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2016 wurden 188 Tonnen Fisch im Zürichsee gefangen, über 30 Tonnen weniger als 2015. Keystone/Peter Klaunzer

Eigentlich eine gute Nachricht: Die Schweizer Seen werden immer sauberer. Doch Fischer beklagen, dass die Seen mittlerweile zu sauber sind. Fische fänden keine Nahrung mehr. Der Fischbestand gehe dramatisch zurück. Das Bundesamt für Umwelt wird nächsten Frühling mögliche Massnahmen präsentieren, um eine nachhaltige Entwicklung der Berufsfischerei zu garantieren. Doch für einige Fischer könnte dieses Paket zu spät kommen.

Ein wunderschöner Arbeitsort: Die Sonne steht tief am Horizont, die Sonnenstrahlen scheinen durch die Wolken. Alles spiegelt sich in herbstlichen Farben. Wir befinden uns auf dem Zürichsee, gemeinsam mit Adrian GernyExterner Link. Dieser hat sich vor 10 Jahren entschieden, Berufsfischer zu werden.

Es ist Montagnachmittag. Adrian Gerny fährt mit seinem Boot über den See. Er trägt einen Zweitagesbart; auf seinem Kopf eine Basketball-Kappe. Seine Augen leuchten himmelblau. Adrian beobachtet den See und zieht nervös an einer Zigarette.

Durch seine Hände gleitet ein Fischernetz. Alles ist routiniert, doch die Unruhe ist ihm anzumerken. «Schon letztes Jahr war die Situation dramatisch, aber dieses Jahr ist es noch schlimmer. Eine Katastrophe», sagt der 29-Jährige, während er die Netze ins Wasser wirft. Seit Jahren ist der Fischbestand und damit der Ertrag rückläufig.

«Sie können es ja mit eigenen Augen sehen: Die Situation ist besorgniserregend», meint Gerny, der auch den Verein der Berufsfischer des Zürichsees präsidiert. «Das Boot ist voller Netze und heute Morgen belief sich der Fang gerade mal auf 35 Kilo. Das ist zu wenig, um über die Runden zu kommen.»

Adrian Gerny in seinem Boot auf dem Zürichsee
Laut Adrian Gerny verhungern die Fische im Zürichsee, weil das Wasser zu sauber ist. Luca Beti

Die Phosphor-Frage

Gemäss Angaben der Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich wurden 2016 im Zürichsee genau 188 Tonnen Fisch gefangen. Dabei ist der südliche Teil des Obersees inbegriffen. Das sind rund 30 Tonnen weniger als 2015; und 25% weniger als im langjährigen Mittel.  

«Vor allem der Fang von Felchen ist stark zurückgegangen. Dabei hat diese Fischart für die Berufsfischer eine besonders wichtige wirtschaftliche Bedeutung», heisst es in einem Bericht der Fischereikommission Zürichsee, Linthkanal und Walensee aus dem Vorjahr.

Die Zeiten der fetten Beute scheinen definitiv der Vergangenheit anzugehören. Zwischen 2006 und 2015 wurden im Zürichsee im Mittel mindestens 143 Tonnen Felchen gefangen. Im Jahr 2016 ging der Fang um über die Hälfte auf 65 Tonnen zurück. 

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«Die Fische verhungern, weil das Wasser zu sauber ist», meint Adrian Gerny. «Das Problem ist, dass dieses Fischsterben unter Wasser stattfindet, daher können es die Menschen nicht sehen. Und deshalb interessiert sich niemand dafür.» Für den Präsidenten der Berufsfischer vom Zürichsee gibt es nur eine Lösung: den Phosphorgehalt im See zu erhöhen.

Seen als komplexe Ökosysteme

Warum ist Phosphor so wichtig? Weil dieser Stoff die Produktion von Phytoplankton begünstigt. Es handelt sich um Organismen, die am Anfang der Nahrungskette stehen. Am anderen Ende befindet sich der Fisch. Die Gleichung von Adrian Gerny (mehr Phosphor = mehr Fische) geht aber nicht unbedingt auf. Denn zu viel Phosphor kann negative Auswirkungen auf stehende Gewässer haben, weil sich auch zu viele Algen bilden können. Wenn sich diese am Seegrund ansammeln, werden sie von Bakterien und Pilzen zersetzt, die ihrerseits Sauerstoff konsumieren. Das wiederum bringt viele andere Lebewesen in Lebensgefahr.

Piet Spaak von der Abteilung für aquatische Ökologie des Wasserforschungsinstituts des ETH-Bereichs (Eawag) rät jedenfalls zu grösster Vorsicht: «Bei Seen handelt es sich um sehr komplexe Ökosysteme. Und es ist sehr schwer abzuschätzen, welche Folgen eine Erhöhung von Nährstoffen wie Phosphor im Wasser haben könnte.»

