2015 war schwieriges Jahr für Schweizer Uhrenindustrie
Nach Jahren "verrückten" Wachstums erleidet die Schweizer Uhrenindustrie einen Rückgang wie seit der Krise von 2009 nicht mehr. 2015 gingen die Uhrenexporte um 3,3% zurück – eine Bestätigung des veränderten Klimas in der Branche.
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Journalist und stellvertretender Leiter der Redaktion für die drei Landessprachen von swissinfo.ch (Deutsch, Französisch, Italienisch). Zuvor bei Teletext und rts.ch.
Der Ukraine-Konflikt, der Fall des Rubels, die explosive Situation im Nahen und Mittleren Osten, eine Antikorruptions-Kampagne und abnehmendes Wachstum in China, die Ankunft der Smartwatches und die Frankenstärke: Zahlreiche Faktoren werden ins Feld geführt, um die Schwierigkeiten zu erklären, mit denen die Schweizer Uhrenindustrie seit mehreren Monaten zu kämpfen hat.
Die am 26. Januar publizierten Zahlen des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) überraschen deshalb kaum. Die Uhrenexporte gingen 2015 gegenüber 2014 um 3,3% auf 21,54 Milliarden Franken zurück. Mit Ausnahme des Einbruchs während der Weltwirtschaftskrise 2009 ist dies das erste Mal, dass die Schweizer Uhrenbranche seit Anfang der 2000er-Jahre, als ein beispielloser Boom losgegangen war, einen derartigen Rückgang hinnehmen musste.
Doch der Rückgang muss auch relativiert werden, denn 2015 war, nach 2014 und 2013, wertmässig trotzdem das drittbeste Jahr der Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie, wie der FH betont.
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Die detaillierten Statistiken zeigen, dass die asiatischen Märkte 2015 am meisten gelitten haben, darunter an erster Stelle Hongkong mit einem Rückgang von 22,9%. Die Exporte in europäische Länder hingegen konnten eine schöne Zunahme der Exporte verzeichnen.
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(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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Schweizer Unternehmen spüren die Auswirkungen der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank am 15. Januar mit voller Wucht. Trotz dem starken Franken blieb der Arbeitsmarkt aber bisher recht robust, doch gegen Ende Jahr könnte es vermehrt Entlassungen geben. In der Industrie macht man sich Sorgen.
Auch nach sechs Monaten bleibt Rolf Muster in Aufruhr. "Die Werkzeugmaschinenindustrie ist daran gewöhnt, zyklische Krisen durchzumachen, aber heute ist die Situation wirklich schwerwiegend. Wir befinden uns in einem Flugzeug ohne Pilot, und niemand scheint zu realisieren, dass wir direkt auf eine Mauer zusteuern", klagt der Chef von Schaublin Machines SA, einem Unternehmen im Jurabogen, das auf den Bau von industriellen Drehmaschinen spezialisiert ist.
Die plötzliche Aufwertung des Schweizer Frankens nach dem Entscheid der SNB, den Euro-Mindestkurs aufzugeben, traf die von Muster geleitete Firma mit voller Wucht. Zwischen dem 1. Januar und dem 31. Mai dieses Jahres brachen die Bestellungseingänge bei Schaublin Machines SA (40 Millionen Franken Umsatz 2014) um fast 60% ein. Muster, der bekräftigt, im Namen "zahlreicher anonymer Unternehmer" zu sprechen, welche dieselben Klippen zu umschiffen hätten, sah sich gezwungen, ein Dutzend Mitarbeiter zu entlassen sowie für 35 seiner Mitarbeiter Kurzarbeit zu verfügen.Schwankt der Franken weiterhin hartnäckig an der Paritätsgrenze zum Euro herum, wird Muster sich darauf vorbereiten müssen, dass er mittelfristig bis zur Hälfte seiner rund 120 Mitarbeiter entlassen werden muss. "Während der Krise 2009-2010 wussten wir, dass die Weltwirtschaft früher oder später wieder in Fahrt kommen würde. Heute wiegt die mangelnde Aussicht besonders schwer, denn es scheint wenig wahrscheinlich, dass der Schweizer Franken gegenüber dem Euro rasch einmal an Wert einbüssen wird", unterstreicht er.
