Sibel Arslan trotzte der Medienschelte
In Basel sorgte sie für die grosse Überraschung. Trotz oder dank einer öffentlichen Kontroverse um ihre finanziellen Probleme holte Sibel Arslan für das Grüne Bündnis des Kantons Basel-Stadt einen Sitz im nationalen Parlament. Die kurdisch-stämmige Politikerin will sich in Bern vor allem für Menschenrechte und die weniger Privilegierten einsetzen, nicht nur für Migranten.
«Sibel ArslanExterner Link? – Nie gehört.» «Der Name sagt mir nichts.» In der Hauptstadt der Schweiz, ihrem neuen politischen Wirkungsort, ist sie kaum jemandem bekannt. Keiner der rund zwei Dutzend Passanten, die swissinfo.ch auf der Terrasse vor dem Bundeshaus (Parlamentsgebäude) befragte, konnte etwas über sie sagen. In Basel hingegen ist die bisherige Grossrätin der linksalternativen Partei «BastA!», die mit den Grünen ein Bündnis eingegangen war, stadtbekannt.
Finanzielle Engpässe
Als die Juristin Ende 2014 kurz davor stand, im Nachbarkanton Basel-Landschaft eine Kaderstelle im «Straf- und Massnahmenvollzug» zu übernehmen, berichteten lokale Medien während mehreren Wochen über die «Affäre Arslan». Gestützt auf einen Auszug aus dem Betreibungsregister, auf dem private Forderungen gegenüber der linksgrünen Politikerin von insgesamt 60’000 Franken aufgelistet waren, stellten sie die Frage, ob die privaten finanziellen Probleme mit der neuen Tätigkeit vereinbar seien.
Dass in einem Betreibungsauszug lediglich die Forderungen, aber nicht die tatsächlichen Schulden erfasst werden, wurde nicht in allen Medienberichten klargestellt.
Neu im Parlament
Die Tochter von Christoph Blocher, ein kommunistischer Gemeindepräsident, der Chef der Weltwoche, eine junge Grüne: swissinfo.ch publiziert eine Auswahl von Porträts neuer Abgeordneter, die bei den Wahlen vom 18. Oktober 2015 ins Parlament gewählt wurden.
Entdecken Sie diese neuen Gesichter unter der Bundeshauskuppel, seien es Vertreterinnen oder Vertreter von Regierungsparteien oder kleiner Gruppierungen.
2013 hatte die linksgrüne Politikerin die Wahl in den Basler Bürgerrat verpasst. Auch damals wurden ihr in den Medien Betreibungen vorgeworfen, obwohl die Schulden laut Arslan damals bereits getilgt waren. Sie habe studiert, politisiert und gearbeitet, aber keinen reichen Onkel gehabt, rechtfertigte sie damals den finanziellen Engpass.
Die öffentliche Kontroverse über ihre Schulden, in der viele Halb- und Unwahrheiten publiziert wurden und sich Dutzende Leserbrief-Schreiber und Twitterer für und gegen die junge Juristin ins Zeug legten, flaute erst ab, als der zuständige Regierungsrat unter dem öffentlichen Druck die Anstellung trotz Arbeitsvertrag rückgängig machte. Weil Sibel Arslan ihre vorherige Stelle bereits gekündigt hatte, bot ihr der Kanton eine auf ein Jahr befristete Stelle als Juristin im Generalsekretariat der Sicherheitsdirektion an. Aber ihre politische Karriere schien verbaut.
Die Medienschelte – vor allem seitens der Basler Zeitung (BaZ), an der Christoph Blocher, der Übervater der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei einen Anteil von 33 Prozent hält – scheint Arslan allerdings über die Parteigrenzen hinaus bekannt gemacht und ihr nicht nur bei kurdisch-stämmigen oder linksgrünen Wählern viele Sympathiestimmen verschafft zu haben.
Am Wahlsonntag vom 18. Oktober 2015 jedenfalls triumphierte Sibel Arslan, während ihre politischen und medialen Gegner lange Gesichter machten.
«Direkt aber herzlich»
Sibel Arslans Wahl in den Nationalrat ist auch ein Erfolg für die kurdische Gemeinschaft in der Schweiz. Im Basler Kantonsparlament haben zwar mehrere Politiker kurdische Wurzeln, aber Arslan ist die erste, die den Sprung nach Bern geschafft hat.
Im Alter von elf Jahren war sie 1991 mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Brüdern von der Türkei in die Schweiz zu ihrem Vater gezogen, der sechs Jahre vorher geflüchtet war. Als im Gymnasium im Staatskunde-Unterricht über die politischen Pflichten und Rechte in der Schweiz unterrichtet wurde, entschied die junge Kurdin, sich einbürgern zu lassen.
