«Erbschaftssteuer gefährdet unternehmerische Substanz und Innovation»
Die Erbschaftssteuerreform gefährde die finanzielle Basis von Familienunternehmen und führe mittelfristig zu einem Abbau von Arbeitsplätzen und zu einer Deindustrialisierung. Deshalb sei sie abzulehnen. Diesen Standpunkt vertritt der emeritierte Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger.
Bemessungsgrundlage der mit der Volksinitiative vorgeschlagenen Bundeserbschaftssteuer (BES) sind unter anderem die Verkehrswerte von Unternehmen und anderen Vermögensobjekten. Die durchschnittlichen Verkehrswerte der Familienunternehmen übertreffen generell jene der Publikumsgesellschaften.
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Erbschaftssteuer: «Kein linkes, sondern ein urliberales Anliegen
Das geht aus unserer disaggregierten Substanzwertanalyse deutlich hervor. Via Hochrechnung der durchschnittlichen Verkehrswerte mithilfe der Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) gelangen wir zu den gesamtwirtschaftlich aggregierten Steuersubstraten und Steuerlasten. Konfrontiert mit der geplanten BES sind – je nach Methode der Verkehrswertmessung – bei einem Freibetrag von 2 Millionen Franken zwischen 81% und 87% aller Familienunternehmen. Bei einem Freibetrag von 8 Mio. sind es zwischen 59% und 63% und bei einem Freibetrag von 20 Mio. immer noch zwischen 41% und 50% aller Familienunternehmen.
Unternehmerisches Anlagevermögen wird vernichtet
Eine Begleichung der Bundeserbschaftssteuerschulden via Verwendung flüssiger Mittel ist bei Familienunternehmen nur zu sehr kleinen Teilen aus der Schatulle des Umlaufvermögens möglich. Zu bedenken dabei ist, dass ein Minimalbestand an flüssigen Mitteln nötig ist, um die Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten. Fehlen die flüssigen Mittel, so drohen Liquiditätsengpässe, Zahlungsunfähigkeit, ja sogar Insolvenzen.
Der grösste Teil der Bundeserbschaftssteuerschuld muss somit aus den indirekt, d.h. via Liquidisierung von – oft weitgehend gebundenem – Anlagevermögen der Unternehmen, finanziert werden. Die möglichen realwirtschaftlichen Folgen eines solchen Vorgehens sind schon vom Ausmass her für die rund 78% Familienunternehmen in unserem Land gravierend und, vor allem sowohl für die Industrie als auch für die Mittelunternehmen, geradezu dramatisch. Letztere müssten zur Steuerbegleichung nahezu ihr ganzes Anlagevermögen liquidisieren, was einem Totalverkauf von Firmen gleich käme.
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Alternativ müssten im Erbfall Produktionsaktivitäten zurückgefahren werden. Arbeits- und Kapitalproduktivitäts-Einbussen wären die weiteren Folgen, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit generell, vor allem aber die der industriellen und exportorientierten Familienunternehmen, beeinträchtigen würde. Verbreiteter Investitions-, Innovations- und Lohndruck sowie Arbeitsplatzstreichungen und eine schleichende Deindustrialisierung wären unausweichlich.
Da im Initiativtext nichts über die konkrete Ausgestaltung allfälliger Erleichterungen steht, beschränken wir uns hier auf die Erörterung von zwei alternativen Gesetzgebungsvarianten, die von den Initianten verschiedentlich andiskutiert worden sind. Variante 1 kombiniert den bei zwei 2 Mio. Franken fixierten Standardfreibetrag und einen Grundsteuersatz von 20% auf der einen mit einem viermal höheren Freibetrag von 8 Mio. Franken und einem halben Steuersatz von 10% auf der anderen Seite. Von der Erleichterung profitieren allerdings nur jene – durchschnittlich vier von zehn erblassenden – Unternehmern, die ihre Unternehmensnachfolge familienintern geregelt haben.
Die daraus jährlich resultierende gesamtwirtschaftliche Steuerlast beläuft sich je nach Verkehrswertmessung auf Beträge zwischen rund 5 bis 8 Mrd. Franken. Würde der Gesetzgeber nach Annahme der Initiative eine zurückhaltendere Variante 2 mit einem im Vergleich zur ersten Variante doppelt so hohen Freibetrag von 20 Mio. Franken und einem nochmals reduzierten Steuersatz von 5% wählen, würde das die Steuerlast für die Familienunternehmen allerdings nur unwesentlich, nämlich auf rund 4,6 bis 7,4 Mrd. reduzieren.
Gefährdete Arbeitsplätze
Der durch die Bundeserbschaftssteuer-Initiative (BES) ausgelöste Geld- und Kapitalabfluss bewirkt über alle Sektoren hinweg einen Beschäftigungsrückgang. Im Falle der oben beschriebenen Variante 1 führt die Umsetzung der BESI in gesamtwirtschaftlich direkter Konsequenz zu einem Arbeitsplatzverlust von rund 11’000 bis 12’000 Arbeitsplätzen pro Jahr. Die stark verbesserten Erleichterungen via Variante 2 (20 Mio. Fr. Freibetrag, 5% Steuersatz) korrigieren diesen negativen Beschäftigungseffekt überraschenderweise nur marginal. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt aufgrund verschiedener, sich kumulierender beschäftigungsfeindlicher Kollateralwirkungen ohnehin stärker zurückgeht, als wie von uns prognostiziert.
Die BESI erodiert unternehmerische Substanz und die Innovationskraft, lähmt so das Rückgrat unserer Wirtschaft, schwächt den Werkplatz und den Investitionsstandort Schweiz und setzt Jahr für Jahr zigtausende von Arbeitsplätzen aufs Spiel, was sich langfristig über tiefere Beitragszahlungen sogar negativ auf die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) auswirken kann. Die Zweckbindung von zwei Dritteln des BES-generierten Steueraufkommens zur Finanzierung der künftigen Alters- und Hinterbliebenenrenten wirkt zwar sehr verführerisch, hat aber einen volkswirtschaftlich extrem hohen Preis: Nämlich nichts anderes als eine Jahr für Jahr massive Dekapitalisierung und Deindustrialisierung unserer Volkswirtschaft im Ausmass von 11%, fokussiert vor allem auf unseren gesellschaftlich überaus integrativen und wohlstandsschaffenden FAMU- bzw. KMU-Sektor.
Fazit
Nicht zuletzt ist der Zeitpunkt der geplanten Einführung einer BES vor dem Hintergrund des momentanen wirtschaftspolitischen Kontextes denkbar ungünstig. Denn im Kontext der geplanten Unternehmenssteuerreform III (mit der Abschaffung des Holdingprivilegs), der Unklarheiten in Sachen Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative, der allgemein zunehmenden Regulierungsdichte, den zu erwartenden Budgetdefiziten des Bundes, der seit Jahren dauernden Blockade von Freihandelsabkommen sowie der schockartigen Aufwertung des Schweizer Frankens schafft die BES eine zusätzliche unternehmerische Rechts- und Planungsunsicherheit: Sie schwächt den hiesigen Produktions- und Wirtschaftsstandort noch zusätzlich durch eine massive Steuererhöhung.
«Standpunkt»
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