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Der Fall Sudan: Was man zur Evakuierung aus Krisengebieten wissen muss

Luftbild von Khartum
Khartum am 16. April 2023. Der Flughafen ist unter Beschuss. Unmittelbar daneben die Schweizer Botschaft (gelb eingekreist). Keystone / Maxar Technologies Handout

Expats und Reisende, die den Sudan verlassen wollten, konnten nicht mehr auf die Hilfe der Schweizer Botschaft zählen. Zu welcher Art von Hilfe ist der Bund überhaupt verpflichtet? Fragen und Antworten zur Operation Sudan.

Warum geriet das Aussendepartement (EDA) wegen dem Sudan in die Kritik? In der Hauptsache war es ein Walliser Auslandschweizer, der im «Tages-Anzeiger» von seiner Erfahrung im Sudan berichteteExterner Link: Während er mitbekommen habe wie andere Staaten – Belgien und Deutschland – ihre Auslandbürger:innen über Telefon, Mails und SMS zeitnah informierten, sei «die Schweiz in dieser Krise ziemlich abwesend» gewesen. 

Im Inland wurde auch kritisiert, dass die Schweiz nicht in der Lage war, die Evakuierung eigenständig durchzuführen. Sie war auf den Goodwill anderer Staaten angewiesen. 

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Wie ist das Aussendepartement für Krisen gerüstet? Mit seinem Krisenmanagementzentrum kann das Aussendepartement rasch und standardisiert auf grössere Krisen reagieren. Mit den beiden Apps «Travel Admin AppExterner Link» für Auslandreisende und «SwissInTouchExterner Link» für Auslandbürger:innen hat sie auch Kanäle geschaffen, mit denen sie gezielt in Krisengebiete kommunizieren kann.

«Die Adressen müssen aktuell sein»

Der französische Krisendiplomat Marc Finaud vom Geneva Center for Security Studies betont aber auch die Bedeutung der diplomatischen Basisarbeit: «Die Konsulate müssen mit ihren Staatsbürger:innen in Kontakt sein, die Adressen müssen aktuell sein», sagt er zu RTSExterner Link.

Was war die Schwierigkeit im Sudan? Die Gewalteskalation vom Samstag, 15. April, erwischte Botschafter Christian Winter sowie das gesamte Botschaftspersonal an einem freien Wochenende auf dem falschen Fuss.

Von da an war der Grossteil der Schweizer Gesandtschaft neun Tage lang nicht mehr in der Lage, ins Botschaftsgebäude zu gelangen.

Nur dort aber hätte man über Kommunikationskanäle mit Satellitenanbindung verfügt. «Wir versuchten, mit Walkie-Talkie und Satellitentelefonen zu operieren», sagte Winter nach seiner Rückkehr in die Schweiz. «Sie mussten an ihrem jeweiligen Standort ausharren», ergänzt das EDA dazu. Von Khartum aus konnte also nicht operiert werden. Bern musste übernehmen.

Wie lief die Kommunikation mit den Auslandschweizer:innen ab? Bis am Dienstag nach Kriegsausbruch herrschte darum Stille in der Schweizer Community von Khartum. Nach vier Tagen des Gefechts konnte die Schweiz dank französischem Geleit schliesslich zwei Mitarbeiterinnen in die Botschaft bringen. «Erst dann konnten sie mit der Schweizer Gemeinschaft einen Kontakt herstellen», erklärt das EDA.

Das Gebäude der Schweizer Botschaft in Khartum
Das Gebäude der Schweizer Botschaft in Khartum. Die Residenz des Botschafters und die Unterkünfte der Mitarbeitenden befinden sich nicht am selben Ort. EDA

An diesem Tag erhielten alle bei der Botschaft gemeldeten Schweizer Staatsangehörigen eine Information. Inhalt der Nachricht gemäss Tages-Anzeiger: Die Schweizer Botschaft sei derzeit nur teilweise funktionsfähig. Und: «Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage hat die Schweiz nur begrenzte oder gar keine Möglichkeiten, in Notfällen Hilfe zu leisten.»

Am vierten Tag nach Kriegsausbruch

Diese erste proaktive Kommunikation der Schweiz an ihre Bürger:innen im Krisengebiet erfolgte per E-Mail oder SMS. Der Verteiler von Khartum enthält rund 100 Personen, grösstenteils schweizerisch-sudanesische Doppelbürger:innen.

Indirekt hatte es zuvor schon auf der EDA-Webseite Meldungen gegeben, an Reisende zudem per Push auf der Travel Admin App.

Warum ist dies problematisch? Der Bund konnte wohl zwei im Auslandschweizergesetz Externer Linkfestgehaltenen Grundsätzen nicht umfassend genügen, beide unter Artikel 48Externer Link.

Erster Grundsatz: «Jede Vertretung verfügt über ein Krisendispositiv, namentlich für bewaffnete Konflikte.»

Ein solches Dispositiv hätte eine Botschaftsbesetzung – auch am Wochenende – enthalten können. Die sudanesische Armee hatte zwei Tage vor Gefechtsausbruch, am 13. April gewarnt, das Land sei «an einem gefährlichen historischen Wendepunkt». Paramilitärs strömten in die Hauptstadt Khartum.

Das EDA schreibt dazu: «Wie Drittstaaten, Partner und internationale Organisationen wurde auch das Personal der Schweizer Botschaft von den Ereignissen überrascht.» Botschafter Winter sagte: «Die bewaffnete Auseinandersetzung hat niemand antizipiert. Es war Ramadan, der Monat der Versöhnung.»

Für Infos selbst verantwortlich

Der zweite Grundsatz des Auslandschweizergesetzes: «Das EDA und die Vertretungen informieren natürliche Personen und deren Angehörige im Falle einer Krisensituation.»

