Gleicher Balleinsatz, gleicher Lohn?
Woran macht sich Gerechtigkeit fest, wenn es um das Gehaltsgefälle von Nationalfussballerinnen und -fussballern geht? An den Einnahmen, die das Spiel generiert? An der Treue der Fans? Welche Rolle spielen Aufwand und Zeit, die in den Sport investiert werden und die erzielten Erfolge?
Für die Nationalfussballerinnen der Schweiz war die Euro 2022 mit der Niederlage gegen die Niederlande bereits Mitte Juli zu Ende. Wie an ihrer ersten Europameisterschaft vor fünf Jahren schied das Land damit in der Vorrunde aus dem Turnier aus. Einen Schritt weiter kam das Team heuer aber trotzdem: Künftig dürfen die Frauen mit einem etwas höheren Ertrag für ihre sportliche Leistung rechnen.
Kurz vor dem Turnier hatte der Schweizerische Fussballverband SFV beziehungsweise deren Hauptsponsorpartnerin Credit Suisse nämlich angekündigt, die Erfolgsprämien der Nationalmannschaft der Frauen derjenigen ihrer männlichen Kollegen anzugleichen – das kommt einer Erhöhung um das Viereinhalbfache gleich.
Die Prämien werden ausgeschüttet, wenn sich ein Team für ein Turnier qualifiziert, das Viertelfinal erreicht oder natürlich Meister wird. Gleichzeitig hat der SFV die Entschädigungen für Bild- und Persönlichkeitsrechte der Sportlerinnen angepasst: Fortan erhalten Fussballerinnen und Fussballer gleich viel Geld dafür, beispielsweise in einem Werbespot aufzutreten.
Die genauen Beträge möchte der SFV jedoch nicht bekannt geben, aus Gründen der Vertraulichkeit sowie des Datenschutzes, wie Mediensprecher Dominik Erb sagt.
Zu den Erträgen der Fussballerinnen aus der Europameisterschaft gehören auch Taggelder des SFV – den wirklich entscheidenden Teil aber machen die Prämien der Turnierorganisatorin Uefa aus: Der Gesamtbetrag für die Euro 2022 fällt mit 16 Millionen Euro dieses Mal doppelt so hoch aus wie noch am letzten Turnier. Das bedeutet etwa eine Antrittsprämie von 600’000 Euro pro Team.
Es bewegt sich also etwas in Sachen Equal Pay – die Differenz zu den Einnahmen der männlichen Kollegen bleibt aber weiterhin enorm: So standen etwa für die Euro 2020 ganze 331 Millionen Euro zur Verfügung, allein für ihre Teilnahme erhielt jede Mannschaft 9,25 Millionen Euro.
Gerechtigkeit – eine Frage der Auslegung?
Preisgelder seien nur ein Mechanismus von vielen, mit denen man den Frauenfussball stärke und fördere, heisst es bei der Medienstelle der Uefa auf Anfrage. So seien für die Euro 2022 beispielsweise auch die Turnierstandards wesentlich verbessert worden. Gleichzeitig verfolge man einen Ansatz langfristiger Nachhaltigkeit, womit die Organisation meint: «Der finanzielle Einsatz sollte die Einnahmen und Kosten des jeweiligen Wettkampfes abbilden.»
Die Diskussion um Equal Pay im Fussball legt auch unterschiedliche Auslegungen von Gerechtigkeit frei. Denn natürlich generiert das Spiel der Männer ganz andere Erträge als dasjenige der Frauen, das in weiten Teilen eine defizitäre Angelegenheit ist.
Fussballer locken viel mehr Menschen ins Stadion und vor den Fernseher, mit ihnen lassen sich auch Gartenmöbel, Grilladen und Gesichtscremes besser verkaufen. Männer müssen sich zweifellos gegen eine viel grössere Konkurrenz durchsetzen als Frauen, um an die Spitze zu gelangen. Die enorme Öffentlichkeit bedeutet auch ungleich mehr Druck.
Gerne wird argumentiert, dass das Spiel der Fussballer schlicht attraktiver sei: Männer rennen im Durchschnitt schneller als Frauen, sie sind stärker, ihr Wettkampf weist eine andere Intensität auf. Doch rechtfertigt das die eklatanten Gehaltsunterschiede zwischen Fussballerinnen und Fussballern – gerade bei ihrem Einsatz für die Nationalmannschaft?
«Das Gerechtigkeitsverständnis folge hier einer Marktlogik, gemäss der einzig die Nachfrage den Wert einer Leistung bestimme», schreibt die Sportsoziologin Karolin Heckemeyer in einem Editorial der Zeitschrift Fussball und Gesellschaft. Heckemeyer ist Mitherausgeberin des Magazins und Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Gleichermassen gelte als gegeben, dass die Höhe der Nachfrage in der Qualität der erbrachten Leistung gründe.
Selbst enorme Einkommens- und Ressourcenunterschiede seien so also legitim, und die finanzielle Situation des Frauenfussballs könne sich nur verbessern, wenn dessen Marktwert steige.
Es gibt aber auch ein anderes Verständnis von Leistung und Gerechtigkeit, wie Heckemeyer in ihrem Beitrag ausführt: So habe etwa der norwegische Fussballverband 2017 seine Entscheidung, fortan allen Sportlerinnen und Sportlern dasselbe Gehalt und dieselben Prämien auszubezahlen, damit begründet, dass sich der Wert der erbrachten Leistung eines Teams nicht an der öffentlichen Nachfrage bemesse – sondern am Trainings- und Zeitaufwand sowie an den sportlichen Erfolgen.
