Französische Blockchain für mehr Transparenz im Schweizer Uhrenmarkt
Der Markt für Luxusuhren aus zweiter Hand boomt. Für Durchschnittskonsumenten ist es jedoch nicht immer einfach, Echtes von Falschem zu unterscheiden und den tatsächlichen Wert einer begehrten Uhr abzuschätzen. Zertifikate, die auf der Blockchain-Technologie fussen, könnten mehr Transparenz bringen.
Uhrenliebhaber, die die neue Rolex-Taucheruhr erwerben möchten, müssen sich in Geduld üben. Die Antwort der offiziellen Fachhändler der Marke mit der Krone lautet immer gleich: Die neuste Version des legendären Zeitmessers, die diesen Herbst vorgestellt wurde, wird erst in einigen Jahren im Handel erhältlich sein.
Die Warteliste ist bereits sehr lang und die Knappheit sorgfältig organisiert: Nach der goldenen Regel des Luxusmarketings, die besagt, dass Seltenheit die Begehrlichkeit erhöht.
Das Modell Nautilus von Patek Philippe hält mit Sicherheit den Rekord für die begehrteste Uhr der Geschichte: Nicht weniger als 11 Jahre (!) müssen Kunden warten, in der Hoffnung, eines Tages ihren Uhren-Gral in die Finger zu bekommen.
Als Folge davon schnellen die Preise für solche Sammleruhren auf dem derzeit boomenden Occasions-Markt für Luxusuhren in die Höhe. Gemäss einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCB) beläuft sich der Weltmarkt für gebrauchte Luxusuhren schon heute auf 16 Milliarden Franken; bis 2025 dürfte er pro Jahr im Durchschnitt um voraussichtlich acht Prozent wachsen. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz mit neuen Uhren wird auf fast 50 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt.
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Bedarf nach mehr Sicherheit im Web
Laut der Boston Consulting Group ist eine Mehrheit der Uhrenliebhaber heute bereit, ein Luxusprodukt aus zweiter Hand zu kaufen, hat aber auch «klare Erwartungen hinsichtlich Sicherheit, Komfort und Service».
In einem Graumarkt, in dem es von Fälschungen und falschen Gutachten nur so wimmelt, wird die Rückverfolgbarkeit eines Produkts zu einem zentralen Element der Markenstrategie.
Eine Lösung könnte Blockchain bieten, diese dezentrale digitale Technologie zur Speicherung und Übertragung von Informationen, die seit einigen Jahren auf dem Vormarsch ist.
«Mit der Blockchain kann für jede Uhr ein einzigartiges, fälschungssicheres, nicht kopierbares und hochsicheres digitales Zertifikat ausgestellt werden. Es ist die ultimative Lösung im Kampf gegen Fälschungen», sagt Loys de La Soudière, Mitbegründer von GoodsID.
Dieses französische Start-up entwickelt seit drei Jahren auf der Blockchain-Technologie basierende Authentifizierungszertifikate für die Luxusgüterindustrie. Im Jahr 2018 konnte GoodsID zur Finanzierung seines Projekts Kapital in der Höhe von einer Million Euro von verschiedenen privaten Investoren und der französischen öffentlichen Investitionsbank (BPI) beschaffen.
Die Schweizer Uhrenindustrie stellt für GoodsID einen vorrangigen Markt dar. Das Start-up eröffnete kürzlich ein Büro in der Uhrenstadt Biel im Kanton Bern und will nun von dort aus die wichtigsten Schweizer Uhrenfirmen für sich gewinnen.
«Wir befinden uns in fortgeschrittenen Gesprächen mit zwei grossen Marken. Und wir sind zuversichtlich, dass sie sich in den kommenden Monaten für unsere Lösung entscheiden werden», sagt Loys de La Soudière.
Digitale Revolution unter Uhrmachern
Der Anstieg der Online-Verkäufe, der sich mit der Coronavirus-Krise weiter beschleunigt hat, führt auch zu einem raschen Mentalitätswandel in der Uhrenindustrie. Sie galt bisher als recht konservativ und als nicht sehr offen, was grössere digitale Disruptionen angeht.
