Ex UBS-Topbanker Raoul Weil vor US-Gericht
Der Prozess wegen Steuerhinterziehung gegen den ehemaligen Chef des Global Wealth Management der UBS, Raoul Weil, beginnt am 14. Oktober in den USA. Weil ist angeklagt, ein Modell ausgeklügelt zu haben, um insgesamt 20 Milliarden Dollar (19 Mrd. Fr.) vor der US-Steuerbehörde zu verstecken.
Weil ist der höchste Schweizer Banker, der je vor US-Gericht stand und eine längere Gefängnisstrafe absitzen muss, falls er schuldig gesprochen wird. Anders als andere von der US-Justiz angeklagte Banker hat sich Weil entschieden, sich zu stellen und die Beschuldigungen zurückzuweisen, anstatt mit dem US-Justizministerium (DoJ) einen Vergleich anzustreben und sich aus dem Staub zu machen.
Zu den Beschuldigten, die vom DoJ einen sogenannten «sweetheart deal» erhielten, gehört auch Martin Liechti, ein ehemaliger Untergebener von Weil. Liechti, der früher Chef des UBS-Wealth Managements in den USA war, wurde im Mai 2008 in den USA als Kronzeuge festgenommen, um gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten auszusagen. Im August des gleichen Jahres wurde Liechti freigelassen und konnte in die Schweiz zurückkehren.
Ein weiterer ehemaliger Spitzenmanager der UBS und früherer Kadermann der inzwischen aufgelösten Neuen Zürcher Bank soll laut Medienberichten der US-Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung stehen. Die Staatsanwaltschaft hat rund 60 Zeugen aufgeboten, um gegen Weil auszusagen, und einen Berg von Beweismitteln vorgelegt, der mehrere Millionen Seiten umfasst.
Weil scheint aber gewillt zu sein, es gegen den US-Justizmoloch aufzunehmen, der schon ganze Banken plattgewalzt hat. In früheren Fällen, welche das Justizministerium vor Gericht brachte, wurden der UBS und der Credit Suisse gewaltige Geldbussen auferlegt, und die Schweizer Traditionsbank Wegelin wurde zerschlagen. Auch zwei weitere Schweizer Banken brachen unter der Last der Ermittlungen zusammen.
Die langwierigen Ermittlungen des DoJ haben auch dem traditionsreichen Schweizer Bankgeheimnis den Todesstoss versetzt.
«Er ist froh, seine Rechte wahrnehmen zu können und die Anschuldigungen vor einem fairen und unparteiischen Gericht zu widerlegen, von dem er sich einen Freispruch verspricht», sagte Weils Anwalt Aaraon Marcu im Januar, als sich sein Klient für unschuldig erklärte.
Schweizer- vs. US-Recht
Ein Strafbefehl der Schweizer Bundesanwaltschaft vom Juli 2014 gegen den ehemaligen UBS-Banker Renzo Gadola hat die Widersprüche zwischen dem schweizerischen und amerikanischen Steuerrecht deutlich gemacht.
Laut der Zeitung Schweiz am Sonntag hat die Bundesanwaltschaft Gadola verurteilt, weil er den US-Ermittlern nach seiner Verhaftung in Miami vor vier Jahren zwei Depotauszüge von Kunden übergeben hatte, die Schwarzgeld in der Schweiz gelagert hatten. Gadola, der zwischen 2005 und 2009 bei der UBS gearbeitet hatte, wurde 2010 in Miami festgenommen. Ein Jahr später wurde er mit einer 5-jährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung entlassen, nachdem er mit den US-Behörden kooperiert hatte.
Im Juli 2014 auferlegte ihm die Schweizer Bundesanwaltschaft eine Busse von 6000 Franken und die Bezahlung der Verfahrenskosten von 7000 Franken. Die Geldstrafe wurde unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben.
Leichen im Keller
Stephen Kohn vom nationalen Whistleblower Center in Washington schliesst nicht aus, dass mit Weil vor dem Ende des Prozesses doch noch ein Vergleich erzielt werden könnte. Kohn, der den ehemaligen UBS-Banker und späteren Whistleblower Bradley Birkenfeld vertreten hatte, glaubt, dass Weil von seinen Kenntnissen über einflussreiche Leute, die Vermögen bei der UBS haben, profitieren könnte.
«Wenn Weil der gleiche ’sweetheart deal› angeboten worden wäre wie Martin Liechti, hätte er ihn bestimmt sofort angenommen», sagt Kohn gegenüber swissinfo.ch. «Falls sich die USA während des Prozesses für einen Vergleich entscheiden, hoffen wir, dass die amerikanischen Steuerzahler nicht zu Schaden kommen werden.»
