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Es geht um Milliarden: Gelingt die Reform bei den Pensionskassen?

Silja Häusermann spricht mit Fabio Canetg über die BVG-Reform.
Eine der profundesten Kennerinnen von Reformen der Altersvorsorge ist Silja Häusermann, Professorin für vergleichende politische Ökonomie an der Universität Zürich. Sie ist Gast im Geldcast von Fabio Canetg. Fabio Canetg

Der Ständerat berät in diesen Tagen die Reform der beruflichen Vorsorge. Damit sie gelingen könne, müsse es einen breit abgestützten Kompromiss geben, sagt die Politologin Silja Häusermann in der neuen Geldcast-Folge. Ob ein solcher möglich ist, scheint allerdings fraglich.

Es ist das wohl wichtigste Geschäft der laufenden Legislatur. Nach dem Volks-Ja zur AHV-Reform im September 2022 berät der Ständerat in diesen Tagen die Reform der beruflichen Vorsorge.

Dabei geht es um Milliarden von Franken, die Arbeitnehmende über ihre Pensionskassen sparen. Und es geht um die Frage, wie dieses Geld verteilt werden soll: Soll künftig mehr Geld von den Arbeitnehmenden zu den Rentnerinnen fliessen – oder genau umgekehrt?

Eine der profundesten Kennerinnen von Reformen der Altersvorsorge ist Silja Häusermann, Professorin für vergleichende politische Ökonomie an der Universität Zürich. Sie sagt: «Für eine erfolgreiche Reform der Altersvorsorge müssen Vertreter:innen von Mitte-Links bis Mitte-Rechts hinter der Vorlage stehen.»

Der Bundesrat nimmt die Sozialpartner in die Pflicht

Zu Beginn des Reformprozesses schien ein breiter Konsens möglich: 2019 einigten sich der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften auf mehrere Anpassungen im BVG; der Bundesrat übernahm die Vorschläge der Sozialpartner praktisch unverändert, seit zwei Jahren diskutiert nun das Parlament über die Reform.

Ist es nicht etwas speziell, wenn der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften einen Gesetzesentwurf ausarbeiten statt der Bundesrat? Häusermann verneint: «Es gehört zur Schweizer Verhandlungsdemokratie, dass Gesetzesvorlagen von Akteur:innen ausserhalb des Parlaments erarbeitet werden.»

Auch bei anderen Gesetzesrevision würden die relevanten Akteur:innen schon vor der Verabschiedung eines Entwurfs eingeladen, um ihre Sicht einzubringen. «Dieses Mal war das einfach expliziter an die Sozialpartner delegiert», so Häusermann.

Das steht im Sozialpartner-Kompromiss

Der Sozialpartner-Kompromiss beinhaltete drei Eckpunkte. Erstens sollte der Umwandlungssatz von heute 6.8% auf 6% sinken. Das bedeutet: Aus einem angesparten Alterskapital von 100’000 Franken sollten künftig nicht mehr 6800 Franken Jahresrente bezahlt werden, sondern nur noch 6000 Franken. Politisch sei das heikel, sagt Häusermann: «Rentenkürzungen sind sehr unbeliebt bei den Wählerinnen und Wählern.»

Aus diesem Grund einigten sich die Sozialpartner zweitens darauf, die Rentenkürzungen zu kompensieren. Konkret sollten einige Übergangsjahrgänge eine lebenslange Zusatzrente erhalten. Diese Zusatzrente hätte ähnlich finanziert werden sollen wie die AHV, nämlich über Lohnabzüge bei den Arbeitnehmenden.

«Die Gewerkschaften haben es geschafft, ein Umlage-Element im Sozialpartner-Kompromiss unterzubringen», sagt Häusermann. Die bürgerlichen Parteien im Parlament stören sich nun aber genau daran.

So sollen die BVG-Renten der Frauen aufgebessert werden

Drittens wollten die Sozialpartner den sogenannten Koordinationsabzug senken. So sollten unter anderem die Pensionskassen-Renten von Frauen erhöht werden. «Heute haben Frauen vor allem deshalb eine tiefere BVG-Renten als Männer, weil sie häufiger Teilzeit arbeiten und weil sie häufiger für eine gewisse Zeit in ihrem Leben überhaupt nicht oder mit Unterbrüchen beschäftigt sind», so Häusermann.

Ein tieferer Koordinationsabzug erhöht die im BVG versicherte Lohnsumme und damit die Pensionskassen-Renten.

Es sind vor allem die Grünliberalen, die den Koordinationsabzug senken wollen, nötigenfalls auch ohne den Umwandlungssatz anzutasten und Zusatzrenten zu beschliessen. Häusermann ist skeptisch. Sie sagt: «Der Vorstoss der Grünliberalen, die BVG-Reform aufzuteilen und erst einmal nur den Koordinationsabzug zu senken, wird es politisch sehr schwer haben.»

Das deshalb, weil die Linke das Problem der tieferen Frauenrenten mit neuen Rentenzuschlägen à la AHV lösen möchten und die Bürgerlichen keine Konzessionen quasi gratis vergeben möchten, also keiner Reform zustimmen wollten, die nicht auch einen tieferen Umwandlungssatz vorsähe.

Wie wichtig sind die Bundesratswahlen?

Neben der BVG-Reform beschäftigt sich das Parlament in der laufenden Session mit den Bundesrats-Ersatzwahlen; dies, nachdem SVP-Bundesrat Ueli Maurer und SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf Ende Jahr zurückgetreten sind.

Die SVP nominiert als Nachfolger Nationalrat Albert Rösti und Alt-Nationalrat Hans-Ueli Vogt, die SP die Ständerätinnen Eva Herzog und Élisabeth Baume-Schneider.

Häusermann sagt dazu: «Welche zwei Personen neu in den Bundesrat gewählt werden, ist nicht entscheidend.» Das Schweizer System sei darauf ausgelegt, dass die Macht eines einzelnen Bundesrats beschränkt sei.

Wichtiger als Personalentscheide sei zum Beispiel die Parteienlandschaft. Und die habe sich zuletzt zunehmend polarisiert, so Häusermann. «Kompromisse zu finden ist schwieriger geworden.»

Hier geht es zum Geldcast mit Silja Häusermann in voller Länge.

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