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«Es tut immer weh, wenn ein Teil der Geschichte verschwindet»

Nicolas Bideau
Chef von Präsenz Schweiz, Nicolas Bideau (Archivbild) Copyright 2019 The Associated Press. All Rights Reserved

Rund um den Globus finden sich Schweizer Hinterlassenschaften mit kulturellem Wert. Politisch waren diese Spuren der Schweizer Auswanderung jedoch kaum ein Thema. Wir haben beim Chef von Präsenz Schweiz, Nicolas Bideau, nachgefragt, an was das liegen könnte.

swissinfo.ch: Es gibt international zahlreiche Spuren von Schweizer Auswanderern und Auswanderinnen. Kennen Sie einen Ort, ein Gebäude, ein Denkmal im Ausland mit Schweizer Geschichte?

Nicolas Bideau: Ja, sehr viele. In meinem Job reise ich häufig, auch in exotischere Länder. Am meisten beeindruckt haben mich die Spuren von Schweizer:innen in Nova Friburgo in Brasilien. Eine Stadt, die 1819 von Schweizer Auswanderer-Familien gegründet wurde. Die Architektur erinnert zwar nur noch wenig an die Gründerzeit. Immaterielle Spuren, wie etwa eine Molkerei oder die Herstellung verschiedener Pralinés, finden sich in Nova Friburgo aber noch einige.

Und es besteht auch immer noch eine Verbindung zur Heimat. Als Nova Friburgo vor rund zehn Jahren von einem Unwetter verwüstet wurde, haben der Kanton und die Stadt Freiburg 130’000 Franken gespendet.

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Gibt es in Ihrer Nähe im Ausland Orte mit Schweizer Geschichte?

Kennen Sie Orte, Gebäude, Kunstobjekte in Ihrem Aufenthaltsland, die eng mit der Schweizer Auswanderungsgeschichte verbunden sind?

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Die Schweiz galt bis ins 20. Jahrhundert als Auswanderungsland. Warum glauben Sie, war das Schweizer Kulturerbe im Ausland politisch noch nie ein Thema?

N.B.: Für uns bei Präsenz Schweiz war es bereits ein Thema. Etwa im Rahmen des Projekts «Swiss roots», bei dem US Amerikaner:innen dazu eingeladen wurden, ihre Schweizer Wurzeln zu entdecken.

Für die Landeskommunikation benutzt Präsenz Schweiz etwa die lebenden Schweizer Traditionen weltweit schon länger – die Imagepflege ist unser politischer Auftrag.

Dass die Schweizer Spuren im Ausland innenpolitisch noch kaum ein Thema waren, kann auch daran liegen, dass die jeweiligen Länder zuerst an sich selbst und an die kulturellen Hinterlassenschaften im eigenen Land denken.

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Wer könnte so etwas initiieren?

N.B.: Zuständig wären in meinen Augen Organisationen, die direkt betroffen sind. Diese sind legitimiert, eine solche politische Diskussion auszulösen. Ich denke da etwa an die Auslandschweizer-Organisation.

Man müsste Spezialisten beim Bund, bei den Kantonen und in der Zivilgesellschaft mobilisieren, Partner finden und beispielsweise ein Inventar des Schweizer Kulturerbes im Ausland erstellen.

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Wenn verschiedene legitime Player Objekte im Ausland mit kulturellem Wert definieren, kann man die Diskussion richtig beginnen.

Und Präsenz Schweiz?

N.B.: Wir, beziehungsweise die Schweizer Vertretungen vor Ort würden mithelfen. Denn ein solches Inventar gäbe uns interessante Informationen, die wir dann auch kommunikativ verwerten könnten.

Braucht es einen Vorstoss im Parlament oder können Sie von sich aus aktiv werden?

N.B.: Für die Schweiz fände ich es kommunikativ interessant, sollte jemand einen solchen Vorstoss einreichen. Als Chef von Präsenz Schweiz kann ich aber selbst nicht aktiv werden.

Klar ist, dass jemand in den Lead gehen müsste. Wir könnten das Projekt kommunikativ begleiten.

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In den kanadischen Rocky Mountains ist ein Schweizer Dorf zum Verkauf ausgeschrieben. Es droht Schweizer Geschichte im Ausland verloren zu gehen. Wie stehen Sie dazu?

N.B.: Es täte mir natürlich leid, wenn es so weit kommen würde. Mich haben die Reaktionen der lokalen Bevölkerung sehr berührt. Sie scheinen zu verstehen, welchen historischen Wert diese Chalets und ihre Geschichte für sie haben. Anders als hier in Europa, gibt es in solchen Ländern nicht viele alte Gebäude. Die kanadische Geschichte ist jung und hat nicht dieselbe Zeitlichkeit.

Als Marketing-Spezialist sage ich aber, dass Golden kein grosses Potential für unsere Landeskommunikation hat. Die bekannte Nachbarin Lake Louise beispielsweise wäre viel attraktiver.

Nichtsdestotrotz der Generalkonsul in Vancouver ist im neu gegründeten Verein zur Rettung des Village involviert und beteiligt sich bei den Diskussionen, wie es weitergehen soll. Ich bin optimistisch, dass hier eine Lösung gefunden wird.

Wäre es ein Verlust für die Schweiz, sollte dieses Bergführer-Dorf in Kanada nicht gerettet werden können?

N.B.: Es tut immer weh, wenn ein Teil der Geschichte verschwindet. Aber in diesem Fall versuchen das Museum in Golden und der neu gegründete Verein alles, um diese Schweizer Spuren zumindest digital zu erhalten.

In Dubai investiert die Schweiz für 6 Monate 16,5 Millionen Franken in den Schweizer Pavillon. Für 1,7 Millionen Schweizer Franken kann man die Häuser in Kanada erwerben. Hätte Präsenz Schweiz keine Mittel, um sich am Erhalt des Edelweiss Village zu beteiligen?

N.B.: Das ist nicht so einfach. Die Gelder für die Weltausstellung wurden durch den Bundesrat und das Parlament gesprochen und werden gezielt eingesetzt.

Präsenz Schweiz hat auch ein anderes Budget, das ich einfacher mobilisieren kann und das den Botschaften zur Verfügung steht.

Aber auch da: Da gibt es eine klare Strategie, wo wir gemäss unserem Auftrag des Bundesrats investieren können. Wirtschaftsförderung, Nachhaltigkeit, Finanzplatz und Innovation sind dabei unsere Prioritäten. Da sind wir weit davon entfernt, wenn es um das Edelweiss Village geht.

Wobei die Idee von Auslandschweizerrat Johann Roduit, das Village digital zu erhalten, schon in Richtung Innovation geht. Und da wiederum könnte ich sagen, okay wir investieren, weil dieses Vorgehen ein innovativer Weg ist.

Präsenz Schweiz fördert die Wahrnehmung der Schweiz im Ausland und setzt die Strategie des Bundesrates für die Landeskommunikation der Schweiz um.

Präsenz Schweiz unterstützt die Interessenwahrung der Schweiz mit den Instrumenten der Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört die Vermittlung allgemeiner Kenntnisse über die Schweiz, die Schaffung von Sympathien für die Schweiz sowie die Darstellung der schweizerischen Vielfalt und Attraktivität.

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