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Fall Lundin: Ein Schweizer Ölmanager steht wegen Kriegsverbrechen im Sudan vor Gericht

Frauen und Kinder, die ihre Habseligkeiten auf dem Kopf tragen
Frauen stehen mit ihren Kindern und Habseligkeiten in dem von Rebellen gehaltenen Dorf Bauw im ölreichen Bezirk Koch im südsudanesischen Bundesstaat Unity, 2015. Keystone / Jason Patinkin

In einem Fall von internationaler Bedeutung stehen in Schweden zwei ehemalige Chefs des Ölkonzerns Lundin vor Gericht, darunter der Schweizer Alex Schneiter. Der Vorwurf: Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sudan.

Angeklagt sind der ehemalige CEO von Lundin Petroleum, Alex Schneiter, und der ehemalige schwedische Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Ian Lundin, die beide in der Schweiz wohnen.

Sie werden verdächtigt, die sudanesischen Ölkriege in den Jahren 1997-2003 angeheizt oder zumindest vorsätzlich die Augen verschlossen zu haben, als von Khartum unterstützte Kräfte und Milizen schwere Übergriffe auf Zivilisten begingen, um ein Ölfeld zu «sichern», auf dem Lundin im Südsudan tätig war.

Zu diesen Übergriffen gehörten laut schwedischer StaatsanwaltschaftExterner Link Bombenangriffe, Beschuss von Zivilisten aus Hubschraubern und das Niederbrennen von Dörfern und Ernten.

Die beiden Führungskräfte streiten jedoch alle Vorwürfe ab. Ian Lundin sagte zu Beginn des Prozesses vor der Presse im Stockholmer Bezirksgericht, alle Anschuldigungen seien falsch und «wir freuen uns darauf, uns vor Gericht zu verteidigen».

«Es handelt sich um einen wirklich wichtigen Fall», sagte der Schweizer Anwalt Gerald Pachoud, ein Experte für Unternehmenshaftung, gegenüber SWI swissinfo.ch.

«Wir haben die Möglichkeit diskutiert, dass Führungskräfte aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit wegen Kriegsverbrechen verklagt werden können, aber bis jetzt war das eher eine theoretische Möglichkeit. Dieser Fall zeigt nun, dass Unternehmen und Führungskräfte extrem vorsichtig sein müssen, wenn sie in Konfliktgebieten tätig sind.»

Der einzige andere Fall dieser Art ist bisher ein Verfahren gegen das Zementunternehmen Lafarge, das jetzt zum Schweizer Holcim-Konzern gehört. Es wurde in Frankreich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verklagt, weil es während des Bürgerkriegs eine Fabrik in Syrien in Betrieb gehalten und angeblich Zahlungen an dschihadistische Gruppen, darunter den Islamischen Staat, geleistet hat.

Der Ruf der Schweiz

Laut Pachoud hat dieser Prozess sowohl eine juristische als auch eine politische Resonanz weit über die Grenzen Schwedens hinaus. «Er unterstreicht die Rolle, die alle Staaten einschliesslich der Schweiz bei der Warnung oder Beratung von Unternehmen spielen müssen, die mit ihnen verbunden und in einem schwierigen Umfeld tätig sind», sagt er gegenüber SWI swissinfo.ch.

In vielen Ländern stünden die Unternehmen in Kontakt mit den Botschaften ihres Heimatlandes, und die Botschaften könnten eine grössere Rolle bei der Warnung vor Menschenrechtsrisiken spielen. 

Möglicherweise tun sie dies bereits, aber der Kanal werde nicht ausreichend genutzt, meint er. Die Führungskräfte der Unternehmen sollten sich der Risiken bewusst sein, aber sie würden sie vielleicht nicht so gut kennen wie die Diplomat:innen.

Ausserdem sei die Schweiz eine Drehscheibe für Rohstoffunternehmen und multinationale Konzerne wie Lundin, «was unterstreicht, dass die Schweiz ein unmittelbares Interesse daran hat, dass sich die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen im Ausland korrekt verhalten. Das ist Teil des Rufs der Schweiz.»

Lundin Petroleum (inzwischen umbenannt und grösstenteils verkauft) war ebenfalls in der Schweiz präsent. Im Jahr 2018 führte die Schweizer Polizei in Kooperation mit den schwedischen Kolleg:innen Razzien in den Büros des Unternehmens in Stockholm und Genf durch.

Monströser Prozess

Wie Ian Lundin gegenüber der Presse erklärte, sind die beiden ehemaligen Führungskräfte seit mehr als zehn Jahren mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Trotz teurer Anwält:innen und verschiedener Einsprüche wird der Prozess nun fortgesetzt.

Aber es wird ein langer Weg sein. Der Prozess, der am 5. September 2023 begonnen hat, soll bis Februar 2026 dauern, mit Anhörungen an drei Tagen pro Woche. Vierunddreissig Opfer haben sich als Zivilparteien gemeldet und 57 Zeug:innen werden gehört.

Darunter so prominente wie der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, der ehemalige deutsche Innenminister Gerhard Baum und der ehemalige Direktor für afrikanische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der USA, John Prendergast.

«Internationale Fälle sind immer schwierig zu verfolgen, weil man die Zeugen finden muss, und es oft schwierig ist, vor Ort zu ermitteln», sagt Pachoud. «Aber trotz alledem hat man sich entschlossen, das Verfahren fortzusetzen, und ich bin sicher, dass die Staatsanwaltschaft einen ziemlich soliden Fall hat.»

Der Vorwurf der Mittäterschaft ist nicht nur langwierig und komplex, sondern könnte auch schwer zu beweisen sein. «Die Herausforderung bei der Mittäterschaft besteht darin, dass man oft einen gemeinsamen Vorsatz nachweisen muss, und das ist eine hohe Hürde. Aber in diesem Fall scheinen die Beweise ziemlich erdrückend zu sein, weil die Gräueltaten miteinander verbunden waren und weil Lundin im Sudan offensichtlich vorsätzlich blind war», fügt Pachoud hinzu.

Wie auch immer der Prozess ausgeht, er ist ein starkes Symbol. «Das Wichtigste ist, dass der Prozess stattfindet», sagt Pachoud. «Das Ergebnis ist fast – und ich betone fast – nicht so wichtig. Die Tatsache, dass sie verklagt werden und der Prozess stattfindet, ist wirklich ein wichtiges Signal für die Unternehmen.»

Nach schwedischem Recht droht den beiden Angeklagten im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe.

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