Ist die Schweiz Weltmeisterin im Recycling?
Internationale Studien über Recycling zu finden, ist ein Kinderspiel. Aber einen Champion zu küren, ist hingegen schwierig. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Länder Recyclingquoten unterschiedlich berechnen.
Schweizer Medien, aber auch die Recyclingindustrie und sogar eine Behörde zur Förderung des Landesimages behaupten seit Jahren, die Schweiz sei Weltmeisterin im Recycling. Nun setzen die Gegner der Volksinitiative «Für eine grüne Wirtschaft», über die am 25. September landesweit abgestimmt wird, die Behauptung dafür ein, Vorschläge in Frage zu stellen, die Recycling als Mittel zur Reduktion des Schweizer Kohlenstoff-Ausstosses fördern wollen.
Der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse erklärt in einer Pressemitteilung, die Schweiz habe in Sachen Recycling eine Vorbildfunktion erreicht, von der andere europäische Länder nur träumen könnten. In seinem PositionspapierExterner Link, in dem Argumente gegen die Initiative dargelegt werden, publiziert Economiesuisse eine Infografik mit beeindruckenden Recyclingquoten, welche die Schweizer zum «Weltmeister des Recyclings» machen. Den weltweiten Spitzenreiter im Recycling ausfindig zu machen, ist allerdings schwieriger als es die Anhaltspunkte vermuten lassen.
Auf die Recycling-Krone erheben nämlich mehrere Länder Anspruch. Im jüngsten Bericht der OECDExterner Link über Recycling- und Kompostierungsquoten für Siedlungsmüll schneiden der Vorreiter Deutschland (65%), eine Handvoll andere europäische Länder sowie Südkorea besser ab als die Schweiz (51%).
Diese Quoten sind den Daten für 2014Externer Link der europäischen Statistikbehörde Eurostat sehr ähnlich. Angesichts dieser Zahlen ist es rätselhaft, weshalb sich die Schweizer Weltmeister nennen wollen. Patrik Geisselhardt, Leiter der Dachorganisation Swiss Recycling, glaubt, dass der Titel einst berechtigt war.
«Dank des Verursacherprinzips war die Schweiz eines der ersten Länder, die hohe Recycling-Raten erreichten», schrieb Geisselhardt in einer E-Mail zu den Fragen von swissinfo.ch. Er bezieht sich auf Gebühren, die in den ersten Gemeinden bereits ab den 1990er-Jahren für Müllsäcke erhoben wurden, um Recycling zu fördern. «Es ist auch eine Tatsache, dass in der Zwischenzeit Deutschland, Österreich und nordische Länder ähnliche Raten erreichen [wie die Schweiz, N.d.R.].»
Verschiedene Messungen, verschiedene Quoten
Ob – gestützt auf diese Zahlen – Deutschland oder andere Länder als Champion bezeichnet werden können, ist fraglich. Die OECD weist auf unterschiedliche Definitionen von Siedlungsabfällen und Messmethoden in den einzelnen Ländern hin.
Dass Recyclingquoten nicht in allen Ländern auf die gleiche Art und Weise berechnet werden, bestätigt auch Michael Hügi. «Deutsche Haushalte können zum Beispiel einen Plastiksack verwenden, um wiederverwertbare Verpackungsabfälle zu sammeln. Die Abfälle werden in einem Sortierzentrum für das Recycling und die Energierückgewinnung aufbereitet», sagt der Entsorgungsexperte beim Bundesamt für UmweltExterner Link.
Auch wenn sich nicht alle eingesammelten Abfälle wiederverwerten lassen, werde für die Berechnung der Recyclingquote trotzdem die gesamte Abfallmenge berücksichtigt. In der Schweiz hingegen wird die Sortierung an der Quelle durchgeführt, in der Regel durch die Verbraucher, so dass die Berechnung auf der Basis von Abfallmaterialien beruht, die tatsächlich für das Recycling geeignet sind.
Solche Unterschiede, sagt Hügi, machten es schwierig, ein präzises Ranking nach Recyclingquoten zu bekommen – oder einen Recycling-Champion zu krönen.
Um ein klareres Bild von Recycling zu bekommen, schlägt die Europäische Kommission eine Harmonisierung der Berechnungsmethoden vor, die nur jene Abfallmenge erfasst, die in der Endverarbeitung des Recyclingprozesses landet. Aber die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW) hat davor gewarnt, dass diese Änderung in Deutschland zu einer Senkung der Quote auf unter 50% führen könnte.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 eine Recyclingquote von 50% zu erreichen. Mit anderen Worten: Eine Änderung der Berechnungsmethode könnte zur Folge haben, dass Deutschland und andere Länder bei internationalen Rankings hinter die Schweiz zurückfallen würden.
Weltmeister im Glassammeln?
Dass die Schweiz eine Führungsposition beansprucht, obwohl sie nicht an der Spitze des internationalen Klassements aufgeführt wird, mag daran liegen, dass sie sich auf Daten für das Recycling spezifischer Produkte beruft, wie eine Grafik zeigt, die von Economiesuisse verwendet wird.
Die Grafik erklärt die Schweizer zum Weltmeister und führt Recyclingquoten von über 90% für Glas und Blechdosen auf. Erstellt wurde sie von Präsenz SchweizExterner Link, einer Institution, die im Auftrag des Departements für auswärtige Angelegenheiten das Image der Schweiz im Ausland fördert.
Trotz ihrer eindrücklichen 96% wird die Schweiz gemäss den Zahlen von 2015 des Europäischen Verbands der Hersteller von Glasbehältern von Dänemark (98%) und Schweden (97%) überflügelt. Das Gleiche gilt für Aluminium-Getränkedosen: Die DatenExterner Link, die 2012 vom Europäischen Aluminiumverband veröffentlicht wurden, offenbaren, dass einige Länder, u.a. Norwegen mit 96%, höhere Quoten erzielen als die Schweiz (92%).
Das Urteil
Vergleichende Recyclingdaten, ob für spezifische Materialien wie Glas oder für die Gesamtheit der recyclierbaren Materialien, zeigen, dass die Schweiz ein paar Spitzenplätze belegt, wenn auch knapp. Das Land gehört zweifellos zu den Vorbildern in Sachen Recycling, aber ganz oben in der Rangliste befindet es sich nicht.
Fazit: Diese Rankings sind keine narrensichere Basis für die Suche nach einem sogenannten Champion, solange die Länder unterschiedliche Sammelsysteme und Berechnungsmethoden haben.
Solange die Methoden nicht harmonisiert sind, sollten Economiesuisse und andere, anstatt von Weltmeister in Sachen Recycling zu reden, eher festhalten, dass die Schweiz zu den Besten der Welt gehört. Dies könnte niemand bestreiten.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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