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Entwicklungshilfe stoppen, um Putschisten zur Räson zu bringen

Demonstration
Proteste gegen den Militärputsch in Mandalay, Myanmar, am 22. März 2021. Keystone / Stringer

Nach einem Putsch, bei schweren Menschenrechtsverletzungen und gegenüber korrupten Regimes stehen Geberländer vor einem Dilemma: Stoppen sie die Entwicklungshilfe, lassen sie die Bevölkerung im Stich. Zahlen sie weiter, halten sie möglicherweise problematische Regierungen an der Macht und verlängern Kriege. Wie handhabt das die Schweiz?

Nach dem Militärputsch in Myanmar im Februar 2021 fror die EU ihre Entwicklungshilfegelder ein. Kurz darauf stoppte auch die Schweiz ihre Zahlungen. DeutschlandExterner Link hat die Entwicklungszusammenarbeit mit Myanmar schon lange vor dem Putsch ausgesetzt – weil der burmesische Staat die muslimische Minderheit der Rohingya nicht schützte.

Was der Militärputsch in Myanmar für die internationale Zusammenarbeit und  Entwicklungsprojekte bedeutet, hat SRF im Echo der Zeit vom 15.02.2021 berichtet:

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Aber darf man Entwicklungshilfe aussetzen, weil eine zweifelhafte Regierung an die Macht kommt? Kann man ein Empfängerland dazu bringen, die Menschenrechte zu respektieren, wenn man die Zahlung davon abhängig macht? Oder verursacht man mit dem Stopp von Entwicklungshilfe grosses Leid in der Bevölkerung? Über diese Fragen sind sich europäische Länder uneinsExterner Link.

Länder handhaben es unterschiedlich

Belgien zum Beispiel setzte 2015 wegen der Menschenrechtsverletzungen Teile seines Hilfsprogramms für Ruanda aus. Als Uganda 2014 die Strafen für Homosexualität verschärfte, stoppten Dänemark und die Niederlande ihre bilateralen Hilfsprogramme. Frankreich ist zurückhaltender und tut dies nur nach Staatsstreichen.

  • Deutliches Zeichen setzen gegenüber Empfängerland
  • Druck aufsetzen – ähnlich wie bei Sanktionen
  • Innenpolitische Überlegungen im Geberland
  • Image der Entwicklungshilfe nicht beschädigen
  • Zielerreichung ist in Frage gestellt
  • Sicherheitsüberlegungen in Bezug auf das Personal

Einen gänzlich anderen Ansatz wählt China: Die Grossmacht mischt sich nicht in die Innenpolitik der Empfängerländer ein. Das führt zu Verschiebungen in den Machtverhältnissen: «Zum ersten Mal können Entwicklungsländer wählen, ob sie lieber mit westlichen Ländern oder mit China zusammenarbeiten», sagt Fritz Brugger, Politikwissenschaftler am ETH-Zentrum für Entwicklung und Zusammenarbeit (NADEL)Externer Link, der selbst viele Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war.

Gewisse Willkür bei Entscheiden der Schweiz

Und wie handhabt es die Schweiz? Für den Stopp der Entwicklungshilfe nach Staatsstreichen, Menschenrechtsverletzungen oder unkooperativem Verhalten gibt es in der Schweiz keine gesetzliche Grundlage. Der Bundesrat entscheidet nach eigenem Gutdünken, situativ.

«Da gibt es durchaus einen gewissen Spielraum», sagt Brugger. Aber schon der Entscheid, in welchen Ländern Entwicklungshilfe geleistet werde, sei arbiträr, die Schweiz könne schliesslich nicht in allen Ländern der Welt präsent sein.

«Solche Entscheidungen des Bundesrates sind immer problematisch. Er könnte immerhin das Parlament informieren, wenn solche Entscheide anstehen, denn nur selten muss rasch entschieden werden», sagt Aussenpolitikerin Yvette Estermann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Eine Vorinformation des Parlaments via Aussenpolitische Kommission verlängere zwar möglicherweise die Entscheidfindung, ermögliche dafür aber eine nachhaltige Lösung und beuge Kritik am Bundesrat vor.

Aussenpolitiker Fabian Molina von der Sozialdemokratischen Partei (SP) hingegen findet es richtig, dass der Bundesrat allein entscheidet. «Gerade bei einem Putsch muss es schnell gehen», sagt er. Es gehe im Falle Myanmars zudem bloss um einen vorübergehenden Entscheid. «Wenn die Schweiz sich definitiv aus einem Land zurückziehen will, muss der Bundesrat die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments konsultieren.»

Laut Brugger darf man bei den Entscheiden des Bundesrates die innenpolitische Dimension nicht unterschätzen. Bei der Abwägung spiele auch politisches Kalkül rein: «Der Bundesrat will unter anderem auch verhindern, dass jene Kräfte, die der Entwicklungshilfe ohnehin skeptisch gegenüberstehen, die Situation nutzen, um die Entwicklungshilfe als Ganzes in Frage zu stellen.»

