Wieso die Schweiz noch immer mit Potentatengeldern kämpft
Die Blockierung und Rückgabe von Geldern gestürzter Diktatoren sollen bald mit einem neuen Gesetz geregelt werden, das in seiner Art auf internationalem Niveau als Modell betrachtet wird. Das verhinderte jedoch bisher nicht, dass noch immer illegale Vermögenswerte in den Schweizer Finanzmarkt fliessen. Mehrere Fälle zeigten jüngst Mängel im System gegen die Geldwäscherei auf.
Der Welt beweisen, dass die Schweiz nicht mehr länger ein einladender Tresor ist für ausländische Despoten: Dies ist das Ziel des neuen Bundesgesetzes über die Sperrung und Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG)Externer Link, das derzeit im Parlament beraten wird und dessen Vorbildcharakter von Experten der Weltbank begrüsst wird.
Eine lange Liste von Fällen von Potentatengeldern hat seit dem Fall Marcos (Philippinen) 1986 den Ruf der Schweiz und ihrer Banken getrübt. Namen wie Mobutu (Ex-Zaire), Abacha (Nigeria), Salinas (Mexiko), Duvalier (Haiti), Ggagbo (Côte d’Ivoire), Ben Ali (Tunesien), Ghaddafi (Libyen) oder Mubarak (Ägypten) werden für immer verbunden bleiben mit der Komplizenschaft gewisser Schweizer Banken mit politischen Führern, die ihr Land beraubten und ganze Bevölkerungen verarmen liessen.
Chronologie: Gelder von Diktatoren auf Schweizer Banken
In der Schweiz wollen viele glauben, dass diese Praktiken endgültig der Vergangenheit angehören. Die Finanzkrise, der nachhaltende Druck, der zum langsamen Tod des Bankgeheimnisses führte und die immer höher werdenden Anforderungen im Bereich Transparenz und Kampf gegen die Geldwäscherei haben dazu beigetragen.
«Wir sind nicht mehr länger die Hehler der Welt», bekräftigte Jacques Neyrinck, der für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, Mitte) im Nationalrat sitzt. «Der Bankensektor hat einen Prozess der Moralisierung eingeleitet. Er ist sich auch bewusst geworden, dass man nicht betrügen muss, um erfolgreich zu sein. Die Stärke des Frankens, die politische Stabilität und funktionierende Institutionen reichen ihm heute zum Erfolg.»
In der Substanz erklärte Neyrinck, «schauen Sie sich um, es gibt nichts mehr zu sehen, oder besser noch, gehen Sie anderswo schauen, in Delaware, auf den britischen Kanalinseln oder in Guatemala, dort wo die Dinge wirklich undurchsichtig sind».
Es sind mehr oder weniger die gleichen Argumente, die auch die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg)Externer Link anführt. «Die Bemühungen der Schweiz um Transparenz können den Eindruck wecken, dass es viele Probleme gibt. Doch die Fälle, um die es derzeit geht, zeigen, dass das Kontrollsystem funktioniert», erklärte SBVg-Sprecherin Sindy Schmiegel.
Viele Enthüllungen
Zwar wurden im Zug des Arabischen Frühlings verschiedene Beobachter überrascht von den Summen, die auf Schweizer Bankkonten gesperrt wurden – fast eine Milliarde Franken –, aber es fehlt auch nicht an Fällen, in die politisch exponierte Persönlichkeiten aus dem Ausland verwickelt sind.
In Zusammenhang mit dem Petrobras-Korruptionsskandal – der brasilianische Erdöl-Riese ist der grösstes Unternehmen des Landes –, dem Fall des ehemaligen ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch und dessen Entourage, oder jenem von Gulnara Karimova, der Tochter des usbekischen Diktators, hat die Bundesanwaltschaft (BA) hat in den vergangenen Monaten mehrere hundert Millionen Franken blockiert.
5 Milliarden gesperrt
Insgesamt sind in der Schweiz aktuell Vermögenswerte in Höhe von nicht weniger als 5 Mrd. Fr. gesperrt.
Es sei aber nicht möglich, zwischen Geldern zu unterscheiden, die aus «gewöhnlicher» Kriminalität und jenen, die von politisch exponierten Personen (PEP) kommen, erklärte die Bundesanwaltschaft auf Anfrage von swissinfo.ch.
Anfang September wurde zudem bekannt, dass die BA im Rahmen des Korruptionsskandals um den Fonds 1MDB, einem Staatsfonds unter Kontrolle des malaysischen Premierministers Najib Razak, Gelder in Höhe von mehreren Dutzend Millionen Franken sperrte.
