«Frauen bekommen die Probleme unseres Planeten oft mehr zu spüren»
María Mendiluce, Geschäftsführerin der "We Mean Business Coalition", ist davon überzeugt, dass mehr Frauen in Führungspositionen positive Auswirkungen auf die Klimakrise haben könnten.
Sie leitet eine Koalition verschiedener Organisationen, die sich für den Klimaschutz einsetzen: María Mendiluce von der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation «We Mean Business Coalition» arbeitet von Genf aus mit grossen Konzernen zusammen, um den Klimawandel zu bekämpfen.
swissinfo.ch: Das Ziel Ihrer Koalition ist es, «die Massnahmen der Wirtschaft und der öffentlichen Politik zu bündeln, um die Emissionen bis 2030 zu halbieren». Ist die Welt auf dem richtigen Weg?
María Mendiluce: Um ehrlich zu sein, sind wir nicht auf dem richtigen Weg: Kohlenstoffneutralität und eine Erderwärmung von nur 1,5 Grad sind sehr schwer zu erreichen. Wir beobachten bereits einen Temperaturanstieg von 1,1 Grad. Wir müssen alles tun, um jeden Bruchteil eines zusätzlichen Grades zu vermeiden. Die Zeit läuft uns davon, und dies ist unsere grösste Herausforderung.
Die meisten Unternehmen betonen jedoch ihre Bemühungen und Erfolge im Bereich der Nachhaltigkeit. Ist Greenwashing die neue Regel?
Ich kann grob drei Kategorien von Unternehmen unterscheiden. Erstens gibt es solche, die wirklich versuchen, die globale Erwärmung zu bekämpfen. Mit diesen Unternehmen arbeiten wir an der Entwicklung zuverlässiger Methoden, um die Auswirkungen ihrer Bemühungen zu messen.
In der zweiten Kategorie unternehmen sie sporadische Aktionen zur Förderung der Nachhaltigkeit. Dennoch stellen diese Unternehmen ihre Massnahmen stark in den Vordergrund, um sich besser an ihre Kundschaft zu verkaufen. Und das, obwohl die Auswirkungen ihrer Aktionen auf das Klima verschwindend gering sind.
Drittens – und das ist das grösste Problem – gibt es noch unzählige Unternehmen, die überhaupt nichts tun und denen die Herausforderungen des Klimawandels völlig egal sind.
María Mendiluce ist spanische Staatsbürgerin und hat an der Päpstlichen Universität Comillas in Madrid in Energiewirtschaft promoviert.
Als Spezialistin für nachhaltige Entwicklung, Energie und Klimaschutz verfügt sie über 25 Jahre Erfahrung in der Geschäftswelt, in internationalen Organisationen, an Universitäten und in Regierungen.
Sie war unter anderem Managing Director beim «World Business Council for Sustainable Development» (WBCSD) in Genf, bevor sie seit Mai 2020 die Generaldirektion der «We Mean Business Coalition» übernahm.
Die Regierungen werden – auch von der Wirtschaft – dazu angehalten, eine Politik zur Förderung sauberer Energien zu entwickeln. Warum lassen staatliche Massnahmen so lange auf sich warten?
Vierjährige Wahlzyklen sind eine echte Herausforderung! Länder mit stabileren Regierungen wie die Schweiz haben es dagegen leichter, langfristig entscheidende Massnahmen umzusetzen. Darüber hinaus hat die chinesische Planung gute Ergebnisse hervorgebracht: Die Hälfte der weltweit verkauften Elektroautos stammt aus diesem Land.
Eine weitere Herausforderung ist die grassierende Bürokratie: vor allem die schleppende Planung von Projekten, die Erteilung von Baugenehmigungen, der Erwerb von Grundstücken und der Anschluss an das Stromnetz.
Ganz zu schweigen von lokalen Einsprachen. In manchen Fällen dauert es drei Jahre, bis eine Genehmigung für eine Solaranlage erteilt wird. Für einen Windpark sind es sogar vier Jahre.
Sie erwähnen das Beispiel China. Bedeutet das, dass autoritäre Länder besser als demokratische Länder in der Lage sind, schnell auf den Klimawandel zu reagieren?
Länder mit einer langfristigen Vision und Planungsfähigkeit – ob autoritär regiert oder nicht – sind besser in der Lage, den Klimawandel zu bekämpfen. Unternehmen brauchen Sicherheit und Stabilität, um in neue Technologien investieren zu können. Darüber hinaus beschleunigt eine gute Planung – besonders hinsichtlich der erforderlichen regulatorischen Änderungen – die Investitionen in saubere Energien.
«Es gibt noch unzählige Unternehmen, die überhaupt nichts tun und denen die Herausforderungen des Klimawandels völlig egal sind.»
Welche Länder sind in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitspolitik vorbildlich?
Kein Land ist perfekt. Im Allgemeinen hat Grossbritannien mit seinen ehrgeizigen Zielen eine Vorreiterrolle inne.
Ausserdem werden Unternehmen dort dazu verpflichtet, einen Klimawandelplan zu erstellen. Bei der Isolierung von Gebäuden hat das Land jedoch noch einiges zu tun.
Norwegen ist vorbildlich, was den Anteil an Elektrofahrzeugen angeht, aber die Nation verkauft sehr viel Gas und Öl an den Rest der Welt… Spanien ist ebenfalls gut aufgestellt, beispielsweise in Bezug auf Wasserstoff, und die USA haben massive Investitionen in den Klimaschutz getätigt.