Erst gleiche Gehälter und Prämien, so ist der Verband überzeugt, würden auch gleiche Ausgangsbedingungen und echte Chancengleichheit schaffen – und es den Fussballerinnen ermöglichen, ihr sportliches Potenzial voll auszuschöpfen. Mehr Geld bedeutet nicht nur ein höheres Auskommen für die Sportlerinnen, sondern auch mehr Mittel für eine bessere Infrastruktur und Trainerinnenausbildung, für die Nachwuchsförderung, für den Klub- und Breitenfussball.
Auf derselben Linie argumentierte unlängst auch das Nationalteam der Frauen in den Vereinigten Staaten. Dort klaffte der Gehaltsgraben bisher besonders augenfällig: Die Nationalmannschaft der Frauen generiert seit Jahren höhere Einnahmen und grösseres Zuschauerinteresse als das Team der Kollegen, sowohl 2015 als auch 2019 haben die Frauen die Weltmeisterschaft gewonnen.
Doch für ihren elften Rang erhielten die Männer an der WM 2014 ganze 9 Millionen Dollar – während der Sieg der Amerikanerinnen im Jahr darauf mit gerade einmal 2 Millionen Dollar honoriert wurde. Die Fussballerinnen haben kürzlich nicht nur in der Einigung nach einer Diskriminierungsklage gegen ihren Verband 24 Millionen Dollar erwirkt, sondern auch durchgesetzt, dass künftig alle Fifa-Gelder in einen gemeinsamen Topf kommen und zu gleichen Teilen an die Fussballerinnen und Fussballer verteilt werden.
«Aus wissenschaftlicher Perspektive gehe es nicht um richtige oder falsche, um gute oder schlechte Vorstellungen von Gerechtigkeit», schliesst Heckemeyer in ihrem Editorial. Doch sei es wichtig, im Bewusstsein zu halten, dass jede Auslegung sehr unterschiedliche sport- und gesellschaftspolitische Konsequenzen mit sich bringen könne.
Grand Slam: die Ausnahme unter den Sportturnieren
Das extreme Lohngefälle zwischen Frauen und Männern im Sport zieht sich durch die meisten wichtigen Wettkämpfe. Eine der grossen Ausnahmen: Die Grand Slam-Turniere. Ein halbes Jahrhundert schon erhalten Tennisspielerinnen und Tennisspieler für einen Sieg am US Open gleich viel Geld. Jahre später sind auch French Open und Australien Open dem amerikanischen Beispiel gefolgt, als letztes hat 2007 Wimbledon seine Siegesprämien für Männer und Frauen angeglichen.
Der Wandel kam auch dort nicht von selbst. Treibende Kraft war damals die amerikanische Tennisspielerin Billie Jean King gewesen. Die Sportlerin und Aktivistin hatte sich früh für die Gründung der Women’s Tennis Association WTA stark gemacht und damit für eine eigenständige Tenniskultur der Frauen – ein Frauentennis, das seine Legitimierung nicht aus dem ständigen Vergleich mit der Männerversion des Sportes bezieht.
Das wirft auch für den Fussball zumindest die Frage auf, ob tatsächlich nur diejenigen Fähigkeiten ein Spiel spannend machen, in denen Sportler von Natur aus Sportlerinnen gegenüber im Vorteil sind – oder ob es nicht unterschiedliche, aber gleichberechtigte Ausführungen einer Sportart geben kann.
Schliesslich dürften es auch die Spieler eines lokalen Fussballklubs im Berner Oberland in Sachen Tempo und Technik kaum mit den Kollegen von Manchester City oder Bayern München aufnehmen können – der Leidenschaft ihrer Fans ist das dennoch kaum abträglich.
Sollten Männer mehr Verzicht üben?
Die Euro 2022 hat dem Frauenfussball nochmals einigen Schub verliehen – auch in der Schweiz. «Die EM-Hauptprobe der Schweizerinnen gegen England im Letzigrund Ende Juni haben gut 10’000 Zuschauer:innen besucht», sagt SFV-Mediensprecher Erb. «Das sind so viele wie noch nie.» Schon am Cupfinal der Frauen von FCZ und GC im April habe mit fast 8000 Fans im Stadion ein neuer Rekord verzeichnet werden können.
Ebenso hat in den vergangenen Jahren die Zahl der lizenzierten Fussballerinnen zugenommen, sie liegt inzwischen bei rund 30’000. Was jedoch Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und Funktionärinnen in Vereinen und Verbänden betreffe, liege noch viel Potenzial brach. Mit Massnahmen wie etwa Einsteigerkursen für Trainerinnen direkt im A-Nationalteam versucht der SFV – der mit Tatjana Hänni nun zum ersten Mal auch eine Frau in der Geschäftsleitung hat – mehr Frauen im Fussball zu halten.
Weder Fussballerinnen noch Fussballer leben primär von ihren Einsätzen in der Nationalmannschaften. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt in den Klubs, für die sie normalerweise spielen – wobei es bei den grossen Stars nicht selten auch gleich für mehrere Leben reichen würde.
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Gerade weil die Erträge aus einer EM oder WM für viele Profifussballer nur einen Bruchteil des Einkommens ausmachen, steht seit einiger Zeit immer einmal wieder das Thema Umverteilung oder Verzicht auf Gagen im Raum. Im Schweizerischen Fussballverband, so Mediensprecher Erb, sei eine solche Option bislang aber noch nicht diskutiert worden. Für viele Fussballerinnen dürften aber höhere Erträge hier durchaus dazu beitragen, dass sie sich ausschliesslich auf ihre sportliche Karriere konzentrieren können.
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