Und das ist noch nicht alles: Das Westschweizer Magazin HebdoExterner Link enthüllte diesen Sommer, dass mehrere Dutzend Millionen Franken, die von illegalen Aktivitäten der eritreischen Regierung stammten, über Konten in Genf und in Zürich geflossen waren.
«Leider wird das neue Gesetz, das zur Zeit im Parlament beraten wird, an dieser Situation nichts ändern», beklagt Oliver Longchamp, Experte für Finanzfragen bei der Erklärung von BernExterner Link, einer Schweizer Nichtregierungs-Organisation. «Das SRVG konzentriert sich auf Gelder, die in der Schweiz schon identifiziert wurden. Das Gesetz wird den Zufluss unrechtmässig erworbener Gelder nicht verhindern, die auf Korruption zurückgehen.»
Schwachstellen im System gegen Geldwäscherei
Dies obschon der präventive Flügel der Gesetzgebung, das in der Schweiz geltende Dispositiv gegen Geldwäscherei, dessen Eckpfeiler das Geldwäscherei-GesetzExterner Link von 1998 ist, die Banken verpflichtet, die Herkunft von Geldern zu überprüfen, wenn sie mit politisch exponierten Personen (PEP)Externer Link Geschäfte machen. Auf Empfehlung der Expertengruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (GAFI)Externer Link der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) wurden die Anforderungen jüngst sogar noch ausgeweitet.
Dennoch hat das System zahlreiche Schwachstellen. In erster Linie, weil es auf Vertrauen basiert, und auf den Finanzintermediären selbst beruht, die verpflichtet sind, verdächtige Bewegungen zu melden, die ihnen auffallen. «Wir haben nur wenig Informationen darüber, wie die Banken ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen», unterstreicht Longchamp.
Was sagt die Finma?
«Die PEP-Bestimmungen in der Schweiz entsprechen den internationalen Standards und gehen in einigen Bereichen sogar darüber hinaus», erklärt Vinzenz Matyhs, Sprecher der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma).
«Die Prüfung der PEP-Vorschriften ist ein wichtiger Bestandteil der Geldwäscherei-Aufsicht. Entsprechend misst die Finma diesem Bereich grosse Bedeutung zu. Die Finma hat keine Hinweise auf grundlegende Probleme bei der Umsetzung und Anwendung von PEP-Vorschriften.»
Kontaktiert man die Banken, zeigen sie sich sehr zurückhaltend mit Informationen und verweisen lieber auf ihren Dachverband, die SBVg. Unter dem Deckmantel der Anonymität versichert ein Verantwortlicher einer grossen Schweizer Bank, für diese Aufgaben würden beträchtliche Mittel investiert.
«Über die Aufnahme oder Weiterführung einer Bankbeziehung mit einer PEP wird auf höchster Direktionsebene entschieden. Interne Ermittler stellen danach sicher, dass diese Dossiers weiterhin überwacht werden, um jeglichen Rufschaden für die Bank zu verhindern», erklärt er.
Strafmassnahmen nicht abschreckend
Unser Gesprächspartner räumt jedoch ein, dass keine Bank vor illegalen Aktivitäten völlig sicher sei, denn PEP versteckten sich immer mehr hinter undurchsichtigen Strukturen, Strohmännern oder privaten Firmen, um Vermögen im Ausland zu platzieren.
«So lange es Gelder gibt, die aus kriminellen Aktivitäten stammen, werden Leute versuchen, diese in traditionelle Wirtschaftskreisläufe zu integrieren – über Banken, aber mehr und mehr auch über den Kunst- und Immobilienmarkt», sagt er.
Mit der Verwaltung von mehr als 2200 Milliarden Franken, was fast 30% aller grenzüberschreitenden Anlagen weltweit entspricht, bleibt der Finanzplatz Schweiz besonders exponiert. «Die kleinen Privatbanken sind am verletzlichsten, denn sie haben nicht unbedingt die Mittel, ein modernes Kontrollsystem einzurichten», erklärt Gretta Fenner, Direktorin des Basel Institute on GovernanceExterner Link, einer unabhängigen Organisation, die gegen Korruption und Finanzkriminalität kämpft.
Die Versuchung, gegen die Regeln zu verstossen, sei für kleine Finanzinstitute besonders gross, wenn es um Summen von mehreren Dutzend oder um hunderte Millionen Franken gehe, erklärt Olivier Longchamp. Vor allem, weil die Strafmassnahmen nicht abschreckend genug seien.
«In den USA können die Geldstrafen mehrere Milliarden Dollar betragen, die Finanzmarktaufsicht in der Schweiz kann dies nicht tun. In Zusammenhang mit Geldern aus dem Arabischen Frühling wollte der Schweizer Finanzmarkt-Gendarm nicht einmal die Namen der Banken nennen, die ihre Verpflichtungen gravierend vernachlässigt hatten», beklagt der EVB-Vertreter.
