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Freier Wechselkurs für den Franken verfrüht

Wie viel Geld kann die Nationalbank drucken, ohne Inflation zu erzeugen? imagePoint

Während der Osterwoche ist der Euro erstmals seit der Festlegung der Kursuntergrenze im September 2011 kurzfristig unter 1.20 Franken gefallen. Die Wechselkurspolitik der SNB begünstigt zwar die Exportindustrie, hat aber auch Nebenwirkungen zur Folge.

Thomas Jordan, Vizepräsident und Interims-Präsident der SNB, verteidigte anfangs Woche die Institution und bezeichnete Zweifel an der Wechselkurspolitik als «unbegründet».

Jordan bekräftigte die Bereitschaft der Zentralbank, «Devisen in unbeschränkter Menge aufzukaufen», um den Franken in den vorgegebenen Grenzen zu halten. Ebenso bestätigte er, dass die Schweizer Währung «nach wie vor überbewertet» sei.

Die Erklärung Jordans erfolgte, nachdem die ungewöhnliche Währungsruhe der Ostertage am vergangenen Donnerstag (5.4.) durch einige isolierte Finanzoperationen jäh gestört und der Euro zu etwas weniger als 1,20 Franken gehandelt wurde.

Zum ersten Mal in 7 Monaten hatte der Franken die von der SNB festgesetzte Mindestgrenze von 1,20 Franken pro Euro unterschritten.

Laut Wirtschaftsanalysten war einer der Gründe in der Volatilität angesichts der wirtschaftlichen Probleme Spaniens zu suchen.

Am vergangenen Wochenende kritisierte die Schweizer Presse, wie zum Beispiel Finanz und Wirtschaft, die SNB, da sie in schwierigen Momenten «in den Ferien weile».

Während die einen die Politik der Zentralbank für ungenügend erachten, halten sie andere für übertrieben. So wiederholte der Präsident von Swissmem, Hans Hess, dass der starke Franken den schweizerischen Industriestandort zwar nicht zerstört habe, die Situation aber noch immer dramatisch sei.

Den entgegengesetzten Standpunkt vertritt u.a. der Internationale Währungsfond (FMI), welcher der Schweiz anrät, zum freien Wechselkurs zurückzukehren, sobald es die Wirtschaftslage erlaube.

Auf der Suche nach Sicherheit

Muss die Wechselkurspoilitik geändert werden? Janwillem C . Acket, Chefökonom der Forschungsabteilung für Weltwirtschaft der Privatbank Julius Baer, meint gegenüber swissinfo.ch, der Erfolg der gegenwärtigen Politik bestätige sich darin, dass sie die Auswirkungen einer grösseren zyklischen Erosion bremse: «Sie ermöglicht Schweizer Firmen mehr Stabilität bei der Planung und Ausführung ihrer Geschäfte. Sie aufzugeben, könnte zur Folge haben, dass die Wirtschaft mehr verliert als gewinnt.»

Jan-Egbert Sturm, Direktor am Institut für angewandte Wirtschaft in Zürich (KOF), zielt in dieselbe Richtung: Eine Änderung der Wechselkurspolitik im gegenwärtigen Augenblick würde zu Unsicherheit führen.

«Gegenwärtig ist es unklar, wie die Märkte auf die Abschaffung des Mindestwechselkurses reagieren würden. Vielleicht würde sich der Wechselkurs in der Nähe von 1,20 Franken pro Euro einpendeln. Es ist aber auch vorstellbar, dass irgendwelche negativen Informationen aus der Eurozone die Spekulation entfesseln und diese sich gegen den Franken wendet.»

Diese Einschätzung der Analysten stimmt mit derjenigen von Bundesrat Johann Schneider-Ammann überein. Ende März sagte der Wirtschaftsminister am Schweizer Fernsehen, dass die Aufgabe des Mindestwechselkurses «für das Land verheerend wäre».

Der ehemalige Unternehmer ging sogar noch einen Schritt weiter, als er sagte, er würde einen Wechselkurs zwischen 1,35 – 1,40 Franken pro Euro begrüssen.

Die Notenpresse

Am vergangenen Freitag (6.4.) veröffentlichte die SNB ein standardisiertes Dokument mit den Zahlenangaben für März 2012. Demnach beliefen sich die internationalen Währungsreserven des Landes per 31.3. auf 237´500 Millionen Franken.

Ende Februar betrugen sie 227´200 Millionen Franken, womit die SNB innerhalb eines einzigen Monats die Reserven um 10´000 Millionen Franken aufgestockt hat.

Jedes Mal, wenn die SNB mit grosser Diskretion interveniert und Euros aufkauft, um Spekulationen gegen den Franken einzudämmen, muss sie darauf eine der folgenden Massnahmen ergreifen: Entweder Geld benützen, das anderswo investiert ist (Goldverkauf, Verkauf von Kantonsanleihen, etc.) oder die Notenpresse in Betrieb setzen.