So kündigte etwa die Marke Breitling Mitte Oktober die Ausstellung eines verschlüsselten Passes für jede ihrer neuen Uhren an, wodurch das bisher verwendete Echtheitszertifikat auf Papier obsolet wird.
Als Partnerin wählte die auf Fliegeruhren spezialisierte Uhrenmarke Arianee, eine gemeinnützige französische Vereinigung, die einen unabhängigen globalen Standard für die digitale Zertifizierung von Wertgegenständen aufbauen will.
Vielfältige Vorteile von Blockchain
Zusätzlich zu den Garantien in Bezug auf Sicherheit und Rückverfolgbarkeit ermöglichen digitale Zertifikate auf der Grundlage der Blockchain Uhrenmarken ein sehr zielgerichtetes Marketing.
«Bei einem Verkauf auf dem Gebrauchtmarkt kann das Uhrenunternehmen dem neuen Käufer eine Mitteilung schicken, in der es ihm Ratschläge zur Wartung anbietet oder eine Einladung zur Entdeckung des Universums der Marke in einer seiner Boutiquen. Auf diese Weise nutzt sie das Produkt als Kommunikationsmittel», veranschaulicht Loys de La Soudière.
Der Eigentümer der Uhr kann seinerseits mit einem Klick den Besitz und die Echtheit der Uhr nachweisen, was den Wert seines Eigentums auf dem Secondhand-Markt steigert. Das digitale Zertifikat vereinfacht auch die Ausübung der Garantie und kann als Versicherung gegen Diebstahl verwendet werden.
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All dies sind Vorteile, die Uhrmacherexperten zur Aussage veranlassen, dass sich der Einsatz von Blockchain in der Schweizer Uhrenindustrie verbreiten könnte. «Die Schweizer Uhrmacher werden sich allmählich des Interesses bewusst, ihre Produkte mit moderner Technologie identifizieren zu können. Dies ist eine positive Entwicklung», sagt Michel Arnoux, Leiter der Antifälschungs-Abteilung des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH).
Markt für Fälschungen kennt keine Krise
Viele Unternehmen, die in der digitalen Zertifizierung tätig sind, wenden sich an die FH in der Hoffnung, dass ihre Lösung als Standard für die gesamte Schweizer Uhrenindustrie adaptiert werden könnte. In dem Zusammenhang sagt Michel Arnoux: «Der Entscheid liegt bei den einzelnen Uhrenmarken. Es gibt keinen rechtlichen Standard, der es erlauben würde, eine einheitliche Norm durchzusetzen.»
«Die Zertifizierung von echten Produkten dient vor allem der Beruhigung der Kundschaft. Zu glauben, dass diese Technologie Fälschungen ein Ende setzen wird, ist illusorisch.»
Michel Arnoux, Leiter der Antifälschungs-Abteilung des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH)
Er warnt auch davor, zu viel Hoffnung in die Blockchain zu setzen. «Die Zertifizierung von echten Produkten dient vor allem der Beruhigung der Kundschaft. Zu glauben, dass diese Technologie Fälschungen ein Ende setzen wird, ist illusorisch», sagt Michel Arnoux.
Denn die überwiegende Mehrheit der Personen, die gefälschte Schweizer Uhren kaufen, tun es in voller Kenntnis der Sachlage und haben daher auch kein Interesse an einer Zertifizierung.
Auch steckt der Markt mit gefälschten Uhren nicht in einer Krise, im krassen Gegensatz zum beispiellosen Einbruch, den die Schweizer Uhrenindustrie durchläuft.
Die Beschlagnahmungen gefälschter Uhren am Schweizer Zoll nahmen in diesem Jahr um fast 25% zu. Zudem werden laut der FH heute weltweit fast doppelt so viele gefälschte wie echte Uhren verkauft.
«Durch die in vielen Ländern verhängten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben die Konsumenten Zeit, im Internet nach gefälschten Uhren zu surfen, die weitaus billiger sind als echte Schweizer Uhren, die für gewöhnliche Sterbliche oft unbezahlbar geworden sind», schliesst Michel Arnoux.
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(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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