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Exklusive Szene hütet berühmte Marke

Bergführer Gianni Mazzone, Hüter einer langen Familientradition in Zermatt, im Juni 2015 auf dem Weg zum Gipfel des Rimpfischhorns. John Heilprin, swissinfo.ch

Zermatts stolze und streng gehütete Bergführer-Kultur spiegelt den Charakter der herausfordernden Gipfel, die abenteuerlustige Touristen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Tal locken.

Nur wenige Berge erreichen die ästhetische Perfektion des Matterhorns, das über der Walliser Bergsport-Destination Zermatt thront wie ein surrealer Dinosaurier-Zahn.

Seine kultige Form und Dutzende andere Viertausender in der Gegend locken viele Bergsteiger an. Sie bilden das Fundament der eng gewobenen Zermatter Bergführer-Szene. Die lokale, zunftähnliche Berufsgruppe hat weniger als hundert aktive Mitglieder, und sie ist bekannt dafür, dass Fremde kaum in sie eindringen können.

Jeder der bekanntesten Schweizer Bergsteiger bestätigt, dass das Matterhorn über eine archetypische Schönheit verfügt, der kaum jemand widerstehen kann. Die lokale Bergführer-Gilde profitiert jedes Jahr von dieser Anziehungskraft.

«Wenn Du den Berg siehst, willst Du auf seinen Gipfel steigen», sagt Roger SchäliExterner Link, professioneller Bergsteiger und Bergführer, der überall auf der Welt neue Routen erschlossen hat.

Fremde nicht erwünscht

Schäli, der nicht aus Zermatt stammt, glaubt, für Fremde sei dies ein hartes Pflaster. «Wenn Du nicht Teil der Zermatter Familie bist, ist es ziemlich hart», sagt er. Die Zermatter Bergführer seien «Superhelden daheim», weil sie auf der eigenen Scholle verehrt würden und Aufstiege wie die Routen auf das Matterhorn auswendig kennten. Dies sei extrem wichtig, um die Sicherheit ihrer Kunden garantieren zu können.

Über die Jahre sind etwa 500 Personen auf der Schweizer und 200 auf italienischer Seite ums Leben gekommen. Laut Schäli geschahen aber nicht viele Unfälle im Beisein von Bergführern. Oft seien es unbegleitete Seilschaften, die verunfallten.

«Die Zermatter Bergführer-Kultur blickt zurück auf eine lange, sagenumwobene und glänzende Geschichte», sagt der Amerikaner Matt CulbersonExterner Link, Ausbildner und ehemaliger Bergführer auf vier Kontinenten.

«Es ist aber auch eine sehr abgeschottete Szene, und ein schwieriger Platz für jeden Bergführer, der nicht aus Zermatt stammt. Zudem sind sie sehr beschützerisch. Das ist auf eine Art gesund, weil sie diese Ressource haben, die sie sehr intensiv pflegen.» Culberson war auch Präsident der «American Mountain Guides Association».

Goldesel

Schon lange vor der Erstbesteigung des Matterhorns 1865, von der die beiden Zermatter Bergführer Vater und Sohn Peter Taugwalder Senior und Junior sowie der britische Alpinist Edward Whymper als einzige Überlebende zurückkehrten, hatten Bauern in der Schweiz begonnen, die Alpen als wachsende Touristenattraktion in Bares zu verwandeln.

Vor der Erstbesteigung galt das Matterhorn weitherum als unbezwingbar, oder es galt als Wohnstätte böser Geister. Einige aus der Zermatter Bergführer-Gilde vermieden den Berg gewissenhaft. Aber nicht alle.

Einige abenteuerlustige Männer, wie Taugwalder Senior, ein Bauer und Bergführer, erkannten eine Möglichkeit, wie der Kultberg auf der Grenze zwischen der Schweiz und Italien zu erzwingen wäre.

Im goldenen Zeitalter des Alpinismus wurde der Berg zu einer heissbegehrten Trophäe für jene, die als erste seinen Gipfel erklimmen würden. Taugwalder der Ältere trieb die Route über den Hörnligrat von der Schweizer Seite voran, heute ein Klassiker.