Die linksalternative Partei «BastA!» gefiel Arslan nicht nur wegen der politischen Themen am besten, sondern auch, weil Migrantinnen und Migranten dort schon damals willkommen waren.
Inzwischen hat sie zehn Jahre Erfahrung als städtische Parlamentarierin. Seit diesem Sommer war sie Fraktionschefin des Grünen Bündnisses im Grossen Rat.
Gute Noten erhält die neue Nationalrätin von Mirjam Ballmer, obwohl die Co-Präsidentin der Basler Grünen selber nicht ins nationale Parlament gewählt wurde, sondern hinter Arslan nur auf dem zweiten Platz landete.
«Sie hat in Basel grosse politische Erfahrung gesammelt und immer wieder wichtige Themen aufs politische Parkett gebracht. Wichtig sind ihr zum Beispiel die Anliegen von Minderheiten und Benachteiligten», sagt Ballmer über ihre Bündnis-Kollegin. Mit welchen Vorstössen sich Arslan sonst noch hervorgetan hat, kann sie aus dem Stegreif nicht sagen. Sibel sei eine sehr herzliche Person. «Sie bleibt sich treu, so, wie sie auch ausserhalb des Parlaments ist: direkt und nicht berechnend oder pseudo-diplomatisch.»
Gegenüber Medien reagiert Arslan – wen wundert’s – mit Skepsis. «Ihre Fragen sind so negativ», beklagt sich die neue Basler Nationalrätin. Über ihr Privatleben gibt sie wenig preis, sondern rückt im Gespräch mit swissinfo.ch die Politik in den Vordergrund. Sie wolle nicht darauf reduziert werden, die Vertreterin der Kurden oder der Migranten zu sein.
«Ich will an den Entscheidungsprozessen, bei der Entwicklung der Gesetze mitwirken», sagt sie auf die Frage, weshalb es sie im Schweizer Parlament brauche. «Ich werde dafür einstehen, dass die Grundrechte eingehalten, die Rechte der Minderheiten geschützt werden, dass Macht nicht missbraucht wird.»
«Ich wurde selber fichiert»
Wehren will sich die gelernte Juristin insbesondere gegen das neue Nachrichtendienst-Gesetz, gegen das die Linke das Referendum ergriffen hat. «Wenn unser Geheimdienst damit anfängt, Leute auszuspionieren oder zu verdächtigen, dann entspricht dies nicht dem Rechtsverständnis, das ich an der Uni gelernt habe. Wir Bürgerinnen und Bürger brauchen eine Privatsphäre, die der Staat zu respektieren hat.»
Ist das nicht ziemlich blauäugig angesichts der terroristischen Gefahr? «Ist es nicht blauäugig zu meinen, dass dieses Nachrichtendienst-Gesetz etwas bewirken könnte?», kontert Arslan. «In Paris konnte der Geheimdienst diese Anschläge nicht verhindern, obwohl es Warnungen gegeben hatte. Man soll eingreifen, wenn es einen begründeten Verdacht gibt. Ausserdem wissen wir inzwischen auch, dass die IS-Terroristen andere Mittel benützen, um sich auszutauschen, wo zum Beispiel das Abfangen von E-Mails nicht funktioniert.»
Dem Terrorismus könne man nicht begegnen, indem man alle Leute fichiere. Dafür brauche es andere Lösungen. «Anstatt die Befugnisse des Geheimdienstes auszubauen, der selbst von keiner staatlichen Instanz kontrolliert werden kann, müssen wir der Polizei und der Strafverfolgung vermehrt die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen.»
Sie habe ein Beispiel als Direktbetroffene. Weil in einer den Kurden nahestehenden Zeitung über die Wahl von kantonalen Parlamentariern mit kurdischem Hintergrund berichtet wurde, sei sie selber auch fichiert worden. «Da habe ich mich schon gefragt, ob der Staatsdienst nichts anderes zu tun hat. Das geht nicht, dass ich als Bürgerin oder Politikerin nicht weiss, dass und welche Daten über mich gesammelt werden und was damit passiert.»
Sibel Arslan
1980 in der Türkei geboren. Seit 1991 lebt sie in der Schweiz. An der Universität Basel studierte sie Rechtswissenschaften und schloss mit dem Lizenziat ab. Seit 2004 ist sie Schweizer Bürgerin.
Seit März 2015 ist sie als Juristin beim Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Landschaft tätig.
2004 trat sie der linksalternativen Partei «BastA!» bei. Seit 2005 ist sie Grossrätin im Kanton Basel-Stadt.
Am 18. Oktober 2015 wurde sie in den Nationalrat (grosse Parlamentskammer) gewählt. Im Kanton Basel-Stadt verschaffte sie den Grünen, die mit «BastA!» ein Bündnis eingegangen waren, den einzigen Sitz im nationalen Parlament.
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