Wie steht es um die Klimapolitik der Schweiz?
Nach der Ablehnung des neuen CO2-Gesetzes durch das Stimmvolk im Juni 2021 könnten die Schweizer Behörden mehr auf Anreize setzen, wie es in den USA der Fall ist.
Sie arbeiten mit sieben gemeinnützigen Organisationen zusammen, die sich auf das Klima und die Wirtschaft konzentrieren. Was ist Ihr Mehrwert als Dachorganisation?
Unser Logo zeigt ein Ruderboot. Unsere wichtigste Aufgabe besteht also darin, dafür zu sorgen, dass alle in die gleiche Richtung rudern und alle Anstrengungen koordiniert werden. Auf diese Weise werden wir unsere Ziele schneller erreichen.
Da wir ausserdem von verschiedenen Stiftungen – darunter die Stiftungen von Ikea oder Hewlett – und nicht direkt von Unternehmen finanziert werden, sind unsere Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit gewährleistet. Aus diesem Grund folgen uns sehr viele Unternehmen.
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Auf der letzten Jahrestagung des World Economic Forum (WEF) wurden die Erfolge der «First Movers Coalition»Externer Link begeistert gefeiert. Wie geht es mit dieser Initiative voran?
Zunächst einmal ist das WEF eine fantastische Plattform für unsere Koalition. Dieses Forum ermöglicht uns einen privilegierten Zugang zu einer grossen Anzahl von wirtschaftlichen und politischen Führungspersonen. Neben dem WEF arbeiten wir mit rund 50 weiteren Partnerorganisationen zusammen.
Ursprünglich haben wir – unter anderem mit dem WEF – die Initiative «Mission Possible Partnership»Externer Link ins Leben gerufen. Damit wollen wir dem Privatsektor zeigen, dass es beispielsweise möglich ist, Stahl zu produzieren oder Güter zu transportieren und dabei CO2-neutral zu bleiben.
Anschliessend wurde die «First Movers Coalition» ins Leben gerufen, um Unternehmen zu ermutigen, den ersten Schritt zu tun. Dies, indem sie sich verpflichten, kohlenstofffreie Produkte und Dienstleistungen (Stahl, Transport usw.) zu kaufen.
Ziel dieser Initiative ist es, dem Markt ein starkes Signal zu geben. Glücklicherweise macht sie gute Fortschritte, und es haben sich bereits über 50 Unternehmen und zehn Länder angeschlossen.
An der letzten Jahrestagung des WEF wurde immer wieder betont, dass «Nachhaltigkeit mit Profitabilität» einhergeht. Wird dieser Grundsatz von den Fakten gestützt?
Laut einer Studie des Unternehmens Unily würden 65% der Arbeitnehmenden lieber für ein umweltfreundliches Unternehmen arbeiten. Darüber hinaus belegen Berichte der Beratungsfirma Oliver Wyman und von CDP (einer NGO, die Partnerin unserer Koalition ist), dass nachhaltige Unternehmen rentabler sind.
Schliesslich kann jeder Haushalt unseren Schätzungen zufolge durchschnittlich 2000 US-Dollar pro Jahr einsparen, wenn die Energiewende weit fortgeschritten ist.
Ein grosser Teil Ihrer Organisation ist in Genf angesiedelt. Was sind die Vor- und Nachteile dieser Stadt?
Zu Beginn war unsere Organisation virtuell, aber wir haben das Bedürfnis nach einer physischen Präsenz verspürt. Ich sitze mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen in Genf, ausserdem haben wir Büros in London und New York.
Genf hat den Vorteil, dass es gut mit dem Rest der Welt vernetzt ist. Darüber hinaus ist die Präsenz zahlreicher internationaler Organisationen ein grosser Vorteil. Schliesslich ist die schweizerische Neutralität wichtig, um unsere globale Expansion zu gewährleisten.
In Ihrer Organisation sind Frauen überrepräsentiert, auch in Führungspositionen. Sind Frauen stärker für Nachhaltigkeit sensibilisiert?
«Frauen sind stärker von der Klimakrise betroffen als Männer.»
Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Frauen stärker von der Klimakrise betroffen sind als Männer, vor allem in Entwicklungsländern.
In der Regel sind es die Frauen, welche die Verantwortung für die Ernährung ihrer Familien tragen.
Im Fall einer Klimakrise ist es für sie nicht einfach, sich mit ihrer Familie fortzubewegen. Frauen bekommen die Probleme unseres Planeten daher oft mehr zu spüren. Ausserdem sind sie in der Regel eher in der Lage, zusammenzuarbeiten und einen Konsens zu erzielen.
Sind Frauen besser in der Lage, den Kampf gegen die klimatischen Herausforderungen zu führen?
Meiner Meinung nach würde sich eine grössere Anzahl von Frauen in Führungspositionen – sowohl in Unternehmen als auch in Regierungen – sehr positiv auf unseren Planeten auswirken.
Ich bin jedoch auch von der Notwendigkeit der Vielfalt – Kompetenz, Alter, Geschlecht, Nationalität – in Teams überzeugt. Denn dies ermöglicht innovative Ansätze, um die aktuellen Herausforderungen für unseren Planeten besser zu bewältigen.
Editiert von Samuel Jaberg
Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
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