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«Ich spüre in der Bevölkerung eine sehr starke Reiselust»

Corine Moinat
Guillaume Megevand

Die Corona-Pandemie hat den internationalen Flughafen Genf hart getroffen. Der zweitgrösste Flughafen der Schweiz nach Zürich befindet sich wirtschaftlich in einer schwierigen Lage. swissinfo.ch sprach mit Verwaltungsrats-Präsidentin Corine Moinat über die aktuelle Situation.

Corine Moinat ist seit Januar 2015 Präsidentin des Verwaltungsrats des Internationalen Flughafens Genf (GVA). Dieser befindet sich im Besitz des Kantons Genf, ist aber als öffentliche Institution autonom. Moinat ist die erste Präsidentin, die selbst nicht der Genfer Regierung angehört.

Der Flughafen Genf beschäftigt mehr als 1000 Mitarbeitende, und im Flughafenareal sind rund 200 weitere Unternehmen mit insgesamt etwa 11’000 Beschäftigten angesiedelt.

Bevor Moinat die Leitung des Flughafens übernahm, war sie in verschiedenen leitenden Positionen bei der Migros tätig, einem der grössten Schweizer Detailhandels-Unternehmen. Sie leitete auch das Balexert-Zentrum in Vernier nahe des Flughafens, das grösste Einkaufszentrum der Westschweiz.

Frauen sind in den oberen Etagen der Wirtschaft immer noch stark untervertreten. So sind beispielsweise nur 13% der 20 Unternehmen im Leitindex SMI der Schweizer Börse mit Frauen in Führungspositionen besetzt. In dieser Hinsicht schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht ab.

swissinfo.ch lässt im Rahmen einer Serie in diesem Jahr Geschäftsführerinnen von weltweit tätigen Schweizer Unternehmen zu Wort kommen. Als Vertreterinnen der Schweizer Wirtschaft sprechen sie über die dringlichsten Herausforderungen, von der Coronavirus-Krise bis zum Platz der Schweiz und ihrer Unternehmen in der Weltwirtschaft.

swissinfo.ch: Im Jahr 2020 musste der Flughafen Genf einen Rückgang des Passagieraufkommens um 68,8 Prozent und einen Verlust von 129,5 Millionen Franken verzeichnen. Welche Szenarien gibt es für die Zukunft?

Corine Moinat: Seit dem Ausbruch der Pandemie mit ihren aufeinanderfolgenden Wellen haben wir an einer Vielzahl von Szenarien und Varianten gearbeitet. Es ist aber, um ehrlich zu sein, sehr schwierig, unsere Zukunft zu planen. Es sei denn, wir hätten eine Kristallkugel…

Glücklicherweise haben wir dank des Erfolgs unserer jüngsten Emission von Anleihen (von 180 Millionen Franken) genügend Liquidität, um das Jahr 2021 zu überstehen. So kann ich besser schlafen. Wir hoffen, dass sich der Flugverkehr bald von diesem Pandemie-Schlag erholt.

Zusätzlich zu den Anleihen haben Sie gerade einen Kredit über 200 Millionen Franken vom Kanton Genf erhalten.

Das stimmt, aber dieser Kredit muss noch vom Genfer Parlament genehmigt werden. Dies ist unsere letzte Ressource, daher müssen wir auch unsere Bemühungen fortsetzen, Ausgaben und Investitionen einzudämmen.

Glauben Sie, dass die Pandemie die Welt grundlegend verändert hat und der Flughafen Genf daher nie wieder zu einer Geschäftstätigkeit wie vor der Pandemie zurückkehren wird?

Ehrlich gesagt, erwarte ich mittelfristig keinen starken Rückgang der Flugreisen. Ich spüre eine sehr starke Reiselust in der Bevölkerung. Und trotz der Quarantäne-Vorschriften und Covid-Tests kann ich ein grosses Interesse von Urlauberinnen und Urlaubern an den wenigen erreichbaren Destinationen feststellen. Luftfahrt-Experten rechnen auf alle Fälle mit einer Rückkehr zur Normalität im Jahr 2024.

Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg Ihres Flughafens?

Zuerst einmal ist die grosse Zahl von Destinationen extrem wichtig für unsere Wirtschaft und die Arbeitsplätze in unserer Region. Trotz der geringen Grösse unseres Territoriums finde ich es bemerkenswert, dass unser Flughafen in der Lage ist, 149 Ziele für 18 Millionen Passagiere pro Jahr anzubieten.

Ein zweites wichtiges Kriterium sind die Fluglärm-Massnahmen. Im Jahr 2019 haben wir bereits die für 2030 gesetzten Ziele zum Schallschutz erreicht. Diese wurden sowohl vom Bundesamt für Zivilluftfahrt als auch vom Kanton Genf vorgegeben. Ausserdem bemühen wir uns um eine Minimierung der CO2-Emissionen, zum Beispiel durch die Förderung der neuesten Flugzeug-Generation.

Schliesslich schütten wir in «normalen Jahren» 40 Millionen Franken als Gewinnanteil an den Kanton Genf aus.

«Einige der Zulieferer sind für den reibungslosen Betrieb des Flughafens unerlässlich. Diese Unternehmen wurden von der Krise hart getroffen, aber sie kommen derzeit gut zurecht.»

Der Flughafen Genf bietet 28 Ziele ausserhalb Europas an. Gehört es zu Ihren Prioritäten, die Anzahl der Ferndestinationen zu erhöhen?

Auf alle Fälle. Gerade um für diese Art von Destinationen noch attraktiver zu sein, werden wir in diesem Jahr unseren neuen Grossraum-Terminal einweihen, den Ostflügel.

Wie gehen Sie konkret vor, um neue Fluggesellschaften anzulocken, besonders solche, die Langstreckenflüge anbieten?