Jan-Egbert Sturm von der Konjunkturforschungstelle der ETHZ bestätigt die Schädlichkeit von Preiserhöhungen, teilt aber Befürchtungen des FMI nicht, denn die Schweiz sei von einem inflationären Szenario weit entfernt:

«Die Schweiz erlebt eine Phase der Negativinflation. Der Franken hat sich aufgewertet, bevor ein Mindestwechselkurs festgesetzt wurde, und viele Güter und Dienstleistungen sind im Ausland billiger geworden. Dies führte zu einem noch nicht beendeten Prozess eines Preisdrucks nach unten», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Janwillem C. Acket von der Bank Julius Baer stimmt mit ihm überein, wonach «die Deflation noch immer auf der Schweizer Tagesordnung» stehe.

Notwendige Bedingungen

Laut privaten Experten müssen verschiedene Bedingungen erfüllt werden, bevor an eine Änderung der Wechselkurspolitik zu denken ist.

Für Janwillem C. Acket wäre es wichtig, dass sich der Frankenkurs spontan von der Schwelle von 1,20 Euro entfernen würde. Ebenso sei es ausschlaggebend, dass sich die Erholung der Schweizer Wirtschaft konsolidiere. Weiter hält er es für unerlässlich, dass die Risikoscheu, welche die Eurozone hervorrufe, bedeutend verringert werde:

«Gegenwärtig kann jede Spannung auf dem Markt die Marktteilnehmer dazu verleiten, Franken aufzukaufen.»

Und Jan-Egbert Sturm bestätigt, dass es erst interessant wäre, die gegenwärtige Wechselkurspolitik infrage zu stellen, wenn der Preisdruck nach unten beendet sei und sich die Exportindustrie an den starken Franken angepasst habe.

Angesichts der unerwünschten Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber der D-Mark Ende der 1970er-Jahre beschloss die SNB die Einführung des festen Wechselkurses.

Das Ziel der Frankenabwertung wurde zwar erreicht, führte aber in den 1980er-Jahren zur Inflation.

Auf dem Hintergrund eines ähnlichen Szenariums  beschloss die SNB im vergangenen September eine weniger radikale Politik und setzte einen minimalen Wechselkurs von 1.20 Franken pro Euro fest. Zur Erreichung des Ziels würde sie soviel Devisen aufkaufen wie notwendig seien.

Jedes Mal, wenn Druck auf den Franken ausgeübt wird, muss die SNB Devisen aufkaufen, um unmittelar darauf eine der beiden Massnahmen zu ergreifen: Entweder eigenes Geld, das anderswo investiert ist, benützen (zum Beispiel Goldverkauf) oder die Notenpresse in Gang setzen.

Mehr Geld in Umlauf setzen, führt aber zu Inflation.

Dies hat eine Spirale von Preis- und Lohnerhöhungen zur Folge, welche schliesslich schwer zu kontrollieren ist und die Kaufkraft der Bevölkerung vermindert.

Dezember 2010: 1.24 Franken/Euro. Die SNB bestätigt, dass eines von zwei Schweizer Unternehmen den negativen Auswirkungen des starken Frankens ausgesetzt ist.

Januar 2011: 1.26 Franken/Euro. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund warnt, dass die Schweiz mit dem «Superfranken» 100’000 Arbeitsplätze verlieren werde und das Uhrenunternehmen Swatch verlangt von der Zentralbank  eine Abwertung. Der Bundesrat tritt zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen.

Februar 2011: 1.27 Franken/Euro. Der Bundesrat beschliesst bescheidene Massnahmen zur staatlichen Unterstützung der Exportindustrie, des Tourismus und der Innovation .

März 2011: 1.30 Franken/Euro. Die SNB veröffentlicht Verluste in Millionenhöhe für 2010 angesichts der erfolglosen Bemühungen zur Frankenabwertung.

August 2011: 1.03 Franken/Euro. Der Franken misst sich auf Augenhöhe mit dem Euro und die Alarmglocken läuten. Die SNB verfünffacht das Frankenangebot auf dem Markt.

September 2011: 1.10 Franken/Euro. Die SNB setzt einen Mindestwechselkurs von 1.20 Franken pro Euro fest. Der Bundesrat, die Wirtschaft und die politischen Parteien begrüssen den Entscheid.

März 2012: 1.20 Franken/Euro. Der FMI fordert die Schweiz auf, zum freien Wechselkurs zurückzukehren, sobald dies die wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten.

April 2012: 1,1996 Franken/Euro. Zum ersten Mal in 7 Monaten fällt der Euro unter die gesetzte Grenze von CHF 1.20. Die SNB reagiert unverzüglich mit dem Ankauf von Euros.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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