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Katars Feigenblatt

Mitarbeiter arbeiten am 28. März 2022 in der Aspire-Sicherheitszentrale für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022.
Menschen bei der Arbeit in der Aspire-Sicherheitszentrale für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022. Afp

Hinter dem Internationalen Zentrum für Sportsicherheit ICSS in Genf steht Katar. Von Beginn an sorgte der Mangel an Transparenz für Irritationen.

Die Pläne für die Gründung einer Organisation gegen die ausbleibende Strafverfolgung im Sport sind älter als Katars Zuschlag für die Fussball-WM 2022.

Wenige Monate nach der Bekanntgabe des Zuschlags, im März 2011, kündigte Mohammed Hanzab, ein ehemaliger Oberstleutnant und Geheimdienstmitarbeiter Katars die Gründung des Internationalen Zentrums für Sportsicherheit ICSS an. Bis heute ist Hanzab Präsident.

Katars Genfer Offensive

Im ersten Teil einer dreiteiligen Serie beleuchten wir wie Katar die Schweiz als Drehscheibe für seine Kampagnen nutzt, um sein öffentliches Image zu verbessern, seit es zum Gastgeber der Fussballweltmeisterschaft 2022 ernannt wurde. In Teil 2 befassen wir uns mit dem International Centre for Sports Security, während Teil 3 über die Sports Integrity Global Alliance berichtet – zwei Institutionen, die von Katar gegründet wurden, ihren Sitz in Genf haben und sich dem Vorwurf mangelnder Transparenz ausgesetzt sehen.

2017 verlegte das ICSS seinen europäischen Sitz von London in ein Gebäude am Genfer SeeExterner Link. «Genf ist die Heimat einiger der wichtigsten Einflussnehmer:innen und Entscheidungsträger:innen der Welt», sagte Hanzab damals.

Das ICSS freue sich darauf, «eng mit den Beamten in Genf zusammenzuarbeiten, um unser bestehendes Kundenportfolio und unsere internationalen Partnerschaften mit führenden internationalen Organisationen, Regierungen, Strafverfolgungsbehörden, Leitungsgremien und anderen NGOs weiter auszubauen», so Hanzab.

Von Beginn an sorgten die Verbindungen des ICSS zu Katar für Fragen, ob die Organisation dem Land als Soft-Power-Instrument diene, ob das ICSS Katars Agenda im Feld des Sports vorantreibe und Aufmerksamkeit von heiklen Themen wie Menschenrechtsverletzungen weglenke. Diese Verbindungen wollte Katar jedoch systematisch nicht ansprechen.

Nachdem die Fragen zum Hintergrund und Finanzen nicht nachgelassen hatten, enthüllte das ICSS 2017, dass das Zentrum über ein Jahresbudget von 26 Millionen Franken (26,1 Mio. USD) verfügt und dass 70% davon aus Katar stammen. Zum Vergleich: Das Budget des Welt-Anti-Doping-Verbands (WADA) bewegt sich in ähnlichem Rahmen.

Während der Bauarbeiten in Katar für die Fussballweltmeisterschaft 2022 häuften sich Berichte über Misshandlungen und Todesfälle unter den Wanderarbeiter:innen. Diese belasteten das positive Bild zunehmend, welches das Land so gerne vermitteln wollte. Arbeiter:innenExterner Link aus armen Ländern in Süd- und Ostasien wurde oft der Lohn verweigert. Sie durften den Arbeitsplatz nicht wechseln und konnten das Land nicht frei verlassen. Einige erhielten auch harte Strafen, wenn sie das System kritisierten.

Eine von der britischen Zeitung «Guardian» durchgeführte UntersuchungExterner Link kam zum Schluss, dass in Katar zwischen 2010 und 2020 mindestens 6700 Wanderarbeiter:innen starben. Es ist jedoch unklar, wie viele dieser Arbeiter:innen bei den Bauprojekten der Fussballweltmeisterschaft beschäftigt waren. Die katarischen Behörden geben an, dass 37 Arbeiter:innen während ihrer Arbeit auf den Turnierbaustellen gestorben sind, wobei nur drei dieser Todesfälle auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf hat ihrerseits eine, wie sie es nennt, «eingehende AnalyseExterner Link» der arbeitsbedingten Todesfälle in Katar durchgeführt und kam zum Schluss, dass im Jahr 2020 50 Arbeiter starben, über 500 schwer verletzt wurden und 37’600 leichte Verletzungen erlitten – und das alles hauptsächlich in der Bauindustrie.

