Europas Strombatterien in den Schweizer Alpen
Viele Länder möchten ihren Atomstrom durch erneuerbare Energien wie Wind und Sonne ersetzen. Doch fallen diese unregelmässig an. Mit Ausgleichs-Wasserbecken in den Schweizer Alpen liessen sich diese Fluktuationen auch gesamteuropäisch ausgleichen.
Schneebedeckte Berge, Gletscher, Flüsse und reissende Bäche: Deren Wasser ergiesst sich in die Täler und fliesst weiter durch ganz Europa. Die Schweizer Alpen dienen dem Kontinent als eine der wichtigsten Wasserquellen.
In Zukunft könnten sie auch als wichtige Energiequelle dienen, in denen Strom gespeichert und bei Bedarf in die europäischen Länder weitergeleitet wird.
Das Speichern von Energie stellt eine der kommenden grossen Herausforderungen dar, die es zu lösen gilt. Um dem Klimaeffekt entgegenzuwirken, hat sich die EU ambitiöse Ziele gesetzt: Bis 2020 sollen erneuerbare Energien rund 20% des Gesamtverbrauchs ausmachen und 33% des Strombedarfs decken.
Diese Anteile sollen bis 2050 nochmals erhöht werden, auch weil verschiedene EU-Länder auf Atomstrom verzichten möchten: Nukleare und fossile Energiequellen sollen in erster Linie durch Wind- und Sonnenenergie ersetzt werden. Diese sind zwar sauber, fallen aber unregelmässig an und sind wenig vorhersehbar: Wie soll Strom garantiert werden, wenn weder der Wind bläst noch die Sonne scheint?
Grosse Elektrizitätsreserven
«Dank ihrer zentralen Lage und ihrer flexiblen Kapazität bei der Produktion von Energie aus Wasserkraft kann die Schweiz eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung der Verbraucher in der EU spielen, wenn es im Norden Europas gerade nicht windet und/oder im Süden die Sonne nicht scheint», hatte der EU-Energiekommissar Günther Oettinger schon vor einem Jahr bemerkt.
In den Alpen gibt es beinahe 200 Akkumulations- und Wasserpumpanlagen. Diese nutzen die wirtschaftlichste Technologie, um grosse Mengen an elektrischer Energie zu speichern. Becken und künstliche Seen lassen sich mit Wasser füllen, das bei Bedarf, also wenn andere Energiequellen ausfallen, wieder abgelassen werden kann, um die Generatoren anzutreiben.
Heute dienen diese Anlagen dazu, die Energieproduktion in der Schweiz auszugleichen. Künftig könnten sich auch Stromlücken in anderen europäischen Ländern überbrücken. Zusammen mit der neuen Energiestrategie 2050 hat die Schweizer Regierung Mitte April vorgeschlagen, diese Anlagen als Strombatterien auch für Europa zu nutzen.
Neue Projekte
Doch der Bau von völlig neuen künstlichen Seen und Stauseen in den Alpen stösst auf grossen landschafts- und umweltschützerischen Widerstand. Auch deshalb sieht der Bundesrat in den Wasserpump-Zentralen ein grosses Potenzial. Denn solche können auch an bereits bestehende Wasserbecken angeschlossen werden.
Zur Zeit produzieren die Pumpzentralen nur 1,5 TWh (Terawattstunden) Strom. Jedoch sind fünf oder sechs weitere Zentralen in Planung oder im Bau. Diese dürften in wenigen Jahren die Produktion auf 7,5 TWh erhöhen. Darunter ein Pump-System zwischen dem Puschlaver See und dem Lago Bianco in Graubünden, das allein 1,5 Milliarden Franken kosten wird.
«Der Vorteil dieser Anliegen liegt darin, dass das Wasser den Berg hinaufgepumpt werden kann, wenn zu viel Strom vorhanden ist und die Tarife deshalb tief sind», sagt Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie. «Ins Tal abgeleitet respektive genutzt wird die Wasserkraft dann erneut zu einem Zeitpunkt, in dem viel Strom verbraucht wird und die Tarife dementsprechend hoch sind.»
Gemeinsame EU-Erklärung
Die Preisschere zwischen tiefen und hohen Tarifen dürfte sich in Zukunft noch vergrössern, denn die Produktion von Sonnen- und Windenergie schwankt prinzipiell viel stärker als jene aus einem gleichmässig produzierenden Atomkraftwerk. So gesehen dürfte es möglich sein, die hohen Investitionen und die durch das Pumpen verursachten Energieverluste – rund ein Viertel der gesamthaft produzierten Energie – zu amortisieren.
Der Bundesrat ist jedenfalls davon überzeugt. Am 1. Mai hat Energieministerin Doris Leuthard mit ihren Kollegen aus Deutschland und Österreich eine Erklärung unterzeichnet, in der sich die drei Länder bemühen, ihre Wasserpumpwerke auszubauen. Voraussichtlich werden diese vor allem in Österreich und der Schweiz gebaut und für den Ausgleich von Energiefluktuationen in Deutschland benutzt.
