«Entwicklungshilfe war immer Teil der Aussenpolitik»
Botschafter Thomas Gass von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza erklärt, warum die Schweiz Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zusammenführt – und wehrt sich gegen den Vorwurf, unter der Knute des Aussendepartements zu stehen.
swissinfo.ch: Bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza bleibt kein Stein auf dem anderen. Können Sie die Reorganisation kurz skizzieren?
Thomas Gass: Es geht darum, die Deza an neue Herausforderungen anzupassen, wirksamer zu gestalten. Dazu müssen wir auch interne Prozesse hinterfragen und verbessern.
Wir wollen Strukturen, in denen wir die vom Parlament genehmigte Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 optimal umsetzen können.
Das heisst konkret?
Die bestehenden Bereiche gibt es zukünftig nicht mehr, sie werden neu als Abteilungen geführt. Es sind sieben, darunter drei geografische, die sowohl die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit als auch der humanitären Hilfe koordinieren werden.
Warum diese Reorganisation? Passt sich die Schweiz damit den internationalen Tendenzen an?
Für bestimmte Elemente der Reorganisation trifft es zu, dass sich die Schweiz an internationalen Entwicklungen orientiert: Im Februar 2019 wurde in der OECD eine Resolution zur Verbindung von humanitärer Hilfe, Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet. Die Schweiz und andere Länder nehmen sich vor, diese Instrumente noch besser zu kombinieren.
Im Feld haben wir das bereits getan, aber in der Zentrale war das bisher noch zu wenig der Fall. Die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit hatten bisher ihre eigenen Länder-Desks und ihre eigene Engagement-Logik. Durch das Zusammenführen der Instrumente kann man viele Synergien nutzen.
Die Stärke der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit ist ihre Präsenz im Feld. Wir haben sehr kompetente Personen und Teams vor Ort, die sehr gut mit den Botschaften und anderen Einheiten des EDAs und des Bundes zusammenarbeiten. Das ist eine Stärke der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Die Reorganisation soll das weiter fördern.
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Zu den Stärken der Schweiz gehört auch, dass sie in schwierigen Kontexten im Land bleibt – im Unterschied zu anderen Ländern.
Genau. Die Zusammenführung der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit ist auch dafür hilfreich.
In der Deza brodelt es, die Reorganisation sorgt beim Personal für Unruhe, mancher König oder manche Königin wird entthront. Gibt es schmerzhafte Abgänge und Knowhow-Verlust?
Es stimmt, dass gewisse Personen wechseln. Aber das ist im EDA schon lange der Fall, dass es ein Rotationssystem gibt, wodurch die Mitarbeitenden etwa alle vier Jahre die Stelle wechseln. Ich würde also nicht sagen, dass wir durch die Reorganisation Wissen verlieren.
Ziel dieser Reorganisation ist, das Zusammenwirken der verschiedenen Instrumente zu verbessern, und die politische Arbeit auf internationaler Ebene noch stärker zu verbinden mit der Erfahrung im Feld. Wir möchten auch sicherstellen, dass wir zukünftig schlanke, effiziente Prozesse haben und dass wir die richtigen Personen am richtigen Platz haben.
Wenn wir diese Ziele erreichen, wird dadurch die Erfahrung der Vergangenheit noch stärker genutzt.
Mit der Zusammenlegung der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit werden zwei unterschiedliche Kulturen zusammengeführt. Welche wird die Oberhand behalten?
Es geht nicht darum, dass eine Kultur die Oberhand behält. Ich sehe auch keine Anzeichen dafür. Es ist wichtig, dass wir die Instrumente und das Fachwissen aus beiden Bereichen weiterhin gut beherrschen und sie noch besser miteinander kombinieren können.
Sie selbst sind ursprünglich Ingenieur. Gefällt Ihnen die Richtung, in die sich die internationale Zusammenarbeit entwickelt?
Allgemein oder in der Deza?
Beides!
Es gibt ein paar sehr wichtige Veränderungen im Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit. Einige sind positiv, andere sind problematischer. Es gibt anhaltende Krisen, in vielen Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, auch eine gewisse Tendenz zur Autokratie. Und wir sind als internationale Gemeinschaft nicht wirksam genug, um den Klimawandel zu verlangsamen.
Auf der positiven Seite kann man sagen, dass es weiterhin ein starkes Engagement für den Multilateralismus gibt. Viele Nationen sind sich bewusst, dass sie voneinander abhängig sind. Die Covid-Pandemie hat das bekräftigt. Ein Ausdruck davon sind etwa die Agenda 2030 mit den Entwicklungszielen oder das Pariser Abkommen zum Klimawandel. Diese Entwicklungen zeigen, dass wir im selben Boot sitzen und einander helfen müssen.
Die Deza steht immer stärker unter der Knute des Aussendepartements. Neu entscheidet sogar die Personalabteilung des Aussendepartements darüber, wohin Deza-Mitarbeitende versetzt werden. Wird Entwicklungszusammenarbeit zum aussenpolitischen Vehikel?
Die Deza ist eine wichtige Direktion innerhalb des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten und die Entwicklungszusammenarbeit war schon immer Teil der Aussenpolitik. Aber es stimmt nicht, dass die Deza nicht selber ihre Personen an bestimmte Stellen versetzen kann.
Für einige Stellen wird der Schlussentscheid auf höherer Ebene durch den Departementschef oder den Bundesrat gefällt, aber aufgrund von Vorschlägen der Deza-Direktion. Ich habe es selten erlebt, dass die Vorschläge gekippt werden.
Botschafter Thomas Gass ist seit 1. Januar 2018 Vizedirektor und Leiter des Bereichs Südzusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Zudem vertritt er seit Juli 2019 als Co-Vorsitzender die OECD/DAC-Constituency innerhalb der Globalen Partnerschaft für effektive Entwicklungszusammenarbeit (GPEDC).
Von 2013 bis 2017 war er beigeordneter Generalsekretär in der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten im Sekretariat der Vereinten Nationen in New York. Vor seiner Tätigkeit bei den Vereinten Nationen fungierte er von 2009 bis 2013 als Chef der Mission der Schweiz in Nepal.
Von 2004 bis 2009 leitete Thomas Gass die Sektion Wirtschaft und Entwicklung in der ständigen Mission der Schweiz bei der UNO in New York, wo er die Interessen der Schweiz im Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) und dessen Unterausschüssen, den Generalversammlung und den Exekutivräte der wichtigsten Fonds und Programme der Vereinten Nationen vertrat.
Herr Gass war auch als stellvertretender ständiger Vertreter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Guyana (2002-2004), als politischer Berater und Programmbeauftragter für die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (1998-2002) sowie als Regionaldirektor für Europa beim Internationalen Institut für pflanzengenetische Ressourcen in Rom (1996-1998) tätig.
Thomas Gass hält einen Doktortitel in Naturwissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich sowie einen MSc und ein Ingenieurdiplom in Agrarwissenschaften desselben Instituts.
Quelle: EDAExterner Link
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