«Die überwältigenden Beweismittel lassen Weil als Hauptperson in einem internationalen Steuerhinterziehungssystem erscheinen, welche die USA Milliarden kosten. Die ganze Welt könnte davon profitieren, wenn Weil alle Fakten in Bezug auf illegale Praktiken der Schweizer Banken – nicht nur in den USA, sondern weltweit – aufdecken würde.»
Kohn war durch die hartnäckige Haltung, die das DoJ einnimmt, seit die UBS 2009 mit 780 Millionen Dollar gebüsst wurde, ermutigt worden. Credit Suisse wurde anfangs Jahr gezwungen, drei Mal so viel zu bezahlen, nicht zuletzt, weil die zweitgrösste Schweizer Bank weniger kooperierte als ihre Konkurrentin.
Weils Argumente im Gerichtshof in Florida werden beidseits des Atlantiks eng verfolgt werden. Wenn er sich zur Wehr setzt, könnte der 54-Jährige für die Schweizer Banken, die sich in den USA während langer Zeit auf einem absteigenden Pfad befinden, zu einem Helden werden, sagt Zoé Baches, Journalistin der Neuen Zürcher Zeitung. «Weil könnte zu einer Symbolfigur für den Schweizer Finanzplatz werden, obwohl er diese Rolle kaum je angestrebt hat», schrieb Baches in einem Kommentar.
Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass Weils Verteidigungsstrategie darauf abzielt, andere ehemalige Schweizer Banker verantwortlich zu machen.
Zeugen fürchten Reisen
In den letzten Monaten vor dem Prozess kam es bei der Präsentation von Beweismitteln vor dem Gericht zu einigen juristischen Winkelzügen.
Einen wichtigen Sieg erzielte Weil letzte Woche, als der Gerichtspräsident erlaubte, beim Prozess drei Entlastungszeugen per Video aus London zuzuschalten. Die Zeugen, die bisher nicht namentlich genannt wurden, wollen – aus Angst, verhaftet zu werden – nicht in die USA reisen.
Weils Verteidiger hatten verlangt, dass die Zeugenberichte aus Zürich in Anwesenheit einer Schweizer Amtsperson übertragen werden, um sicher zu stellen, dass die Zeugen das Schweizer Bankgeheimnis nicht verletzten. Aber der Richter bestimmte, dass dies die Beweismittel in einem nicht tolerierbaren Rahmen beeinträchtigen und die Kreuzverhöre behindern könnte.
Schliesslich folgte der Richter einem Antrag von Weils Anwälten, die glaubhaft machen konnten, dass es zu einem unfairen Prozess käme, wenn die Zeugen nicht wenigsten aus London zugeschaltet werden könnten. Die USA haben laut Medienberichten den Zeugen für die Gerichtsverhandlung freies Geleit nach und aus England garantiert.
Das lässt sich im Fall von Raoul Weil nicht behaupten, der 2008 angeklagt wurde und nach dem die US-Justiz ab 2009 fahndete. Vor einem Jahr wurde der Schweizer Topbanker während einer Geschäftsreise in Italien festgenommen und an die USA ausgeliefert.
Es wird erwartet, dass der Prozess zwei bis vier Wochen dauern wird.
Raoul Weil
Der 54-jährige Schweizer Raoul Weil hatte bei der UBS eine steile Karriere gemacht.
Zwischen 2002 und 2007 war er Chef des grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäfts der UBS, also in jener Funktion tätig, die ihm nun den Prozess in Florida beschert hat.
Aus Sicht der US-Justiz trägt er als damaliger Chef des internationalen Wealth Managements die Verantwortung für die illegalen Geschäftspraktiken von UBS-Mitarbeitern in den USA.
Weil arbeitete aus Sicht des damaligen UBS-Managements aber offensichtlich erfolgreich: 2005 wurde er in die Konzernleitung der Bank berufen, 2007 wurde Weil Leiter von Global Wealth Management & Business Banking, also des globalen Vermögensverwaltungsgeschäfts und des Privat- und Firmenkundengeschäfts.
Der Bruch kam im November 2008: Raoul Weil wurde in den USA angeklagt und schied einige Monate später aus der Bank aus. Trotzdem konnte er seine Karriere fortsetzen – wenn auch in einer weniger prestigeträchtigen Position: Er wurde Berater bei der Zuger Beratungsfirma Reuss Private Group. Anfang 2013 übernahm er deren Führung – bis er zehn Monate später in Italien verhaftet wurde.
(Quelle: sda)
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch