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Deutschland mit Neat-Zubringer im Verzug

Die Zulaufstrecke in Deutschland zur Neuen Alpentransversalen (Neat) durch die Schweizer Alpen wird erst 2029 fertiggestellt sein. Doch laut dem Bundesamt für Verkehr (BAV) werden die Kapazitäten für den Bahngüterverkehr ausreichen. Denn auch mit Inbetriebnahme der Gesamt-Neat wird nicht mit einer schlagartigen Explosion der Gütertransporte auf der Schiene gerechnet. 

Die Eröffnung des neuen Gotthard-Basistunnels am 1. Juni 2016 naht. Ab Mitte Dezember wird die neue Doppelröhre dann fahrplanmässig in Betrieb gehen.

Im Hinblick auf dieses Jahrhundertereignis wird immer wieder vorgerechnet, wie viele Minuten Bahnreisende zwischen Bellinzona und Luzern/Zürich künftig sparen werden.

Dabei gerät fast in Vergessenheit, dass die Neue Alpentransversale (Neat) vor allem gebaut wurde, um den alpenquerenden Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Im Abstimmungsbüchlein von 1992 zum Alpentransit-Beschluss hiess es sogar: «Mit der Neat kann der gesamte künftig auf unsere Nord- und Südgrenzen zurollende Gütertransitverkehr von der Bahn bewältigt werden.»

Dies wird aber nicht der Fall sein, denn ein Teil des alpenquerenden Güterverkehrs wird weiterhin auf der Strasse transportiert werden. Aber die Neat ist ein zentrales Element auf dem wichtigen europäischen Güterkorridor Rotterdam-GenuaExterner Link, um einen höheren Anteil der Schiene im europäischen Gütertransport zu erreichen (siehe Box). 

Staatsvertrag mit Deutschland

Damit die Neat funktioniert, braucht es aber leistungsfähige Anschlüsse im Norden (Deutschland) und im Süden (Italien). So können längere, höhere und schwerere Züge gefahren und der Verkehr verdichtet werden. Die Schweiz hat das erkannt und daher Verträge mit den Nachbarländern abgeschlossen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in einem Staatsvertrag mit der Schweiz verpflichtet, die Rheintalbahn auf der 182 Kilometer langen Strecke von Karlsruhe nach BaselExterner Link auszubauen. Sie ist eine der meist befahrenen Gleiswege in Europa.

Korridor Rotterdam-Genua

Der Korridor Rotterdam-GenuaExterner Link ist die wichtigste Nord-Süd-Magistrale für den europäischen Bahngüterverkehr. Diese europäische Transversale, die via Lötschberg und Gotthard durch die Schweiz führt, verbindet vier Seehäfen, sechs Binnenhäfen und zirka 50 intermodale Terminals miteinander. Vor allem aber mehrere der stärksten Wirtschaftsräume des Kontinents, darunter das Rhein-Main-Gebiet und die Lombardei. In deren Einzugsgebiet leben 70 Millionen Menschen und es werden 700 Millionen Tonnen Waren verschoben. Diese machen rund 50% des gesamten Nord-Süd-Güterverkehrs auf der Schiene aus.

Lange war Rotterdam-Genua als Bahngüterkorridor unter dem Namen «Korridor 1» bekannt, inzwischen heisst er Rhein-Alpen-Korridor. Nach wie vor bestehen auf dieser Achse gravierende Lücken und Engpässe, welche die Leistungsfähigkeit der Transversale und somit auch die wirtschaftliche Entwicklung entlang der Strecke limitieren. Die EU fördert daher einen Ausbau beziehungsweise eine Kapazitätsanpassung der Strecke.

Auch auf operativer Ebene wird versucht, Fortschritte zu machen, beispielsweise durch die Möglichkeit zur Buchung durchgehender Trassen über mehrere Länder (One-Stop-Shop). Dadurch soll die Pünktlichkeit und Verlässlichkeit von Güterzügen über lange Strecken verbessert werden.

Neben der Schweiz mit der Neat haben auch die Niederlande auf dem Korridor vorbildliche Arbeit geleistet, indem sie vom Hafen Rotterdam bis nach Emmerich an der Grenze zu Deutschland eine ausschliesslich für Güterzüge konzipierte Bahnstrecke gebaut haben. Diese Strecke wurde 2007 in Betrieb genommen, mündet aber in Deutschland vor Oberhausen in einen Flaschenhals. Die Anrainerstaaten des Rhein-Alpen-Korridors tauschen sich regelmässig über die Entwicklungen und Fortschritte aus. 2013 traf man sich in Thun, 2014 in Genua und 2015 in Antwerpen.

Allerdings hat eine Flut von Einsprachen den beschlossenen Ausbau und teilweisen Neubau der Rheintalbahn zwischen Basel und Karlsruhe verzögert. Mehr als 170’000 Beschwerden gegen die Planauflage gingen ein. Vielfach handelte es sich um vorgefertigte Einsprachen von Bürgerinitiativen. «Aber 2000 bis 3000 Einsprachen waren substantiell», sagt Michael Bressmer, der Sprecher der Deutschen Bahn (DB).

Angst vor zusätzlichem Lärm

Grund für die Rekurse war in erster Linie die Lärmbelastung. Schon auf dem bestehenden Trassee der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel verkehren täglich 250 Nah-, Fern- und Güterzüge. Mit dem Ausbau und teilweise Neubau wird die Belastung zunehmen. Gemäss Prognosen könnte ihre Zahl bis auf 335 Durchfahrten pro Tag ansteigen.

Umstritten ist denn auch vor allem die Streckenführung durch urbane Gebiete wie Offenburg oder Freiburg. Mit den Einsprachen sollte Druck gemacht werden, möglichst umweltverträgliche Lösungen zu finden – wie beispielsweise in Rastatt, wo zurzeit ein 4,2 Kilometer langer Tunnel erstellt wird, der das Zentrum unterfährt. Das Bauwerk mit zwei einspurigen Röhren hat einen stolzen Preis: 860 Millionen Euro (zirka 1 Mrd. Franken).

Ein wichtiger Entscheid fiel am 28. Januar 2016, als der Deutsche Bundestag beschloss, 1,5 Milliarden Euro für optimierte Planungen beim Vier-Spur-Ausbau dieser Bahnlinie zu sprechen. Damit wird beispielsweise der Weg frei für einen sieben Kilometer langen Tunnel in Offenburg, der den von der Bevölkerung bekämpften oberirdischen Ausbau ersetzt.

«Dieser Beschluss stellt einen bedeutenden Schritt hin zum Ausbau der wichtigsten Zulaufstrecke der Neat im Norden dar», teilt das BAV auf Anfrage mit. Er zeige, dass Deutschland seine Verpflichtungen umsetzen wolle, die es gegenüber der Schweiz im Zusammenhang mit der NEAT eingegangen sei.

Ausreichende Kapazitäten

Damit die Güterverkehrskapazitäten bereits vor der Inbetriebnahme der beiden zusätzlichen Gleise auf der Strecke Karlsruhe-Basel bedarfsgerecht erhöht werden können, hat der deutsch-schweizerische Lenkungsausschuss im Mai 2015 der DB Netz AG zudem den Auftrag erteilt, entsprechende kurz- und mittelfristig realisierbare Massnahmen zu prüfen und Vorschläge zu machen.

«Mit den ergriffenen Massnahmen stehen sowohl im Norden als auch im Süden genügend Kapazitäten im Hinblick auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels am 1. Juni 2016 und der Gesamt-Neat per 2020 bereit», so das BAV. Zumal für den Vollausbau der Zulaufstrecken keine fixen Jahreszahlen gelten.

Gemäss den Verträgen mit den beiden Ländern muss der Ausbau der Zulaufstrecken so erfolgen, dass sie «Schritt halten mit der Verkehrsnachfrage». Und mit einem sprunghaften Anstieg wird auch nach der Fertigstellung der Neat (mit Ceneri-Basistunnel und 4-Meter-Korridor) nicht gerechnet. In Deutschland geht man davon aus, das der Ausbau der Rheintalstrecke erst 2029 vollendet sein wird, 10 Jahre nach dem ursprünglich angepeilten Termin.

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