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Genf dürfte den Brexit besonders stark zu spüren bekommen

Grossbritannien ist Genfs viertgrösster Wirtschaftspartner, nach Frankreich, Hongkong und den USA. Keystone

Während der Schock über den britischen Austritt aus der Europäischen Union und den Sprung ins Ungewisse nachhallt, denken Geschäftsleute und andere Beobachter über mögliche Auswirkungen für Genf nach. Denn der Westschweizer Kanton pflegt enge Verbindungen zu Grossbritannien.

«Der Kanton Genf wird unter den Folgen des Brexit von allen Schweizer Kantonen am meisten betroffen sein», sagt Cenni Najy von forausExterner Link, einem Schweizer Think Tank zur Aussenpolitik, nach dem britischen Volksentscheid. «Genf befindet sich in einer Position der Wechselbeziehung mit dem Vereinigten Königreich.»

Die Schweiz und Grossbritannien pflegen enge Handelsbeziehungen. Grossbritannien ist der fünftgrösste Abnehmer von Schweizer Exporten und an vierter Stelle für Schweizer Direkt-Investitionen.

Genf ist der Schweizer Kanton, der am weitaus meisten aus Grossbritannien importiert, im letzten Jahr waren es Waren im Wert von 1,7 Mrd. Franken oder doppelt so viel wie vor 10 Jahren. Zudem liegt Genf nach Basel bei den Exporten nach Grossbritannien an zweiter Stelle unter den Kantonen. 2015 hatten 7300 britische Staatsangehörige ihren Wohnsitz in Genf.

Genfs Kantonspräsident François Longchamp teilte am Freitag seine Sorgen über die wirtschaftlichen Konsequenzen mit den lokalen Parlamentariern, sagte aber auch, es sei noch «zu früh, um die Folgen für die Genfer Wirtschaft zu beurteilen».

Der Genfer Wirtschaftsminister Pierre Maudet liess gegenüber swissinfo.ch verlauten, er sei beunruhigt über die Ereignisse, «vor allem, wenn ein dermassen wichtiger Geschäftspartner in eine turbulente Phase kommt». Grossbritannien ist Genfs viertgrösster Wirtschaftspartner, nach Frankeich, Hongkong und den USA.

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Anthony Conway-Fell, Präsident der Genfer Sektion der britisch-schweizerischen Handelskammer (BSCCExterner Link), versucht unterdessen, optimistisch zu bleiben.

«Ich sehe keine grossen Veränderungen am Horizont «, erklärte er gegenüber swissinfo.ch. «Meine erste Reaktion war Enttäuschung, denn ich hatte auf ein Verbleiben des UK in der EU gehofft. Nun aber denke ich, dass es nicht so schlimm wird.»

Seiner Meinung nach dürfte sich vor allem der erstarkende Schweizer Franken negativ auf die in Genf ansässigen Unternehmen auswirken. Als der Brexit-Entscheid am Freitag bekannt wurde, sackte die Schweizer Börse ab und der Franken legte massiv zu.

Der Euro seinerseits fiel auf knapp 1,06 gegenüber der Schweizer Währung, erholte sich dann aber und steht aktuell bei rund 1,08. Auch das britische Pfund verlor gegenüber dem Franken an Boden. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) bestätigte, dass sie zurzeit im Fremdwährungsmarkt aktiv sei, um den Wert des Frankens unter Kontrolle zu halten.

Conway-Fell geht davon aus, dass britische Firmen künftig weniger in ihre Genfer Niederlassungen investieren werden. Allerdings besteht der Trend zu Stellenkürzungen schon seit ein paar Jahren, dies wegen der hohen Geschäftskosten in der Schweiz.

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Banken

Der Genfer Bankensektor, (insgesamt fast 120 Banken und über 18’000 Angestellte) und der rasch wachsende Handelssektor (knapp 10’000 Angestellt in der Genfersee-Region) unterhält besonders enge Beziehungen zu Grossbritannien.

Grégoire Bordier, Vize-Präsident der Vereinigung der Schweizerischen PrivatbankenExterner Link, sagte gegenüber der Tribune de Genève, der Brexit könnte einen «neuen Zustrom von Geldern» aus Europa auslösen.

Unterdessen brachte Pierre Mirabaud, ehemaliger Präsident der Schweizerischen BankiervereinigungExterner Link, seine Genugtuung über den Brexit-Entscheid zum Ausdruck und sagte, die Auswirkung [auf die Schweiz] sollte beschränkt sein.

«Einige Bankenjobs werden vielleicht aus London in die Schweiz verlegt, auch wenn ich das nicht wirklich glaube.»

Conway-Fell hingegen kann sich vorstellen, dass einige Jobs für Banker anderswo nach Europa verschoben werden. «Einige unserer Kontakte sagten uns, dass sie im Falle eines Brexit nach Frankfurt ziehen würden, weil sie in einem EU-Land bleiben wollten.»

Tourismus

Laut dem Vertreter der Britisch-Schweizerischen Handelskammer, der sich zwar optimistisch gibt, wird das Brexit-Votum ganz klar Auswirkungen auf den Genfer Tourismus-Sektor haben. «Ich denke, der starke Schweizer Franken wird uns hart treffen.»

2015 waren die Briten – vor den Franzosen und Deutschen – für die höchste Zahl an Übernachtungen in Hotels und anderen Unterkünften in Genf verantwortlich, nämlich für 260’000. Das sind 8000 oder 3,2% mehr als im Jahr zuvor.

Auch Najy rechnet mit Auswirkungen auf die Ferien- und Reisebranche zwischen der Schweiz und dem UK. Er betonte die zahlreichen Low-Cost-Flüge zwischen britischen Flughäfen und Genf, einer beliebten Destination für Wintersport in Frankreich oder der Schweiz.

Easyjet betreibt wöchentlich rund 200 Verbindungen zwischen Genf und dem UK, mit einer Zunahme von 27% in den letzten 10 Jahren. Ein Wachstum, das nun gestoppt werden könnte.

Carolyn McCall, CEO von Easyjet, hatte vor der Volksabstimmung gewarnt, dass ein Brexit das Ende der Ära von Billigflügen bedeuten würde und man zu den Zeiten zurückkehren werde, als Fliegen «für die Elite reserviert» war.

Was kann der Kanton Genf tun, damit er die Folgen des Brexit nicht allzu sehr zu spüren bekommt? Teilen Sie Ihre Meinung mit uns in den Kommentaren!

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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