Mit solchen Kooperationen hofft Bern, die EU zu überzeugen, rasch einen bilateralen Vertrag zur elektrischen Energie zu unterzeichnen. Dieser würde es der Schweiz erlauben, in den gemeinsamen EU-Energiemarkt zu dringen und sich als Transmissions-Plattform für Strom zu etablieren.
Viel Zeit bleibe nicht, so Zünd. «Sonst riskiert die Schweiz, aus dem neuen grossen Netzwerk, das Strom transportiert, dem Supergrid, ausgeschlossen zu werden, das die 27 EU-Länder bereits jetzt projektieren.»
Skeptische Umweltschützer
Doch die Schweizer Regierung hat ihre Pläne, die Energie aus Wasserkraft aufzuwerten, noch ohne die Rechnung der Umweltschützer gemacht. Diese drohen mit einer Volksinitiative, die den Verlauf der Wasserwege und die Landschaft schützen soll.
In ihren Augen schadet ein übertriebenes Ausbeuten der Wasserenergie auch dem Tourismus, der von der Schönheit der Landschaft und der Seen lebt.
Die Pumpanlagen sorgen auch aus wirtschaftlicher und energetischer Sicht für Skepsis. «Ein 20-prozentiger Energieverlust ergibt sich heute bereits beim Transport von Strom aus der Schweiz nach den Niederlanden», sagt Jürg Buri von der Schweizerischen Energie-Stiftung. «Weitere 25% gehen fürs Pumpen verloren. Da muss man sich schon fragen, ob solche Anlagen wirklich rentieren.»
Die «Batterie für Europa»-Strategie des Bundesrats könnte nur dann funktionieren, wenn das Stromnetz Supergrid verwirklicht werde, so Buri. «Inklusive einer Technologie, welche die Transportkosten minimiert, und für den Fall, dass sich alle interessierten Länder anschliessen.» Doch bei der gegenwärtigen Schuldenkrise in Europa müsse man sich fragen, ob Supergrid wirklich realisiert werde.
Laut Buri müssten sich die Schweizer Behörden, statt auf transnationale Projekte zu setzen, vermehrt um die Entwicklung der erneuerbaren Energien kümmern, um den lokalen Verbrauch der kommenden Jahrzehnte zu befriedigen.
Es sei noch nicht klar, ob die Schweiz wirklich wie vorgesehen bis 2034 auf Atomkraft verzichten könne. «Mit diesen europäischen Projekten kommt die Schweiz vor allem den grossen Stromproduzenten entgegen. Diese können damit die Schliessung ihrer Atomkraftwerde kompensieren und weiterhin Strom exportieren.»
56% des elektrischen Stroms wird in der Schweiz mit Wasserkraft produziert, 40% mit Atomkraft und 4% stammt aus anderen Quellen.
In der Schweiz gibt es zur Zeit über 550 Wasserkraftwerke mit mindestens 300 kW Kraft. Diese produzieren zusammen 35,8 Terawatt-Stunden.
47% stammen aus Fliessgewässern wie Flüssen und Bächen, 49% aus gestauten Gewässern, vor allem Stauseen in den Alpen.
Nur 4% des Stroms stammen aus Wasserpumpanlagen. Dabei wird das Wasser aus Talbecken oder Wasserläufen entnommen und auf den Berg hinauf gepumpt.
Diese Anlagen befindet sich im Besitz von mehr als 200 Elektrizitätsgesellschaften. 80% ihres Kapitals befinden sich in öffentlicher Hand, das heisst in der Hand von Kantonen und Gemeinden.
Der Rest entfällt auf private Unternehmen, ausländische Unternehmen und auf die Bundesbahnen SBB.
In der Folge der japanischen Nuklearkatastrophe von Fukushima beschlossen Regierung und Parlament 2011, auf den Bau neuer Atomkraftwerke zu verzichten und das letzte AKW 2034 zu schliessen.
Am 18. April hat der Bundesrat die neue Energiestrategie 2050 für die Schweiz vorgestellt. Die Vorschläge, die dem Parlament noch vorzulegen sind, umfassen verschiedene Massnahmen zur Kompensation des Ausfalls des atomenergetischen Anteils.
Vom gegenwärtigen Niveau von 70 TWh soll der gesamte Stromverbrauch auf rund 50 TWh heruntergesetzt werden. Die Priorität wird also auf die Stromeinsparungen im Gebäude- und Industriebereich gelegt.
Auf einen Drittel erhöht werden soll die Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen.
Gegenwärtig beträgt die Quote aus diesen Quellen nur 2% des Gesamtverbrauchs – von der Wasserkraft abgesehen.
Um die Sicherheit der Zufuhr zu gewährleisten, vor allem in den kritischen Wintermonaten, sollen Gas-Kraftwerke gebaut werden.
Ab 2020 sollten auch Steuern auf den CO2-Ausstoss erhoben werden.
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
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