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Opernhaus Zürich bangt um russischen Regisseur

Kirill Serebrennikov am 18. April in einem Gericht in Moskau
Kirill Serebrennikov am 18. April in Moskau. Er betritt das Gericht, das seinen Hausarrest verlängert hat. Keystone

Zu den Premieren der laufenden Saison am Opernhaus Zürich gehört "Cosi fan tutte" unter der Regie von Kirill Serebrennikov. Das Problem dabei: Die russische Justiz hält den unbequemen Theatermann unter Hausarrest. Und allmählich wird die Zeit knapp.

Am 18. April ereigneten sich zwei Dinge, scheinbar ohne Zusammenhang. Das Moskauer Bezirksgericht Basmanny hat einen Hausarrest von Kirill Serebrennikov, Intendant und Direktor des zeitgenössischen Theaters Gogol, bis zum 19. Juli 2018 verlängert. Am selben Tag gab das Opernhaus Zürich bekannt, dass es zwei Schauspieler für die Regie von Mozarts «Così fan tutte» sucht, die Anfang November uraufgeführt werden soll.

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Solidaritätsaktion für Serebrennikov an der Berlinale im Februar 2018. Keystone

Mozarts Oper Così fan tutte ist in Zürich fix eingeplant, Regie: Kirill Serebrennikov. Doch dieser steht bereits seit August 2017 unter Hausarrest. Im Mai 2017 hatte die russische Polizei sein Haus und sein Theater überfallen, das Gogol Center in Moskau. Grund der Intervention war laut russischer Justiz eine Untersuchung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder.

In russischen Mühlen

Ursprünglich Zeuge, wird Serebrennikov nun verdächtigt, in den Jahren 2011 bis 2014 staatliche Theatergelder umgeleitet zu haben. Der russische Untersuchungsausschuss beschlagnahmte seinen Pass, wodurch dem Regisseur die Möglichkeit genommen wurde, Russland zu verlassen. Der Hausarrest wurde inzwischen mehr als einmal verlängert. Ein Ermittler erklärte, dass die Präventivmassnahmen für alle Verdächtigen beibehalten würden, denn immerhin müssten seine Leute «die Akte mit mehr als 200 Beweisstücken lesen». Beobachter werten das Prozedere allerdings als Warnschuss des Systems an einen ausgesprochen freien Geist.

Kirill Serebrennikov, der die Vorwürfe als «absurd und schizophren» bezeichnet, sagt, er sei unschuldig. «Die «Serebrennikov-Affäre» fand Resonanz in der Welt. Hollywood-Stars, Theaterkollegen in Europa und vielen Künstlerpersönlichkeiten haben inzwischen ihren Support für den russischen Regisseur geäussert.

Auch der Direktor der Filmfestspiele von Cannes, Thierry Frémaux, gab bekannt, dass Serebrennikovs neuer Film «Leto» (Sommer) für den Wettbewerb um die Palme d’Or ausgewählt wurde. Laut Frémaux erhält der Regisseur eine persönliche Einladung, seinen Film in Cannes zu präsentieren.

swissinfo.ch hat sich mit Andreas Homoki, dem Intendanten des Opernhauses Zürich, über den Fall Serebrennikov unterhalten.

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Andreas Homoki, Intendant des Zürcher Opernhauses: «Ich konnte den Telefonhörer nicht in die Hand nehmen und ihm absagen. » Keystone

swissinfo.ch: Wann wurde entschieden, dass Kirill Serebrennikov Regisseur einer Oper in Opernhaus Zürich sein würde?

Andreas Homoki: Ich habe Kirill Serebrennikov im September 2016 in Berlin kennengelernt. Seine Arbeiten kannte ich bereits und habe ihm im Herbst 2016 die «Così»-Neuproduktion in Zürich angeboten. Im Frühjahr 2017 war er dann zum ersten Mal im Opernhaus, um unser Haus kennenzulernen und konzeptionelle Gespräche zu führen. Seit dem Spätsommer 17 steht er unter Hausarrest.

swissinfo.ch: Warum haben Sie gerade ihn ausgewählt? 

