Erbschaftssteuer: Frankreich bleibt hart im Streit mit der Schweiz
Trotz Druck des Schweizer Parlaments hat Frankreich nicht die Absicht, ein Abkommen zur Doppelbesteuerung in Erbschaftsangelegenheiten mit der Schweiz neu auszuhandeln. Das Land verpflichtet sich jedoch, von Fall zu Fall Lösungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu finden.
«Wie viele andere Staaten auch, möchte Frankreich kein Doppelbesteuerungsabkommen über Erbschaften mehr abschliessen», schreibt der französische Finanzminister Bruno Le Maire am 12. Oktober in seiner Antwort auf ein Schreiben der Abgeordneten des Jura Marie-Christine Dalloz.
Der Minister präzisiert, dass Frankreich mit mehr als 120 Partner:innen durch ein Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung verbunden ist, jedoch nur 33 dieser Verträge decken Erbschaften ab und diese Verträge sind in der Regel alt. «Folglich ist der französisch-schweizerische Kontext nichts Aussergewöhnliches», betont er.
Seit 2015 gibt es zwischen Bern und Paris kein Abkommen mehr zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Bereich der Erbschaftssteuer. Damals vertrat Frankreich die Ansicht, der alte Text sei nicht mehr mit seiner Gesetzgebung vereinbar.
Die Behörden beider Länder hatten darauf einen Vertrag neu ausgehandelt. Dieser wurde jedoch vom Schweizer Parlament abgelehnt, da er seiner Meinung nach zu vorteilhaft für Frankreich war.
Erben werden mit 115% besteuert
Mit ihrem Schreiben wollte Marie-Christine Dalloz die Aufmerksamkeit von Bruno Le Maire auf die Folgen des fehlenden Abkommens zwischen den beiden Ländern lenken. Dies könnte sich nämlich als nachteilig für Erb:innen erweisen, die doppelt besteuert werden.
Diese Erfahrung haben die beiden Brüder Joël und Patrick Roux aus Lyon gemacht. Nach dem Tod eines Cousins mit Wohnsitz in der Schweiz erbten sie 125’000 Euro, die auf einem Konto in Frankreich lagen. Zunächst besteuerte die Schweiz das Vermächtnis mit 55%, dann verlangte Frankreich weitere 60% der Summe.
Das Ergebnis: Das Erbe wurde um absurde 115% besteuert. Nicht nur sahen die Erben keinen Cent des Geldes, das ihr Cousin ihnen hinterlassen hat, sie müssen auch fast 19’000 Euro draufzahlen.
Dieser sinnbildliche Fall zog 2022 die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Er ist jedoch kein Einzelfall. «Ich habe Fälle gesehen, in denen Personen auf die Erbschaft verzichten mussten, weil sie mehr bezahlt hätten, als sie erhielten», sagte Aubin Robert, auf grenzüberschreitende Fälle spezialisierter Steuerexperte bei Avacore Family Office in Genf, kürzlich gegenüber der Zeitung Le TempsExterner Link. Dieses Problem kann potenziell auch die 204’000 in Frankreich lebenden Schweizer:innen und ihre Angehörige betreffen.
>> Lesen Sie unseren Artikel über den Fall der Brüder Roux:
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Wenn zwei Länder Erbschaftssteuern fordern – und keines nachgeben will
Offensive des Schweizer Parlaments
Dasselbe Schweizer Parlament, das sich geweigert hatte, das Abkommen von 2013 zu bestätigen, setzt nun den Bundesrat unter Druck, das Dossier wieder aufzurollen. Der Nationalrat hat im Juni fast einstimmig (190 zu 1 Stimme) einen Antrag des Mitte-Politikers Vincent Maitre angenommen, der die rasche Aufnahme von Verhandlungen mit Frankreich über ein neues Abkommen verlangt.
Der Text müsste noch vom Ständerat in der Dezembersession behandelt werden, hat aber derzeit wenig Aussicht auf eine Lösung.
Zwar stand das Thema am letzten Freitag auf der Agenda des Treffens zwischen Finanzministerin Karin Keller-Sutter und ihrem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire, doch wie in seinem Schreiben «zeigte sich der französische Minister reserviert bezüglich der Möglichkeit, ein neues Abkommen im Bereich der doppelten Erbschaftssteuer auszuhandeln.»
Dies teilte das Eidgenössische Finanzdepartement gegenüber SWI swissinfo.ch mit, hält jedoch fest, dass Bruno Le Maire «sich verpflichtet hat, für die besonderen Situationen der Doppelbesteuerung von Fall zu Fall eine Lösung zu finden».
Verfasser des Antrags ist verärgert
Diese Aussagen des französischen Ministers überzeugen Vincent Maitre nicht. «Sie stehen in völligem Widerspruch zu seinen Handlungen. Bruno Le Maire scheint taub zu sein für die Apelle dieser beiden Brüder, die Opfer einer krassen Ungerechtigkeit geworden sind», kritisiert der Nationalrat.
Er erinnert daran, dass es ein Grundprinzip des Schweizer Steuerrechts ist, dass Bürger:innen nicht zweimal für denselben Zweck besteuert werden dürften. Der Bundesrat dürfe sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben, sagt Maitre. «Ich erwarte von der Schweiz, dass sie ihr diplomatisches Geschick einsetzt, um Frankreich davon zu überzeugen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen.»
Kein politischer Wille
Der Nationalrat bedauert den mangelnden Willen der beiden Staaten. «Seit 2015 wurde nichts unternommen, um das Problem zu lösen. Es brauchte einen fast einstimmigen Marschbefehl des Nationalrats, damit das Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde», empört sich Vincent Maitre.
Auf der Seite des Bundes scheint der Wille, die Arbeit wieder aufzunehmen, ebenso gering zu sein wie seitens Paris. Während der Parlamentsdebatte spielte Karin Keller-Sutter den Ball an das Parlament zurück und sagte, dass diese die Konsequenzen bei der Ablehnung des Abkommens gekannt hatten.
«Wenn man mit Frankreich darüber spricht, ist das Interesse natürlich nicht riesig, hier wieder Verhandlungen zu eröffnen, nachdem die Schweiz das vorherige Abkommen abgelehnt hat. Wir wollen uns in dieser Frage auch nicht in einer Bittstellerposition wiederfinden», betonte die Finanzministerin.
Übertragung aus dem Französischen: Claire Micallef
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