Wir bieten den Fluggesellschaften nicht nur eine gute Infrastruktur, sondern auch Erhebungen zur potenziellen Nachfrage von Kundschaft in der französischsprachigen Schweiz und im benachbarten Frankreich.

Der Entscheid, eine neue Strecke in Betrieb zu nehmen, wird jedoch immer von den Fluggesellschaften nach Einschätzung des Markts getroffen.

Etwa 50 Prozent des Verkehrsaufkommens am Flughafen Genf wird durch die Airline Easyjet generiert. Ist es nicht riskant, so abhängig von einer einzigen Fluggesellschaft zu sein, speziell von einer Airline, die auf Lowcost-Flüge setzt?

Meiner Meinung nach ist es unangemessen, Easyjet als Lowcost-Airline zu bezeichnen, denn heute bieten alle Fluggesellschaften günstige Flüge an, auch die Swiss.

Ausserdem sind diese günstigen Tarife sehr beliebt bei Einwohnerinnen und Einwohnern portugiesischer, spanischer oder balkanischer Herkunft, da sie so die Möglichkeit haben, ihre in der Heimat verbliebenen Familienmitglieder häufiger zu besuchen.

Und auch eine grosse Anzahl von Geschäftsleuten mag diese Flüge, die somit einer echten Nachfrage entsprechen. Für den hypothetischen Fall, dass Easyjet unseren Flughafen verlassen sollte, würde diese Nachfrage sicherlich von anderen Fluggesellschaften abgedeckt werden.

Besteht die Gefahr, dass wichtigste Zuliefergesellschaften aufgrund der Pandemie in Konkurs gehen?

Einige dieser Dienstleistungs-Erbringer – zum Beispiel die Servicegesellschaften Swissport oder Dnata – sind für den reibungslosen Betrieb des Flughafens unerlässlich. Diese Unternehmen wurden von der Krise hart getroffen, aber sie kommen derzeit gut zurecht.

Gemeinsam mit diesen Unternehmen, dem Kanton und dem Bund versuchen wir, Hilfen und Lösungen zu finden, um es diesen Playern im Luftverkehrs-System zu ermöglichen, die Krise zu überstehen.

Sind Ihre Hauptkonkurrenten die Flughäfen von Zürich und Basel-Mulhouse?

Unser grösster Konkurrent ist der Flughafen Lyon. Nach seiner Privatisierung hat dieser Flughafen einen Anstieg von Destinationen und Passagieren verzeichnet. Die Flughäfen Zürich und Basel-Mulhouse sind eher zu Partnern geworden, weil wir vor den gleichen Herausforderungen und Problemen stehen.

Als städtischer Flughafen stehen Sie vor vielen Herausforderungen. Wird die Schaffung eines neuen Flughafens, ausserhalb des Stadtgebiets von Genf, in Erwägung gezogen?

Nein, und ich sehe wirklich nicht, wo dieser neue Flughafen gebaut werden könnte, ohne eine Belästigung für die Anwohnerinnen und Anwohner zu schaffen.

«Unsere Aktivitäten ausserhalb des eigentlichen Flugbetriebs sind ein integraler Bestandteil unseres Kerngeschäfts. Die kommerziellen Synergien mit unseren Flughafen-Aktivitäten sind erheblich.»

Fast die Hälfte Ihrer Einnahmen stammt aus Aktivitäten, die nicht direkt aus dem Fluggeschäft stammen, sondern aus Nebentätigkeiten wie der Vermietung von Gewerbeflächen und Parkplätzen. Warum konzentrieren Sie sich nicht auf Ihr Kerngeschäft?

Für uns stellen diese Aktivitäten einen integralen Bestandteil unseres Kerngeschäfts dar. Es gibt erhebliche kommerzielle Synergien zwischen unseren verschiedenen Aktivitäten.

Darüber hinaus befindet sich der Grossteil der von uns vermieteten Gewerbeflächen innerhalb der Sicherheitszone, also wirklich im Herzen unseres Flughafens. Andererseits zögern wir nicht, bestimmte hochspezialisierte Tätigkeiten auszulagern, beispielsweise die Gepäckabfertigung.

Der Flughafen Genf ist eine autonome öffentliche Einrichtung, die sich im Besitz des Kantons Genf befindet. Würden Sie an Flexibilität gewinnen, wenn Sie eine börsenkotierte Aktiengesellschaft würden, wie beispielsweise der Flughafen Zürich?

Nicht unbedingt, denn ein Flughafen muss zwangsläufig in einem ständigen Dialog mit den lokalen Behörden und Anwohnerverbänden stehen. In unserem Fall werden die zwanzig Mitglieder unseres Verwaltungsrats grösstenteils vom Parlament oder der Exekutive des Kantons Genf ernannt.

Das zwingt uns zu sehr weitreichenden Diskussionen mit Vertretern von allen Richtungen. Obwohl unsere Arbeitsweise stark reglementiert ist, geniesst unser Vorstand letztlich einen grossen Spielraum. Wie bei einer Aktiengesellschaft üblich, sind alle Vorstandsmitglieder verpflichtet, die Interessen unseres Flughafens zu vertreten, und nicht diejenigen der Gremien, die sie ernannt haben.

Ist es einfach, die für einen Flughafen nötigen Fachleute in der Region Genf zu finden?

Grundsätzlich ja. Trotzdem mussten wir einige Luftfahrt-Experten aus anderen Regionen anwerben.

Welche Flughäfen in der Welt halten Sie für vorbildlich?

Wir lassen uns von vielen Flughäfen inspirieren, zum Beispiel von Zürich, Montreal, München und Helsinki. Aber letztlich hat jeder Flughafen seine eigenen spezifischen Anforderungen und muss eigene Lösungen finden.

(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)

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