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Wenn Versicherungen nicht für die Stornierung von Reisen haften

Dutzende von Flugzeugen der Schweizer Fluggesellschaft Swiss wurden auf dem Flughafen Dübendorf geparkt
Wenn ich Flugtickets gekauft und eine Unterkunft gebucht habe, sollte ich dann die Reise stornieren? Wenn ich storniere und ich bereits ganz oder teilweise bezahlt habe, werden mir dann die Kosten erstattet? Keystone / Ennio Leanza

Was passiert, wenn man schon lange eine Reise ins Ausland geplant hat und nun wegen der Pandemie gezwungen ist, diese abzusagen? Werden die bereits entstandenen Kosten erstattet? Was ist aus versicherungstechnischer Sicht der Unterschied zwischen "Epidemie" und "Pandemie"? Fragen, auf die viele Menschen heute gerne Antworten hätten.

Der Frühling kündigt sich an, die Ostersaison steht vor der Tür. Viele Menschen nutzen diese Gelegenheit normalerweise, um eine Auslandreise zu unternehmen. Einige fliegen an exotische Orte, andere entdecken eine europäische Hauptstadt. Ein Sprichwort besagt: «Weihnachten mit der Familie, Ostern mit wem Du willst».

Und auch in diesem Jahr, kurz nach Weihnachten, haben viele Menschen Reisen und Aufenthalte im In- und Ausland gebucht. Höchstwahrscheinlich werden wir jedoch zu Ostern alle gezwungen sein, zu Hause zu bleiben.

Jene, die schon vor längerer Zeit Flugtickets gekauft und eine Unterkunft gebucht haben, werden jetzt sicherlich von Zweifeln geplagt: Soll ich die Reise stornieren oder nicht? Wenn ich storniere und ich bereits ganz oder teilweise bezahlt habe, werden mir dann die Kosten erstattet? Und wenn ja, von wem? Selbst diejenigen, die sicherheitsbewusster sind als andere und eine Reiseversicherung abgeschlossen haben, fragen sich jetzt: Sind sie wirklich besser geschützt als diejenigen, die eine solche Versicherung nicht in Betracht gezogen haben?

Alles legitime Fragen, die wir zu beantworten versuchen.

Als Faustregel gilt laut Roswitha Thurnheer, Leiterin Unternehmenskommunikation bei den Helvetia Versicherungen: «Wird eine Reise storniert, ist der Veranstalter als Vertragspartner, wie beispielsweise die Fluggesellschaft oder das Reisebüro, verantwortlich. In vielen Fällen können bereits gebuchte Leistungen wie Flüge oder Hotelunterkünfte kostenlos storniert werden, ebenso wie die entsprechenden Buchungsänderungen.»

Sollte dies nicht der Fall sein, übernimmt die Versicherung. Natürlich nur in jenen Fällen, in denen Personen eine solche Versicherungspolice abgeschlossen haben. Und wenn die Bedingungen für Stornierungsgebühren klar sind. Oder zumindest sollten sie es sein. Wir haben einige von ihnen gelesen, und dabei zeigte sich, dass sie fast alle recht explizit sind.

Aber hier kommt der erste Zweifel: Bin ich gegen eine Pandemie versichert? Wir lesen die Stornierungsbedingungen erneut und stellen fest, dass die Police, die wir als Beispiel zur Hand haben, von «Quarantäne, Epidemien, Erdbeben und Vulkanausbrüchen» spricht, aber nicht von «Pandemien».

«Alle Versicherungsgesellschaften decken Epidemien ab. Nur wenige haften aber im Fall einer Pandemie.» Marco Cereghetti, Ombudsman

«Bis gestern hätte ich nie gedacht, dass ich meinen Kunden eine Versicherung anbieten muss oder kann, die eine Pandemie einschliesst», sagt ein Berater einer grossen Schweizer Versicherungsgesellschaft. «Es ist ein bisschen wie eine Versicherung gegen Kriegsschäden, aber das bieten wir in der Schweiz nicht an. Heute hat sich die Situation eindeutig verändert.»

Epidemie und Pandemie

«Wir unterscheiden nicht zwischen ‹Pandemie› und ‹Epidemie›, so dass sich diejenigen, die eine Reiseversicherung abgeschlossen haben, keine Sorgen machen müssen», sagt der Berater weiter. Nach einer Überprüfung unsererseits steht fest, dass mehrere Unternehmen diese Politik anwenden: Sie unterscheiden nicht zwischen den beiden Notfallsituationen.

