitig hat die Massenproduktion die Kosten gesenkt.
«Die ganz grossen Potenziale liegen im Gebäude- und Verkehrsbereich. Es gibt nun die ersten Häuser die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen.»
swissinfo.ch: Wie sieht es beim Wind aus? Die ganz grossen Windpärke sind in der Schweiz kaum denkbar.
R.W.: Es gibt nicht viel Platz, aber durchaus gute Windstandorte, etwa im Rhônetal im Wallis und im Jura. Die sind von der Produktion her mit Küstenstandorten in Deutschland vergleichbar. Alles in allem sind die technischen Bedingungen gut, die grosse Herausforderung wird sein, in einem dicht besiedelten Land die Anwohner zu überzeugen.
swissinfo.ch: Einfacher wäre, die Anlagen auszulagern.
R.W.: Das war in den letzten Jahren der Trend. Die Schweizer Energieversorger kauften in Deutschland oder Frankreich fertige Windparks, das ging schneller als die langwierigen Verfahren in der Schweiz. Die Frage ist, ob die dortigen Einwohner die Beeinträchtigungen für ein anderes Land längerfristig in Kauf nehmen wollen.
swissinfo.ch: Ein Blick auf die Energie aus der Erde. Geothermie-Versuche in Basel und St. Gallen sind gescheitert. Ist diese Technologie erledigt?
R.W.: In der Tat haben wir die Geologie derzeit noch nicht genügend im Griff, um diese anspruchsvollen Projekte voranzubringen. Doch man muss sortieren: Was sind die Technologien, die uns in den nächsten beiden Jahrzehnten im grossen Massstab helfen können? Und was sind Forschungsthemen, die später dazukommen könnten? Vom Mix her braucht es beides, also Technologien, die zeitnah helfen können, das sind heute eher Solar- und Windenergie. Als Option für die nächste Generation sehe ich die Geothermie durchaus.
swissinfo.ch: Wo gibt’s sonst noch Potenzial?
R.W.: Die ganz grossen Potenziale liegen im Gebäude- und Verkehrsbereich. Es gibt nun die ersten Häuser die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Man kann in diese Richtung gehen. Auch hier besteht die Herausforderung nicht in der Technologie, sondern darin, die bestehenden Möglichkeiten in den Markt zu bringen. Man muss also dafür sorgen, dass nach dem heute technisch Möglichen gebaut wird und nicht nach dem Stand der Technik vor 20 Jahren.
swissinfo.ch: Und bei der Mobilität?
R.W.: Sie beansprucht rund ein Drittel des Energieverbrauchs. In den letzten Jahren wurde mit besserer Technik etwas bewirkt, die Fortschritte wurden aber aufgefressen von schwereren Fahrzeugen. Es braucht also einen Quantensprung. Die Elektromobilität bietet dafür eine Möglichkeit. Ein Auto mit Verbrennungsmotor hat einen Wirkungsgrad von 15 bis 20 Prozent, bei einem Elektroauto sprechen wir von 80 bis 90 Prozent.
«Es ist wie immer in der direkten Demokratie, es geht ein bisschen langsamer, aber dafür gründlicher.»
swissinfo.ch: Wo stehen wir als kleines Land in Europa und der Welt im Vergleich zu andern, die auch an der Energiewende arbeiten?
R.W.: Es ist wie immer in der direkten Demokratie, es geht ein bisschen langsamer, aber dafür gründlicher. Die Energiestrategie der Schweiz ist nicht die ambitionierteste, die es in Europa im Moment gibt, aber es ist die erste und bisher einzige, die direkt vom Volk legitimiert wurde. Darin liegt ihr Wert.
swissinfo.ch: Der gesteuerte Markt mit Subventionen führte bei den Gegnern zum Vorwurf der Planwirtschaft. Sie kommen von der marktwirtschaftlichen Seite. Was entgegnen Sie?
R.W.: Der Staat war schon immer sehr stark involviert und wird wohl auch künftig involviert bleiben. Die meisten Stromversorger gehören seit 100 Jahren den Gemeinden oder den Kantonen. Zudem gilt: Ein guter Markt braucht Spielregeln – und die kommen vom Souverän oder eben vom Staat. Man kann die Regeln durchaus so setzen, dass private Akteure in das Geschäft eintreten, dass Markt entsteht. Nehmen Sie etwas das Bild der vielen Hausbesitzer mit ihrer Solaranlage auf dem Dach und ihrer Batterie im Keller: viele dezentrale Akteure, kein Monopol mehr. Das ist Markt.
swissinfo.ch: Ist das der Weg, den die Schweiz nun vor sich hat?
R.W.: Wohin die Reise geht, ist offen. Wenn sie in Richtung Offshore-Windparks in der Nordsee geht, dann erfordert dies einen Ausbau der internationalen Übertragungsnetze. Geht sie mehr in die dezentrale Stromerzeugung, dann braucht es intelligente Verteilnetze, bis hin zu Nachbarschaftsnetzen. Ich denke wir werden eine Mischung haben aus dezentralen und zentralen Energielieferanten.
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