A.H.: Kyrill Serebrennikov ist ein intelligenter Regisseur, der mich schon länger interessiert. Von ihm erwarte ich eine spannende und seriöse Sicht auf ein Stück, dass schon so oft interpretiert wurde.

swissinfo.ch: Wir wissen jetzt, dass sein Hausarrest verlängert wurde. Wie wird die Regie der Oper durchgeführt?

Andreas Homoki (geb. 1960) ist ein deutscher Regisseur und Opernintendant ungarischer Abstammung.

Seine internationale Karriere begann noch während seiner Assistenzzeit 1992 mit dem Sensationserfolg seiner Inszenierung von Richard Strauss’ «Die Frau ohne Schatten» in Genf, die von der Fachzeitschrift «Opernwelt» zur Inszenierung des Monats gekürt wurde.

Homoki ist seit 1999 Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Seit Beginn der Spielzeit 2012/13 ist er Intendant des Zürcher Opernhauses.

A.H.: Wir hoffen nach wie vor, dass diese Farce irgendwann ein Ende findet. Aber natürlich haben wir zwangsläufig darüber nachgedacht, was zu tun ist, falls Kyrill nicht ausreisen darf. Da er nicht nur Regie, sondern auch selbst das Bühnenbild und die Kostüme macht, arbeitet er in jedem Bereich sehr eng mit Assistenten zusammen. Wenn er tatsächlich zu Probenbeginn im Herbst nicht nach Zürich kommen kann, werden seine Mitarbeiter die Inszenierung realisieren.

swissinfo.ch: Haben Sie daran gedacht, diese Zusammenarbeit zu stoppen?

A.H.: Wir hatten uns selbst eine Deadline bis Februar 2018 gesetzt um eine andere «Così»-Produktion für Zürich einzukaufen. Aber als es dann soweit war, konnte ich es einfach nicht. Ich konnte den Telefonhörer nicht in die Hand nehmen und ihm absagen.  Wir halten auf jeden Fall zu Kirill. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Freiheit der Kunst durch politische Einflussnahme angegriffen wird.

swissinfo.ch: Planen Sie in der Zukunft, mit Kirill Serebrennikov zusammenzuarbeiten?

A.H.: Grundsätzlich ist jede Zusammenarbeit mit einem Regisseur längerfristig, wenn beide Seiten Lust dazu haben. Allerdings ist die Zusammenarbeit mit Kirill durch das Kommunikationsverbot enorm erschwert. Es gibt kaum Austausch. Man kann sich nur über Anwälte Nachrichten zukommen lassen.

Kirill Serebrennikov (geb.1969) ist ein russischer Theater-, Opern- und Filmregisseur. Obwohl er 1992 ein Physikstudium an der Staatlichen Universität in Rostow abschloss, fungierte er mehrere Jahre als Direktor des Amateurtheaters. 1990 wurde die Bühne in eine professionelle umgewandelt. Seit 1998 arbeitet er auch für den Film. 2012 wurde er zum künstlerischen Leiter des Gogol-Centers ernannt.

Serebrennikov hat auch Opern-Inszenierungen für das Mariinsky-Theater und das Bolschoi-Theater erarbeitet, war dort auch Regisseur und Ausstatter eines Balletts. Darüber hinaus hat er an der Komischen Oper Berlin und der Stuttgarter Oper inszeniert.

Seit 2008 ist er Professor der Moskauer Theaterschule, wo er eine Klasse mit Schauspielern und Regisseuren hat. Seine Produktionen wurden bei den Wiener Festwochen und dem Festival von Avignon präsentiert. Seine Filme wurden auf dem Filmfestival Cannes, dem Locarno Film Festival, dem Filmfestival Rom und dem Internationalen Filmfestival Warschau gezeigt, wo sein Film «Yuri’s Day» den Grand Prix erhielt. 

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