«Wird eine Reise storniert, ist der Veranstalter als Vertragspartner, wie beispielsweise die Fluggesellschaft oder das Reisebüro, verantwortlich.» Roswitha Thurnheer, Helvetia Versicherungen

Doch nicht alle Versicherungsgesellschaften teilen diese Ansicht. Tatsächlich gibt es Gesellschaften, welche die Schwere einer Epidemie auf einer Skala von 1 (weniger schwerwiegend) bis 6 (sehr schwerwiegend, d.h. die Situation, in der wir uns heute befinden) einstufen. Alle decken die Stufen 1 bis 4 ab, keine Abdeckung gibt es für die Stufen 5 und 6. Kurz gesagt, im Fall einer Pandemie erstattet die Versicherung ihren Versicherten keine Kosten.

Der Ombudsman der PrivatversicherungExterner Link für die italienischsprachige Schweiz, Marco Cereghetti, bestätigt: Alle Versicherungsgesellschaften decken Epidemien ab. Nur wenige haften aber im Fall einer Pandemie.

«Wir erwarten viele Beschwerden»

Das bedeutet, dass die Ombudsstelle in den kommenden Wochen sicherlich mit Beschwerden von Bürgern überschwemmt wird, denen eine Rückerstattung verweigert wurde. «Bis jetzt ist erst eine Beschwerde eingegangen. Aber wir erwarten in den kommenden Wochen noch viele weitere», so Cereghetti.

Wie funktioniert das? Wann kann man den Ombudsman für Privatversicherungen kontaktieren? «Wir analysieren die Situation, nachdem der Mandant bei seinem Versicherer eine Entschädigung beantragt und der Mandant von diesem eine Antwort abschlägige erhalten hat», sagt Cereghetti. Erst dann überprüfe der Ombudsman die Position des Kunden anhand der vorgelegten Dokumentation.

«Vor der Einschätzung der Versicherungsbedingungen sollte man das Kapitel ‹Ausschlüsse› lesen.» Marco Cereghetti

Der Anwalt weiss, dass viele ihre Hoffnungen in den Ombudsman setzen. Ein wichtiger Ratschlag beim Abschluss einer Reiseversicherung sei, vor der Einschätzung der Versicherungsbedingungen das Kapitel «Ausschlüsse» zu lesen und daran zu denken, dass «im Allgemeinen alles von der Versicherungsgesellschaft, der von Ihnen abgeschlossenen Police und deren Bedingungen abhängt».

Kurz gesagt: Es gibt nicht nur ein Produkt, und alle Versicherungsgesellschaften bieten sehr unterschiedliche und vielfältige Angebote an.

Cereghetti, der sich der sehr speziellen Situation bewusst ist, stellt sich vor, dass die Versicherungsgesellschaften in diesem speziellen Fall auch flexibler reagieren könnten. Zumindest hofft er das. Und er persönlich glaubt, es wäre angemessen, dass die Versicherungsgesellschaften zusammenkommen, um gemeinsam eine unkonventionelle Lösung zu finden, die alle zufriedenstelle. Denn die Situation sei ungewöhnlich.

Wenn die Eidgenossenschaft von Reisen abrät…

Es gibt noch einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen, natürlich nur für diejenigen, die sich versichert haben. Zusätzlich zur Pandemie gibt es die Empfehlung des Bundesrats, alle nicht dringenden Auslandreisen um jeden Preis zu vermeiden, da die Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19 überall auf der Welt besteht.

«Die Reiseversicherung der Helvetia deckt genau aus diesem Grund die Stornokosten für alle Reisen, die vor dem 13. März 2020 gebucht wurden und bis einschliesslich 30. April 2020 hätten erfolgen sollen, sofern sie nicht bereits vom jeweiligen Veranstalter erstattet wurden», sagt Helvetia-Sprecherin Thurnheer. Die Helvetia Versicherungen lassen dabei die Pandemie-Frage offen.

Wenn das Eidgenössische Departement für auswärtige AngelegenheitenExterner Link (EDA) oder das Bundesamt für GesundheitExterner Link (BAG) von einer Reise abraten, wie das derzeit der Fall ist, dann ist eine Rückerstattung fast garantiert, wenn Sie eine Reiseversicherung abgeschlossen haben.

Obwohl es Versicherungen mit sehr allgemeinen Geschäftsbedingungen gibt. «In diesem Fall gibt es, falls die Bedingungen nicht vollständig ausformuliert sind, einen Handlungsspielraum für die Versicherten», so die Schlussfolgerung von Ombudsman Cereghetti.

Ein letzter Hinweis: Für Pauschalreisen, das heisst, wenn eine Reise Flug und Unterkunft und/oder andere Dienstleistungen beinhaltet, gibt es ein Ad-hoc-GesetzExterner Link, das jede Situation einzeln regelt.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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