Innovation, aber wie?
Musters Zorn richtet sich gegen die SNB, aber auch gegen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der sich in dieser Krise viel zu passiv verhalte. Der Patron der Schaublin Machines SA schluckt auch die Beschwörungen der Politiker zur Förderung von Innovation nicht, um die Wettbewerbsfähigkeit von "Swiss made"-Produkten noch weiter zu steigern.
"In normalen Zeiten investieren wir bereits gegen 10% unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Wie soll dieser Anteil erhöht werden, wenn der Umsatz um die Hälfte gesunken ist? Die Deutschen, unsere wichtigsten Konkurrenten, sind auch nicht dümmer als wir. Im Gegenteil, sie wurden von einem Tag auf den anderen 15% billiger, ohne auch nur einen Bolzen ihrer Maschinen austauschen zu müssen", beklagt Muster.
Auch Swissmem, der Dachverband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM), die mit ihren gegen 380'000 Beschäftigten in der Schweizer Volkswirtschaft eine wichtige Stelle einnimmt, teilt die Sorgen dieses Unternehmers. "Eine Mehrheit der Unternehmen in der Branche sind vom Entscheid der SNB stark betroffen", bekräftigt Philipe Cordonier, der bei Swissmem zuständig ist für die französischsprachige Schweiz.
Bisher konnte der Schock des starken Frankens, der zweite, den die Schweiz nach jenem von 2011 erlebt, mit raschen Massnahmen wie dem Senken von Kosten und dank den Bestellungseingängen aus der Zeit vor dem 15. Januar abgefedert werden. So gingen in den ersten drei Monaten nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses in der MEM-Industrie, die 80% ihrer Produktion exportiert, davon 60% in den EU-Raum, "nur" 2000 Arbeitsplätze verloren. Und die Prognosen zum Wirtschaftswachstum wurden zwar nach unten revidiert, bleiben aber für die Wirtschaft insgesamt für das laufende Jahr im positiven Bereich.
Bleiben 30'000 Stellen auf der Strecke?
Doch jetzt, wo es darum geht, mit den Kunden neue Verhandlungen aufzunehmen, zeigen sich die Chefs von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wenig optimistisch. "Die zweite Hälfte des Jahres dürfte schwierig werden. Bestätigen sich die Auftragsverluste, besteht das Risiko, dass wird bald einmal eine Welle von Entlassungen sehen werden", erklärt Cordonier.
Wenn sich der Euro-Wechselkurs weiterhin um 1,05 Franken herum bewege, könnten in den nächsten sechs bis neun Monaten gegen 30'000 Stellen verloren gehen, befürchtete Valentin Vogt, der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, jüngst in einem Bericht der NZZ am Sonntag.
Pierluigi Fedele, Mitglied der Geschäftsleitung der Gewerkschaft UNIA, teilt diese Einschätzungen: "In der Industrie gehen jeden Tag Stellen verloren. Bisher sind davon vor allem Beschäftigte mit befristeten Verträgen betroffen, die nicht erneuert werden. Daneben werden Stellen nicht wieder besetzt, wenn jemand in Pension geht, weshalb sich diese Entwicklung bisher erst leicht auf die Arbeitslosenquote ausgewirkt hat. Aber viele KMU-Chefs, vor allem im Jurabogen, ziehen in Betracht, viel brutalere Entscheidungen zu treffen."
Fedele macht vor allem Sorge, dass ein Strukturwandel im Schweizer Industriesektor in Gang gekommen sei. "Wir befinden uns nicht in einer konjunkturellen Logik, die verlorenen Arbeitsplätze werden nicht wieder neu geschaffen."
Subunternehmen an vorderster Front
Die in der MEM-Industrie zahlreichen Subunternehmen am untersten Ende der Beschaffungskette sind die ersten, die unter der Aufwertung der nationalen Währung leiden.
"Wir haben von einigen unserer Kunden in der Schweiz harsche Briefe erhalten, in denen wir dazu angehalten wurden, unsere Preise rasch zu senken", erklärt etwa Jürg Haefeli, Chef von Lamineries Matthey SA, einer auf Präzisionskaltwalzen spezialisierten Firma aus dem Kanton Bern. "Gleichzeitig profitierten unsere europäischen Konkurrenten von der Situation und praktizieren eine aggressive Preispolitik."