Ein Mord führt zu Entwicklungshilfe-Stopp

Dass innenpolitische Motive zur Streichung der Entwicklungshilfe führen können, zeigt das Beispiel Madagaskars: Im Jahr 1996 wurde der Schweizer Entwicklungshelfer Walter Arnold in der madagassischen Hauptstadt Antananarivo stranguliert. Das Entsetzen in der Schweiz war gross, der Bundesrat musste eine Beruhigungspille finden, um die Wogen zu glätten.

Und er fand sie: Weil sich die madagassischen Behörden bei der Aufklärung der Tat angeblich unkooperativ verhielten, schloss die Schweiz das Büro der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Antananarivo und strich Madagaskar von der Liste der Schwerpunktländer.

Walter Arnold
Walter Arnold. Keystone / Archive

Aus der Retrospektive ist dieser Entscheid brisant, um nicht zu sagen stossend: Inzwischen steht nämlich der Verdacht im RaumExterner Link, Arnold sei umgebracht worden, weil er seine Schweizer Arbeitskollegen der Zweckentfremdung von Entwicklungshilfegeldern überführt habe – unter anderem soll der damalige Vizedirektor der Deza mit Schweizer Mitteln ein Bordell betrieben habenExterner Link. 2017 hat die Bundesanwaltschaft das VerfahrenExterner Link wieder aufgenommen.

Möglicherweise hatten der Mord und die schlampigen Ermittlungen also mehr mit der Schweiz zu tun als mit Madagaskar. Zum Schwerpunktland wurde Madagaskar trotzdem nicht mehr. Drei Jahre nach dem Rückzug war die Schweiz immerhin mit einem Spezialprogramm wieder präsent.

Mit Entwicklungshilfe Kriege verlängern

In Burma ist es laut Brugger offensichtlich, dass man die Entwicklungshilfe aussetzen muss: «Wegen des Militärputsches ist es fraglich, ob die Schweiz und Myanmar die gemeinsam vereinbarten Ziele überhaupt erreichen könnten.»

Schwieriger sei es in Ländern, wo es schleichende Verschiebungen hin zu einem autoritären Regime gebe. Zum Beispiel in Mozambique, wo sich ehemalige Befreiungskämpfer kontinuierlich zu einem hochkorrupten Regime formiert haben, das Politik, Verwaltung und Wirtschaft kontrolliert. «In Mozambique tun sich die Geberländer schwer, eine klare Haltung zu finden», so Brugger. «Sie reflektieren oft zu wenig, wie sie mit ihrem Geld helfen, die korrupte Regierung an der Macht zu halten.»

Regierung
Mosambiks Präsident Filipe Nyusi, rechts, während seiner Amtseinführungszeremonie in Maputo, Mosambik, am 15. Januar 2020. Nyusi wurde für eine zweite und letzte Amtszeit vereidigt, nach fünf turbulenten Jahren im Amt inmitten zweier bewaffneter Aufstände. Copyright 2020 The Associated Press. All Rights Reserved.

Ein solches Dilemma sieht Aussenpolitiker Fabian Molina nicht. «Die Schweiz arbeitet nicht mit Regierungen zusammen, sondern mit der Zivilgesellschaft.» Man sei schon auch auf lokale Stellen angewiesen, aber in der Hauptsache arbeite die Schweiz mit der Bevölkerung und NGOs zusammen.

Schwieriger sei die Frage der Sicherheit: «Bürgerkriege oder Repression können für Mitarbeitende so gefährlich werden, dass man sich fragen muss, ob die Arbeit noch geleistet werden kann.» Die meisten Empfängerländer hätten Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie, das sei kein Grund zum Rückzug.

Laut Brugger kann man mit dem Stopp von Entwicklungshilfe zwar ein Stück weit Druck aufbauen für positive Veränderungen. Er gibt aber zu bedenken: «Manche Empfängerländer machen Reformen auf dem Papier, um wieder zu Geld zu kommen.» Damit sei das Problem nicht gelöst.

Einen Schritt weiter geht Aussenpolitikerin Yvette Estermann: Ihrer Meinung nach sollte die Schweiz grundsätzlich nur mit kooperativen Staaten Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Sie bezieht das kooperative Verhalten nicht nur auf die Menschenrechtslage und Demokratie im Empfängerland, sondern auch auf schweizerische Interessen: Wer beispielsweise bei der Rückübernahme abgewiesener Asylbewerber bocke, solle keine Entwicklungshilfegelder bekommen. Doch auch Estermann gibt zu bedenken: «Eines ist klar: Vor Ort zu bleiben und Beziehungen zu pflegen, statt abzubrechen, ist die beste Möglichkeit, um dort eine ständige und wirksame Einflussnahme auszuüben.»

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