Ein Schweizer porträtiert französische Soldaten
Das Musée de la Légion d'Honneur in Paris zeigt Pastellzeichnungen eines Waadtländer Malers von alliierten Soldaten während des ersten Weltkrieges. Eine erstaunliche Serie, die die Vielfalt der Koalition gegen Deutschland widerspiegelt.
Frühling 1917. Der 66-jährige Waadtländer Maler Eugène Burnand zieht sich in seine Pariser Wohnung zurück, um seine letzte «Mission» zu erfüllen: Die alliierte Armee mit Pastellkreide in ihrer Vielfalt festzuhalten. «Für mich ging es darum, den modernen Kämpfer aus psychologischer Sicht zu studieren», erzählt Burnand in seinem Buch «Liber Veritatis», das nie publiziert wurde.
Der Westschweizer aus Moudon war damals vor allem für seinen naturalistischen Blick auf die heimatliche Broye-Ebene und für seine religiösen Gemälde bekannt. Mit seinem Zeitgenossen und Rivalen Ferdinand Hodler verkörpert er die Schweizer Malerei. Die beiden Männer konkurrieren um die Auszeichnungen für dieselben Ausstellungen und Projekte, darunter auch die neuen Schweizer Banknoten.
Doch die modische Moderne Hodlers und den Realismus von Burnand trennen Welten. «Mein Urgrossvater war altmodisch, er reagierte allergisch auf die Tendenzen jener Zeit, für ihn war die Moderne eine Flucht nach vorne», erzählt Frédérique Burnand, Präsidentin der Stiftung für das Eugène Burnand-Museum in Moudon. «Ich darf nicht vergessen, dass ich ein alter, einsamer und protestantischer Maler mit reaktionären Allüren bin», gibt Burnand in seinem Buch zu.
Diplomatische Mission
Dann bricht der Krieg aus. Der Bundesrat bietet ihm 1917 eine diplomatische Mission an: Die Lager mit deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich besuchen. Mit einem Diplomatenpass kann er frei durch Frankreich reisen. Burnand nimmt den Pass an. Aber er lehnt die Mission ab, da er darin eine deutsche Manipulation wittert. Bern hat sich in ihm getäuscht: Burnand ist vielmehr frankophil als neutral.
Als er nach Paris zurückkehrt, wo er vor dem Krieg lebte, hat Burnand eine Idee im Kopf: Soldaten porträtieren, die auf Seiten der Franzosen kämpfen. «Ich ging also ins Feld und hielt auf der Strasse Typen an, die meine Aufmerksamkeit erregten, oder ging in Lager, wo die Kommandanten die von mir benannten Männer bereitwillig zur Verfügung stellten.»
Felix Vallotton – ein weiterer Schweizer Maler im Krieg
Im Juni 1917 bricht Felix Vallotton zur Front auf. Nicht als Soldat – er ist bereits 52 Jahre alt –, sondern als Künstler mit einer Mission. Der Maler aus dem Kanton Waadt (ein eingebürgerter Franzose), nimmt während etwa vierzehn Tagen am Leben der französischen Armeeangehörigen teil. Er skizziert die Ruinen der Kirche von Souain, dem Epizentrum des Krieges in der Champagne, sowie Friedhöfe und verwüstete Hügel in den Argonnen. Die Gemälde, die er gestützt auf die Skizzen später anfertigt, werden im Oktober 1917 im Musée du Luxembourg ausgestellt. Am Ende des Projektes ist Vallotton frustriert. «Ich glaube nicht mehr an blutige Skizzen, an die wahrheitsgetreue Malerei oder die Dinge, die man gesehen und erlebt hat. Nur aus der Meditation kann die unverzichtbare Synthese entstehen, die für solche Wachrufe unentbehrlich ist.» (M.v.B.)
Burnand wird «Ethnograf». Seine Arbeit soll alle Volksgruppen und Nationalitäten umfassen, die auf französischem Boden kämpfen. Vom «Grossen Sudanesen mit Giraffenhals» über den «ziegelroten englischen Seemann», den «Neukaledonier mit dem Kiefer eines Menschenfressers» oder den «Hindu-Sikh mit stolzem Geist», formuliert er in den rassistischen Klischees der Zeit.
Die Sprache ist veraltet, aber die Zeichnungen bleiben eindrücklich: Jeder ist gleich, vom marokkanischen Infanteristen bis zum General Nivelle, jeder hat das Recht auf ein Porträt.
Malerei versus Fotografie
Zu jener Zeit werden die Zeitungen überschwemmt mit Fotografien von «Poilus» – den französischen Frontsoldaten im ersten Weltkrieg. Burnand will dem seine Gemälde entgegensetzen. Er wird dabei inspiriert vom Zürcher Pastor Johann Kaspar Lavater (1740-1801): Wenn die Gesichtszüge einer Person sorgfältig hervorgehoben werden, offenbaren sie die Persönlichkeit eines Mannes – besser als es die beste Fotografie kann.
In seiner Studie entspricht jedes «Modell» einer vorher festgelegten Typologie. Es fehlt ein protestantischer Pfarrer? «Pastor Nick diente mir als Modell», so Burnand. «Natur eines Apostels, Seele eines Helden, fast schon legendäre Gesichtszüge, deren charakteristischen Züge festgehalten werden mussten.»
Die meisten Zeichnungen stammen von einer wirklichen Begegnung. «Mein Urgrossvater bezahlte die Modelle aus eigener Tasche und bot ihnen Tee an», sagt Frédérique Burnand. «Er wollte den Kämpfern aus dem Schatten ein Gesicht geben. Manchmal kamen sie zurück ins Atelier, um den Maler und seine Frau zu besuchen.»
«Kolonialisten» im Zentrum des Werkes
Burmesische, jamaikanische, indische, madagassische, vietnamesische, senegalesische, marokkanische Soldaten: Burnand spürt bereits vor den Historikern die grosse Bedeutung der nichteuropäischen Soldaten im Ersten Weltkrieg. 600’000 Soldaten aus französischen Kolonien wurden rekrutiert; 81’000 von ihnen fielen im Kampf.
Unbewusst wird Burnand zum offiziellen Maler der «globalisierten Poilu». 1919 werden 80 seiner Porträts im Musée du Luxembourg ausgestellt. Der Publikumserfolg – 15’000 Besucher in einem Monat – bringt ihm den Ehrenlegionspreis ein.
Manche Leute aus Burnands Umfeld kritisieren, dass der Serie noch «grosse Persönlichkeiten» fehlen. Burnand zögert. Er stimmt schliesslich einem Porträt zu von Marschall Foch, Kommandant der alliierten Streitkräfte. Ein Termin wird vereinbart. Doch im Februar 1921 stirbt Burnand, ohne den Führer der siegreichen Offensive malen zu können.
ANSCHAUEN
Cent portraits pour un centenaire, les soldats de Foch vus par Burnand, Ausstellung im Musée de la Légion d’honneurExterner Link, vom 11. November 2017 bis 11. Februar 2018.
LESEN
Eugène Burnand, la passion de peindre, von Philippe Kaenel, éditions Favre.
Le silence des peintres, les artistes face à la Grande Guerre, von Philippe Dagen, éditions Fayard.
Portraits de la Grande Guerre: les pastels d’Eugène Burnand au musée de la Légion d’honneur, éditions ECPAD.
Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi
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