Resultat: Verlust von Kunden, Rückgang der Bestellungseingänge, Einschnitte bei den Margen. "Wir werden gezwungen sein, unsere Produktivität weiter zu erhöhen, um wieder die Position zu erlangen, die wir vor dem 15. Januar hatten. Das wird jedoch nicht von heute auf morgen passieren, wir müssen sicher mit vier bis fünf Jahren rechnen. Zum Glück haben wir einen soliden finanziellen Rückhalt, was in unserer Branche eher die Ausnahme ist", erklärt Haefeli weiter.
Unsicherheit der Uhrenbranche
Die MEM-Industrie ist vom starken Franken am stärksten betroffen, doch die Flaute könnte sich bald auch auf andere Sektoren ausweiten. So haben Vertreter der Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelbranche, Sektoren, die dafür bekannt sind, einem steifen Gegenwind ziemlich gut entgegen halten zu können, jüngst in Schweizer Medien ebenfalls ihrer Sorge Ausdruck gegeben.
Das Aushängeschild der Schweizer Industrie, die Uhrenbranche, konnte in den vergangenen Jahren komfortable Margen einfahren, indem sie beim Endkonsumenten vom "Swiss made"-Effekt profitieren konnte. Doch auch die Uhrenindustrie beginnt, erste Erschütterungen des Währungsbebens zu spüren.
"Der starke Franken gesellte sich zu den wirtschaftlichen Unsicherheiten, die sich schon vor dem 15. Januar gezeigt hatten", erklärt François Matile, Generalsekretär des Arbeitgeberverbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (CP). "Bisher fielen die Folgen je nach Unternehmen sehr unterschiedlich aus, doch viele Firmen befürchten, dass es nach den traditionellen Uhrmacherferien vom Juli schwierig werden dürfte."
Keine Panikmache
Gewisse der Betroffenen, wie etwa Antonio Rubio, Generalsekretär Westschweizer Vereinigung der mechanischen Industrie (groupement suisse de l'industrie mécanique, GIM), weigern sich jedoch, den Teufel an die Wand zu malen: "Fast 40% der mit unserer Organisation verbundenen Unternehmen sind vom Entscheid der SNB stark betroffen. Im Gegenzug konnten etwa 40%, die ihr Rohmaterial aus dem Euroraum beziehen, davon profitieren, während bei etwa 20% keine bedeutenden Veränderungen auftraten", bekräftigt er.
Für Rubio steht daher ausser Diskussion, in Panik zu verfallen: "Sicher, die Aufgabe des Mindestkurses löste eine Schockwelle aus, und die kommenden Jahre werden für die Schweizer Industrie sicher zu einer Herausforderung. Gleichzeitig ist es auch eine Gelegenheit für viele Unternehmenschefs, die vor die Frage gestellt sein werden, Aktivitäten aufzugeben, die nur wenig oder durchschnittlichen Mehrwert erzeugen. Im Gegenzug glaube ich aber nicht an das Gespenst einer massiven Desindustrialisierung."
Konjunkturprognosen nach unten revidiert
Der starke Franken sollte die Schweizer Wirtschaft nicht in eine tief greifende Rezession rutschen lassen, schrieb das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Mitte Juni. Voraussetzung dafür bleibe aber eine robuste Binnennachfrage und eine Erholung der Weltwirtschaft.
Das SECO rechnet aber weiterhin mit einer "schmerzhaften Anpassung" an die Frankenstärke und revidierte seine Wachstumsprognose für 2015 leicht nach unten (auf +0,8% des BIP).
Im Vergleich dazu prognostizierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) jüngst für das laufende Jahr ein Wachstum von 1%. Und UBS und Credit Suisse gehen von einem Wachstum von 0,55 respektive 0,8% aus. Am wenigsten optimistisch zeigt sich die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, KOF, die mit einem Wirtschaftswachstum von 0,4% rechnet – und einer kurzen Rezession, die aber im zweiten Halbjahr überwunden sein soll.
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