Auftritt Whymper

Jean-Antoine Carrel, ein italienischer Steinhauer und Bergführer, versuchte es von der italienischen Seite her. Keiner der beiden war erfolgreich, bis britische Abenteurer wie Whymper und John Tyndall aufkreuzten. Sie verfügten über die finanzielle und logistische Unterstützung des «Alpine Club of London»Externer Link, des weltweit ersten Alpenklubs.

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Wurde das Seil zerschnitten?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der bekannte Bergsteiger Stephan Siegrist sinniert über die Frage, die den ersten erfolgreichen Aufstieg auf das Matterhorn überschattet.

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Whympers Triumph überschattete Carrels Erfolg, dem drei Tage danach die Zweitbesteigung gelang. Die Tragödie während Whympers Abstieg, bei der vier Menschen ihr Leben verloren, brachte Königin Victoria dazu, über ein Bergsteige-Verbot für alle britischen Staatsangehörigen nachzudenken.

Aus rein werbetechnischen Überlegungen heraus aber war ihr heroischer Aufstieg die perfekte Mischung aus Triumph und Tragödie, die das Mattertal und sein höchstgelegenes Dorf Zermatt auf die Weltkarte brachte.

Die Erstbesteigung war eine Abenteuergeschichte mit allen Elementen eines Thrillers: Triumph und Tragödie, Leidenschaft und Verrat, nationale Ambitionen gegen internationale Zusammenarbeit.

Edith Zweifel von Zermatt TourismusExterner Link betont, die Erstbesteigung des Matterhorns habe den Bergsport in den Schweizer Alpen bekannt gemacht. Und seit damals seien Zermatt und das Matterhorn, das jährlich 3000 Bergsteiger anlockt, zu globalen Marken geworden. Heute liegt das Bergdorf Zermatt bei den Hotelübernachtungen der gesamten Schweiz nach den viel grösseren Städten und Finanzzentren Zürich und Genf an dritter Stelle.

Auch wenn der Sommer- wie auch der Wintertourismus seit den Pioniertagen exponentiell zugenommen haben, bleibe der Alpinismus für Zermatt das Wichtigste, betont Zweifel.

Verantwortung

Jüngere Bergführer mit Familie versuchen oft, Tagestouren durchzuführen, um nicht zu lange von ihren Kindern getrennt zu sein. Doch der Druck ist gross, denn sehr viel in diesem Geschäft hängt vom Wetter ab. Und dieses kann niemand kontrollieren.

«Wenn Du Familie hast, ist es nicht einfach, Bergführer zu sein. Du wirst damit nicht reich», sagt Gianni Mazzone, ein direkter Nachfahre der Taugwalders. Doch er ist sich auch bewusst, wie viel schwieriger es für seine Vorfahren gewesen sein muss, die als Bergführer arbeiteten.

«Gewöhnlich ist die Arbeit als Bergführer enorm leichter als früher. Die Ausrüstung – können Sie sich das vorstellen, die hatten ja nicht einmal Steigeisen! Sie hatten Äxte dabei, aber schwere, mit langen Stielen. Und sie trugen schwere Kleidung. Es war ganz klar schwieriger», so Mazzone.

Dazu kamen weitere Hindernisse: «Es war auch schwierig, Kunden zu finden. Der Zug stoppte weiter unten im Tal, also mussten die Bergführer ins Tal hinabsteigen, dort übernachten und anschliessend auf Kundensuche gehen. Zumeist waren dies Briten. Die meisten Bergführer hielten Kühe oder anderes Vieh wie Schafe, also musste sich jemand um die Tiere kümmern, während der Vater auf den Berg kletterte.»

Oft sorgten sich Familienmitglieder jeden Tag, dass ein Bergführer nicht mehr zurückkommen könnte. Doch auch heute bleibt der Beruf risikobehaftet. Mit dem besseren Zugang zu den Bergen können Bergführer heute bei gutem Wetter sieben Tage pro Woche am Berg sein. Das bedeutet, sie können müde werden und sind dadurch öfter Gefahren ausgesetzt. «Es ist wie Murphys Gesetz», sagt Mazzone, nur halb im Scherz.

«Ich bin immer noch top-motiviert für meine Arbeit. Doch am Ende muss ich meinen Kunden sicher wieder vom Berg herunterbringen. Um das geht es, das ist die Priorität. Und nicht, dass ich ein dickes Bankkonto habe.»

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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