Unter Druck des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) mit Sitz in Genf und der ILO kündigte Katar sieben Jahre nach dem Erhalt des Zuschlags Reformen der Arbeitsbedingungen an, darunter ein Verbot der Mittagsarbeit im Freien während der Sommermonate, die Erlaubnis für Arbeitnehmende, Katar ohne Erlaubnis des Arbeitgebers zu verlassen, und die Einführung eines Mindestlohns.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights WatchExterner Link bilanzierte, diese Massnahmen seien «völlig unzureichend und werden nur unzureichend umgesetzt».

Auch Korruptionsermittlungen im Zusammenhang mit dem Bewerbungsverfahren wurden eingeleitet. Ende 2021 stellte das US-JustizministeriumExterner Link fest, dass eine Reihe von FIFA-Funktionären Bestechungsgelder erhalten hatten, um 2010 für Katar zu stimmen.

Und in Frankreich laufen Ermittlungen zu einem Treffen zwischen dem ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, dem ehemaligen Präsidenten des europäischen Fussballverbands UEFA, Michel Platini, und dem katarischen Emir wenige Tage vor der erfolgreichen Bewerbung. Der Vorwurf lautet, dass wirtschaftliche Vorteile im Austausch für eine französische Stimme erlangt wurden. Es wurde keine Anklage erhoben.

Wenige Wochen vor dem Anpfiff der Weltmeisterschaft bezeichnete Tamim Bin Hamad Al-Thani, der Emir von Katar, die Veranstaltung in einer Rede vor dem Schura-Rat, dem gesetzgebenden Organ, als «grosses humanitäres Ereignis». Er verurteilte die Kritik an Katar als «Fälschungen».

*Dieser Artikel wurde am 17. November geändert und mit zusätzlichen Informationen über die Zahl der mutmasslich in Katar verstorbenen Wanderarbeiter:innen ergänzt.

In den letzten zehn Jahren engagierte sich die Organisation für die Sicherheit bei Sportveranstaltungen, kämpfte gegen Spielmanipulationen und stand selbst hinter Grossveranstaltungen. Durch die Fassade eines grossen Netzwerks ist es dem ICSS gelungen, Verbindungen zwischen Katar und internationalen Organisationen zu knüpfen. 

Eine frühe VereinbarungExterner Link zwischen dem ICSS und dem Organisationskomitee der Fussballweltmeisterschaft in Katar über die Unterstützung bei Sicherheitsüberlegungen im Vorfeld der Veranstaltung prägte den Ton für die Rolle der Gruppe. Sie begann mit der Rekrutierung hochrangiger Sicherheitsexperten.

Khoo Boom Hui, der ehemalige Präsident von Interpol, trat der GruppeExterner Link als Beiratsmitglied bei. Chris Eaton, ein weiterer ehemaliger Interpol-Beamter und Sicherheitschef der FIFA, verliess den Fussballverband zusammen mit seinem gesamten Team, um sich dem ICSS anzuschliessen.

Dieser Wechsel erfolgte, nachdem Eaton eine Untersuchung der Stimmenverschiebung zwischen Katar und Spanien-Portugal im Vorfeld der Vergabe der Fussballweltmeisterschaft 2022 geleitet hatte.

«Es gibt ein Umfeld [beim ICSS], das von ehemaligen Polizei- und Militärangehörigen geprägt ist [und] zu dem auch Leute aus Katar und anderswo gehören», sagt Jens Sejer Andersen, Direktor von Play the Game, einer von Dänemark unterstützten Initiative zur Verbesserung von ethischen Standards, Demokratie und Transparenz im Sport. 

Mohammed Hanzab
Mohammed Hanzab, ehemaliger Oberstleutnant der katarischen Armee, ist Gründer und Präsident des ICSS. AFP

Ungewöhnliche Ausgangslage

In Genf ist der ICSS als Stiftung im Schweizer Handelsregister eingetragen worden und hatte seine Büros zunächst in einem Anwesen am See in der Nähe der Residenz des katarischen Botschafters, bevor er in ein nahes Wohnhaus umzog, bei dem von aussen nichts auf die Organisation verweist.

Von Beginn an sorgte dieser Mangel an Transparenz für Aufsehen.

Der ICSS gibt auf seiner Website eine Adresse an – Boulevard Georges Favon, 18 –, die sich bei näherer Betrachtung als die Büros einer Schweizer Versicherungsgesellschaft und einer Reihe anderer Unternehmen herausstellt. Gleich gegenüber befindet sich PM Audit and Office Consultant Société Fiduciaire, die für die Erstellung der Finanzberichte von SIGA, einer weiteren, eng mit Katar verbundenen Organisation, verantwortlich ist.

Im Handelsregister ist die letzte Adresse von ICSS jedoch als Einfamilienhaus am Chemin de la Carcellière 17 im nahegelegenen, grünen Vorort Vésenaz eingetragen. Auf dem Briefkasten steht ein Name – nicht der von ICSS, sondern der des Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe, eines ehemaligen Mitarbeiters der UNO-Mission von Katar in Genf.