Zudem verweist Spaak auf das Eidgenössische Gewässerschutzgesetz, das verlangt, dass die Seen wieder in einen natürlichen Zustand gebracht werden: «Und daran arbeiten wir seit Jahrzehnten.» Der Phosphorgehalt in den Schweizer Seen sei heute vergleichbar mit den Quantitäten, die in den 1940er- und 1950er-Jahren gemessen wurden.    

Im Falle des Zürichsees könne man heute dank der Massnahmen gegen die Eutrophierung und den Wassertemperaturanstieg mehr Arten an Phytoplankton und Zooplankton feststellen als in den 1970er-Jahren.

Immer seltener einheimischer Fisch

Die Schweizerinnen und Schweizer haben im Jahr 2016 etwas mehr als 23 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte verspeist. Das entspricht einem Zuwachs von 1% gegenüber dem Vorjahr. Über 96% des abgesetzten Frischfischs (d.h. ohne Tiefkühlfisch) im Schweizer Detailhandel wurden importiert. Der Anteil ist gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen. Schweizer Fisch hingegen wird immer seltener gegessen. Der Marktanteil von Schweizer Frischfisch im Detailhandelt betrug 2016 nur noch 3,5%. Gegenüber 2015 bedeutet dies ein Rückgang um 4,8%.

(Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft)

Testversuch im Brienzersee

Die Berufsfischer verlangen, dass ein Pilotprojekt gestartet wird, etwa im Brienzersee, um herauszufinden, ob eine Erhöhung des Phosphorgehalts Folgen für das Ökosystem und den Fischbestand haben könnte. Diese Idee wird auch von zwei Parlamentariern des Kantons Bern vertreten, SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal und BDP-Ständerat Werner Luginbühl. Im Jahr 2011 reichten sie eine MotionExterner Link für einen wissenschaftlichen Pilotversuch am Brienzersee ein.

Ziel dieses Pilotversuches wäre es, durch einen teilweisen oder vollständigen Verzicht der Phosphatfällung in den Abwasserreinigungsanlagen festzustellen, ob der Fischbestand wieder zunimmt. Die Motion wurde sowohl von der Volkskammer als auch vom Ständerat zurückgewiesen.

Piet Spaak vom Eawag findet es richtig, dass dem Begehren nicht Folge geleistet wurde: «Jeder See ist anders. Ein Testversuch im Brienzersee würde es nicht erlauben, nötige Daten für andere Schweizer Seen zu sammeln. Der Pilotversuch war keine gute Idee.»

Im Jahr 2015 war der geringe Fischbestand in den Schweizer Seen und die Schwierigkeiten der Berufsfischer erneut ein Thema im Parlament. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Externer LinkNationalrats regte in einem PostulatExterner Link an, eine Standortbestimmung zur Fischerei in Schweizer Seen und Fliessgewässern durchzuführen sowie Massnahmen zur Gewährleistung einer nachhaltigen Nutzung der einheimischen Fischbestände vorzuschlagen. Der Nationalrat nahm – gegen den Willen des Bundesrates – das Postulat an.

Phosphor als  Tabuthema

An der Ausarbeitung des Berichts beteiligt sich das Bundesamt für UmweltExterner Link (Bafu), aber auch der Schweizerische Berufsfischerverband. Genau genommen, müsste man sagen, dass der Verband teilgenommen hat. Denn in Wirklichkeit hat sich der BerufsfischerverbandExterner Link verabschiedet. Verbandspräsident Reto Leuch verliess das dritte und letzte Treffen der Arbeitsgruppe.

«Unsere Hauptforderung bestand darin, endlich ein Pilotprojekt zu lancieren, um zu eruieren, welche Folgen ein Gehalt von 10 mg Phosphor pro Kubikmeter Wasser für den Fischbestand hat. Doch das Bafu wollte unsere Forderungen nicht in den Abschlussbericht einbringen», sagt ein enttäuschter Reto Leuch, ein BerufsfischerExterner Link vom Bodensee.

«Wir sind uns bewusst, welche Schwierigkeiten die Berufsfischer haben», entgegnet Andreas Knutti,   Sektionschef der Abteilung Lebensraum Gewässer und Fischerei im Bundesamt für Umwelt. «Es ist jedoch nicht einfach, Lösungen für den Rückgang der Fischbestände wie beim Felchen zu finden», fügt Knutti an. Im Bericht, der im Frühjahr 2018 dem Bundesrat unterbreitet werde, «werden wir aber mögliche Massnahmen für eine nachhaltige Entwicklung der Berufsfischerei formulieren.»

Doch diese Massnahmen sind langfristiger Natur. Adrian Gerny wird kaum so viel Zeit haben, denn seine Situation hat dramatische Ausmasse angenommen: «Irgendetwas muss sich ändern. Ansonsten muss ich mein Projekt aufgeben, das ich vor 10 Jahren gestartet habe, und Konkurs anmelden.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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