Enthüllung der Geheimnisse des Ölbarons
Der Rohstoffhändler Marc Rich wird als Inbegriff des Bösen bezeichnet. Die Biografie des Schweizer Journalisten Daniel Ammann "The King of oil" zeigt den Milliardär weder als Heiligen noch als Sünder.
In der Biografie von Daniel Ammann spricht Marc Rich erstmals ausführlich über sein Leben.
swissinfo.ch: Sie haben sich eingehend mit der Person Marc Rich beschäftigt. Wer ist er?
Daniel Ammann: Ich halte ihn für eine ambivalente Person und als Rohstoffhändler arbeitet er gewissermassen im Graubereich des Kapitalismus.
Ich war erstaunt wie charmant er ist, er gilt ja als Inbegriff des Bösen und als sehr arrogant und skrupellos bezeichnet.
Doch es ist klar, Rich war einer der grössten Rohstoffhändler des 20. Jahrhunderts – da braucht es auch eine gewisse Gerissenheit.
swissinfo.ch: Ist er tatsächlich der grösste Steuerbetrüger aller Zeiten?
D.A.: Er war es für den US-Staatsanwalt Rudolph Giuliani, der Marc Rich strafrechtlich verfolgte. Doch ich denke, dass es sich dabei vielmehr um einen PR-Aktion von Giuliani handelte. Ich persönlich glaube nicht, dass er es ist.
swissinfo.ch: In Ihrem Buch zitieren Sie den Schweizer Politiker Josef Lang, der Rich als «Blutsauger der Dritten Welt» bezeichnet hatte.
D.A.: In den meisten rohstoffreichen Länder werden Demokratie und Menschenrechte nicht gross geschrieben. Der Rohstoffhandel ist ein sehr heikles Geschäft – ein Geschäft mit korrupten Ländern, die ihre eigenen Leute ausbeuten.
Man muss aber auch sagen, dass Rich zahlreichen afrikanischen Ländern half, ihre Ressourcen unabhängig von grossen multinationalen Konzernen abzubauen.
swissinfo.ch: Was machte Marc Rich so erfolgreich?
D.A.: Er war ein sehr, sehr guter Händler. Er hat eine gute Nase und ein Gespür für neue Trends. Rich realisierte schon früh, dass der Rohstoffhandel von den multinationalen Konzernen zu den Regierungen überging, welche die Ressourcen selber abbauen wollten. Diese wollten unabhängige Händler – und Marc Rich war einer der ersten, vor allem im Ölgeschäft. Deshalb auch der Titel «The King of oil» (Der Ölbaron).
Rich schaffte es, Geschäftspartner wie etwa Iran und Israel nach dem Sturz des Schah zusammenzubringen. Ich denke, dass war einer der grössten Erfolge.
Interessant ist, dass in den 1970er-Jahren – kurz bevor er sich als Händler selbstständig machte -, Iran unter dem Schah mit Israel eine geheime Pipeline unterhielt. Ein Jointventure belieferte Israel mit Öl – und es war Marc Rich, der das Öl transportierte und die Pipeline benutzte.
swissinfo.ch: Wie geriet er in Schwierigkeiten?
D.A.: Das Problem war in den USA. Rich hatte Pech, dass er versuchte Geld zu machen, indem er gegen die Preisregulierung verstiess. Und da war der sehr ambitionierte Rudy Giuliani, der später Bürgermeister von New York und sogar Kandidat für die US-Präsidentschaftswahlen wurd. Ich denke, Giuliani realisierte, dass Rich ein Riesenfall für ihn war und ihm für die politische Karriere dienen könnte.
swissinfo.ch: Sie sagen, die Schweiz sei für ihn ein ‹Goldener Käfig›, wo er vor Problemen mit der Gesetzgebung in Sicherheit ist.
D.A.: Er wurde von den US-Behörden weltweit gejagt. Es wurde sogar versucht, ihn hier in der Schweiz zu kidnappen, was nach schweizerischem Recht natürlich völlig illegal war.
Deshalb war er äusserst vorsichtig, wohin er reiste – deshalb sage ich dass die Schweiz für ihn ein ‹Goldener Käfig› war. Hier war er zwar in Sicherheit, aber er musste doch sehr aufpassen, wenn er irgendwo hinflog.
Zum Beispiel musste er den US-amerikanischen Luftraum vermeiden, wenn er in die Karibik oder nach Südamerika reiste.
swissinfo.ch: Seine Scheidung von Denise fand grossen Widerhall in den Medien. Denken Sie, dass ihre Schenkung an die Demokratische Partei in den USA ausschlaggebend war, dass Bill Clinton ihn am letzten Tag seiner Präsidentschaft begnadigte?
D.A.: Ich denke schon, dass Denise Rich stark daran beteiligt war – sie war mit Clinton befreundet. Ihre Wünsche stiessen sicher auf offene Ohren, da sie ja eine der wichtigsten Sponsoren der Demokraten war.
Sie war zwar Türöffnerin, dennoch denke ich, dass es andere Gründe gab, weshalb Clinton Rich begnadigte. Eine wichtige Rolle spielten Vertreter Israels, die ein gutes Wort für Rich einlegten. Rich war den Israelis eine grosse Hilfe, was Erdöl betrifft. Auch arbeitete er mit dem Geheimdienst Mossad zusammen.
Ausserdem hatte Clinton ein gewisses persönliches Verständnis für Rich, nachdem er selbst wegen seiner Monica-Lewinsky-Affäre derart vor die Öffentlichkeit gezerrt worden war.
swissinfo.ch: Haben Sie eine Antwort auf die Frage, weshalb die Schweizer Behörden den Regisseur Roman Polanski festnahmen, Marc Rich aber nicht?
D.A.: Marc Rich war eines Vergehens angeklagt, das nach Schweizer Recht keine Auslieferung zur Folge hat. Noch wichtiger ist der Umstand, dass der kalifornische Staatsanwalt, der Polanski unbedingt ausgeliefert haben wollte, keine Fehler beging.
Er fragte die Schweiz ganz offiziell um Unterstützung an. Giuliani hingegen, der für den Fall Rich verantwortlich war, kümmerte sich überhaupt nicht um die Souveränität der Schweiz.
Er setzte sich sogar über sie hinweg, und fragte mehr als ein Jahr lang die Schweiz überhaupt nicht an. Die hiesigen Behörden waren ihm deshalb nicht besonders gewogen. Das dürfte der Grund sein, weshalb ihm die Schweiz zu guter Letzt überhaupt nicht half.
Robert Brookes, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser, Alexander Künzle)
Der 74-jährige Marc Richard, einer der erfolgreichsten Rohstoffhändler überhaupt, ist eine kontroverse Person.
1983 wurde er für illegalen Handel mit Iran sowie für Steuerhinterziehung angeklagt. Seither ist Rich nie mehr in die USA zurückgekehrt – aus Angst vor einer Verhaftung.
US-Präsident Clinton sprach an seinem letzten Amtstag für Rich eine Amnestie aus. Eine Begnadigung, die grosses Unverständnis und Wut auslöste.
Der 1963 geborene Daniel Ammann ist Wirtschaftsjournalist der Weltwoche.
2007 wurde er mit dem Georg von Holtzbrinck Preis für Wirtschaftspublizistik in der Kategorie Print für seine Artikel «Das Geheimnis Marc Rich» und «Sehnsucht nach der Kolonialzeit» ausgezeichnet.
An der Biographie über Marc Rich mit dem Titel «King of oil» arbeitete Ammann rund eineinhalb Jahre. Er führte während rund 30 Stunden Interviews mit dem in der Schweiz lebenden Rohstoffhändlers.
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