Auf der ICSS-WebsiteExterner Link finden sich nur wenige Informationen über die Finanzen und die Kontrollmechanismen der Organisation. Auf der Plattform heisst es lediglich, dass «der ICSS seine Jahresabschlüsse nach den International Financial Reporting Standards erstellt» und dass die Finanzunterlagen der Zentrale von KPMG geprüft werden. Deren Prüfugnsunterlagen sind jedoch nicht öffentlich zugänglich.

Grafik, die Verflechtungen von katarischgeprägten Organisationen mit den Vereinten Nationen zeigt.
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VIP-Treffpunkte

Unmittelbar nach seiner Gründung organisierte der ICSS eine Vielzahl von Konferenzen und Veranstaltungen zu Themen wie der Einbeziehung von Jugendlichen und Frauen in den Sport und der finanziellen Integrität. Er lud Beamt:innen aus der Welt des Sports, von Regierungsbehörden und internationalen Organisationen sowie Mediengruppen ein, in wichtigen Städten zu sprechen.

Veranstaltungsorte waren unter anderem das Parlament in London und der Times SquareExterner Link in New York, wo die ehemalige US-Aussenministerin Condoleeza Rice, die keinen Sportbezug hat, zu den Gästen gehörte. Der Times Square wurde in einen temporären Fussballplatz verwandelt. Weitere Treffen fanden in Washington, New York, Brüssel und Genf statt. 

Die Gruppe machte sich auch an die Bekämpfung von Spielmanipulationen, die von den meisten Sportorganisationen damals noch nicht als grosses Problem erkannt worden waren. Ein von der ICSS in Auftrag gegebener BerichtExterner Link der Universität Sorbonne aus dem Jahr 2014 ergab, dass jedes Jahr rund 140 Milliarden Dollar durch Sportmanipulationen gewaschen werden.

Die Organisation sah eine Gelegenheit, sich zu positionieren.  

«Es war ein offener Raum, den man nutzen konnte», sagt Andersen von Play the Game.» Der ICSS entdeckte bald, dass es international eine grössere Herausforderung in Sachen Sportintegrität gab, wo man sich einen Namen machen und Informationen sammeln konnte, wenn man sich auf die Thematik einlässt.

Im Jahr 2015, nur wenige Wochen nachdem die Schweizer Behörden auf Ersuchen der US-Behörden sieben FIFA-Funktionäre in einem Zürcher Hotel verhaftet hatten, organisierte der ICSS im National Press Club in Washington einen Vortrag über die Verbesserung der Transparenz bei der Bewerbung für grosse Sportereignisse und die Bekämpfung von Korruption und warf damit Fragen zu den Absichten der Gruppe aufExterner Link.

Anfang 2015 wurde eine Partnerschaft mit dem Büro der Vereinten Nationen UNO für Drogen- und Verbrechensbekämpfung mit Sitz in Wien unterzeichnet, bei der der GeneralstaatsanwaltExterner Link von Katar eine führende Rolle bei der Korruptionsbekämpfung übernahm (siehe Teil 1).

Ziel der Partnerschaft war die Stärkung der grenzüberschreitenden ZusammenarbeitExterner Link im Vorgehen gegen Spielmanipulationen. Die Mittel dafür waren Rechtshilfe und die Aufhebung des Bankgeheimnisses, sowie die Einführung eines Ermittlungs-LeitfadensExterner Link.

Im Jahr 2021 veranstaltete das ICSS zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO einen Workshop zum Thema «RisikokommunikationExterner Link» bei Sportveranstaltungen. 2022 organisierte es einen Dialog über die Prävention von gewalttätigem ExtremismusExterner Link mittels Sport, zusammen mit Anderen – sowohl UNO-Büros als auch Institutionen, bei denen Katar Hauptgeldgeber ist.

Jegliche Diskussion über ein Fehlverhalten Katars war unmöglich. Als Jaimie Fuller, eine Sportaktivistin und FIFA-Kritikerin, 2015 den Missbrauch im Umgang mit Arbeitskräften ansprach, habe ICSS-Präsident Hanzab bei einem Forum zu finanzieller Integrität und Transparenz im Sport (FITS) den Raum verlassen.

So erinnert sich Andersen an das Forum, das bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf angesiedelt war.

Editiert von Virginie Mangin/gw

Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Dominique Soguel

Wie soll sichergestellt werden, dass Sport-Grossveranstaltungen den Menschenrechten und der Umwelt nicht schaden?

Welche Kriterien sollten Sportorganisationen bei der Auswahl eines Austragungsortes berücksichtigen?

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