Geteilte Verantwortung
Und letztlich bleibt noch die Frage der Zweideutigkeit, die über der Präsenz von Geldern autokratischer Regimes in der Schweiz schwebt. Denn wie die SBVg auf ihrer WebsiteExterner Link schreibt: «Probleme ergeben sich erst dann, wenn politische Ereignisse dazu führen, dass diese PEP in den Augen der schweizerischen Regierung, und mitunter auch in den Augen internationaler Gremien und Organisationen, zu personae non gratae werden.»
So ist es denn auch nicht selten, dass Vermögenswerte, die als legal gelten, praktisch von einem Tag zum anderen das Ergebnis von Korruption oder unrechtmässigen Aktivitäten werden. «Wie wollen Sie, dass die Banken Hosni Mubarak als Quasi-Kriminellen betrachten, während er ein absolut normaler Partner der Schweizer Regierung ist?›, fragt Gretta Fenner, die damit die geteilte Verantwortung zwischen der Welt der Politik und der Geschäftswelt unterstreicht.
Um jegliches Problem zu vermeiden, meinte der ehemalige Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi jüngst in einem Beitrag der Westschweizer Zeitung Le Temps, sollten die Banken keine Gelder mehr annehmen, die von Mitgliedern einer ausländischen Regierung oder aus deren Umfeld stammen.
Ein extremer Vorschlag, der «den liberalen Geist der Schweizer verletzen würde», schätzt Olivier Longchamp. Aber auch mildere Massnahmen haben es schwer, zu überzeugen: So lehnte das Parlament 2012 eine Motion der Sozialdemokratin Margret Kiener-NellenExterner Link ab, die PEP dazu verpflichten wollte, einen schriftlichen Nachweis zu erbringen, dass die betroffenen Vermögenswerte legal erworben wurden.
Strengere Massnahmen zur Blockierung von Geldern
Mit dem neuen Bundesgesetz über die Sperrung und Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG), das derzeit im Parlament beratenExterner Link wird, sollen die Möglichkeiten zur vorsorglichen Sperrung von Geldern ausgeweitet werden, damit deren Abzug vermieden werden kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Der Gesetzesentwurf sieht eine Umkehr der Beweislast vor. So sollen nicht mehr die Schweiz oder die betroffenen Länder wie Ägypten oder Tunesien nachweisen müssen, dass die Gelder von Mubarak oder Ben Ali aus illegalen Aktivitäten stammten. Neu sollen die ehemaligen Despoten beweisen müssen, dass ihre Vermögenswerte rechtmässig erworben wurden.
Auf Grundlage der von der Regierung vorgeschlagenen neuen Normen würde die Schweiz zudem in Zukunft die Zusammenarbeit für die Ermittlungen der ausgebeuteten Länder aktiver gestalten. So könnte sie insbesondere schon Informationen zu Bankkonten liefern, bevor ein Rechtshilfegesuch vorliegt.
Ist der Herkunftsstaat nicht in der Lage, ein internationalen Vorgaben genügendes Rechtshilfegesuch einzureichen, soll die Regierung die Gelder im Hinblick auf eine Einziehung sperren können. Der Entwurf übernimmt in diesem Bereich die Vorgaben des Gesetzes über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener VermögenswerteExterner Link, das 2011 in Kraft trat, womit verhindert werden konnte, dass die gesperrten Gelder des ehemaligen haitianischen Diktators Jean-Claude Duvalier freigegeben werden mussten.
Der Gesetzesentwurf sieht auch ausdrücklich vor, dass das rückerstattete Geld zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Herkunftsland eingesetzt wird.
Bei der ersten Lesung im Juni schränkte der Nationalrat (grosse Kammer) die Tragweite des Gesetzes in zwei wichtigen Bereichen ein: Um die Einziehung der Gelder zu verhindern, soll die Verjährungsfrist aus dem Strafrecht angerufen werden können, und der Kreis der einem Potentaten nahe stehenden Personen soll eingeschränkt werden. Der Ständerat (kleine Kammer) wird sich am 24. September 2015 mit der Vorlage befassen.
Der Gesetzesentwurf sieht auch ausdrücklich vor, dass das rückerstattete Geld zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Herkunftsland eingesetzt wird.
Bei der ersten Lesung im Juni schränkte der Nationalrat (grosse Kammer) die Tragweite des Gesetzes in zwei wichtigen Bereichen ein: Um die Einziehung der Gelder zu verhindern, soll die Verjährungsfrist aus dem Strafrecht angerufen werden können, und der Kreis der einem Potentaten nahe stehenden Personen soll eingeschränkt werden. Der Ständerat (kleine Kammer) wird sich am 24. September 2015 mit der Vorlage befassen.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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