Eine Push-Information erfolgte – aus genanntem Grund – erst am vierten Tag der Kampfhandlung. Auf Anfrage von swissinfo.ch schreibt das EDA dazu: «Die Helpline EDA in Bern war stets 24/7 erreichbar.»

Ebenfalls argumentiert das EDA, dass sich Schweizer Staatsangehörige im Ausland in Krisensituationen selbst über die aktuelle Lage informieren müssten. «So sieht es das Auslandschweizergesetz vor.» Explizit steht da allerdings nur, dass der Bund die Auslandschweizer und -schweizerinnen informiert.

Was unternahm der Bund konkret? Die wesentlichen Informationen waren verfügbar, denn trotz den Herausforderungen vor Ort unternahm die Zentrale in Bern alles Mögliche, um den Staatsangehörigen optimal beizustehen. Es passte die ReisehinweiseExterner Link nach dem 15. April viermal an. Auf der Website der Botschaft erschien ein Krisenbanner.

Zehn Personen, die sich über die Travel Admin App registriert hatten, erhielten mehrfach Push-Mitteilungen. Die HelplineExterner Link arbeitete rund um die Uhr. Entsprechende Rückmeldungen – vom EDA zur Verfügung gestellt – zeugen vom Engagement der Mitarbeitenden in Bern:

«Ich danke Ihnen und dem Team der Helpline für die anhaltende Unterstützung aus der Ferne. Ihre Updates zu Fliegern von Drittstaaten waren massgeblich für die erfolgreiche Evakuierung.»

«Au nom de toute la famille …, je tiens à vous adresser nos vifs remerciements et gratitude pour le soutien et assistance.»

«Vielen Dank für Ihre ausserordentliche Unterstützung in den letzten Tagen!»

Updates über Flugmöglichkeiten

Wer aber nicht nach Bern anrufen kann, bekommt davon wenig mit. Der Bund kommuniziert auch in der Folge hauptsächlich in Pull-Mitteilungen, solchen, die man sich selbst beschaffen muss.

Die zweite Push-Mitteilung der Schweiz an ihre Staatsangehörigen in Khartum kommt sechs Tage nach der ersten, am 24. April. Es ist der Zeitpunkt, an dem Drittstaaten mit militärischen Evakuierungsflügen beginnen. Von da an informiert der Bund in hoher Kadenz über die Möglichkeiten, den Sudan von Khartum aus zu verlassen. 

Rauch über Khartum
Rauch über Khartum nach Gefechten am 22. April 2023. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

«Immer, wenn konkrete Flugoptionen bestätigt waren, informierte das EDA proaktiv», schreibt das EDA. Wer seine Ausreisebereitschaft bekanntgegeben hat, erhält von nun an «systematisch alle Informationen zu militärischen Flügen aus Khartum». Bis am 1. Mai folgen über 21 solcher Informationen. Pro Informationspaket versendet der Bund 120 SMS und 70 E-Mails.

Muss die Schweiz ihre Bürgerinnen und Bürger aus Krisengebieten holen? Nein. Der Solidaritätsgedanke in der Schweiz ist zwar stark. Aber das Gesetz sieht auch einen Garantie-Ausschluss für Auslandschweizer:innen und Auslandreisende vor.

Es sind die Klauseln 5 und 6 im Auslandschweizergesetz. Sie versetzen den Bund in die Lage, bei Ereignissen, vor denen er gewarnt hatte, auf Hilfeleistungen zu verzichten. Artikel 5 besagt, dass Auslandaufenthalte in der Eigenverantwortung der Bürger:innen liegen. Artikel 6 schafft für die für die Reisewarnungen des Aussendepartements EDA eine rechtliche Verbindlichkeit.

Und dann gibt es erwähnten Artikel 48, «Krisensituationen». Dort ist festgehalten, dass der Bund bei Krisen «im Rahmen des Möglichen» Beistand leistet. Ebenso hält er fest:  «Der Entscheid, eine Krisenregion zu verlassen, erfolgt freiwillig, auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten.»

Wer bezahlt für die Evakuierung? Grundsätzlich sind solche Leistungen also kostenpflichtig. Das gilt für die Evakuierten. Aber auch für den Bund, der Flugoptionen bei Drittstaaten organisieren musste.

Über allem steht jedoch zudem das Solidaritätsprinzip. Der Leiter des Schweizer Krisenzentrums Serge Bavaud sagt: «Während der Krisenbewältigung spricht man nicht über eine allfällige Begleichung von Kosten.» Priorität liege immer auf der Durchführung der Evakuierungen. Aussenminister Ignazio Cassis sagt zur Hilfe der europäischen Partnerstaaten: «Man bleibt in der Schuld. Man gibt diese Solidarität im gegebenen Moment zurück.»

Übersteigerte Ansprüche

Warum setzt die Schweiz bei der Hilfeleistung Grenzen? Nach aussen beruft sich das Aussendepartement stets auf den harten Buchstaben des Auslandschweizergesetzes. Es gibt aber auch eine Soft-Komponente: gestiegene Ansprüche. Diese haben in den letzten Jahren zu einer deutlicher wahrnehmbaren Abgrenzung des Bundes gegenüber übersteigerten Erwartungen von Auslandbürger:innen geführt.

Haupttreiber dafür war die Covid-19-Pandemie. Sie führte einerseits zur grössten Rückholaktion des Bundes aller Zeiten. Sie offenbarte aber auch, dass die Ansprüche einzelner Bürger:innen im Ausland das Mass sprengen. «Im Ausland verlangen sie Dinge, bei denen ihnen in der Schweiz gar nicht in den Sinn käme, den Staat danach zu fragen», sagte der damalige Direktor der Konsularischen Direktion, Johannes Matyassy, dazu.

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