«Schweizer Bauern könnten viel mehr verdienen, wenn sie in die USA lieferten»
Die Nachfrage nach guten Agrarprodukten ist im letzten Jahrzehnt in der Schweiz wie in den USA gestiegen. Deshalb wäre ein Freihandelsabkommen auch für die Bauern in der Schweiz interessant. Das sagt Edward McMullen, der Botschafter der USA in der Schweiz. Es sei aber nicht an seinem Land, den Ball aufzunehmen.
Es steckt der Wurm drin in der Frage eines Freihandelsabkommens zwischen der kleinen Schweiz und den grossen USA. Und das schon seit über einem Jahrzehnt.
Letztes Kapitel: Anfang Dezember scheiterte der scheidende Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann mit seinem Plan, beim Besuch in Washington den US-Chefunterhändler Robert Lighthizer zu treffen.
Stattdessen musst sich der Gast mit dessen Stellvertreter zufrieden geben. Was Schweizer Medien prompt als Brüskierung taxierten.
Aber für Edward McMullen, den US-Botschafter in der Schweiz und in LiechtensteinExterner Link, ist dieser Vorwurf «absurd». Lighthizer habe als US-Handelsbeauftragter in letzter Minute Gespräche über die Lösung der laufenden Handelsstreitigkeiten mit China führen müssen. Deshalb sei er davon ausgegangen, «dass das US-Handelsbüro das Treffen mit Schneider-Ammann absagen würde», sagt McMullen im Interview mit swissinfo.ch.
«Allein die Tatsache, dass das Treffen stattgefunden hat, zeigt die Priorität, die unsere Regierung diesem Gespräch eingeräumt hat», sagte er.
Mediatoren-Rolle für Parmelin?
2019 ist es an Schneider-Ammanns Nachfolger im Wirtschaftsministerium, Bundesrat Guy Parmelin, die Handelsgespräche mit den USA fortzusetzen.
Der ehemalige Weinbauer ist mit dem Thema bestens vertraut: 2006 hatte Parmelin zu jenen einflussreichen Schweizer Landwirtschaftkreisen gehört, die ein angestrebtes amerikanisch-schweizerisches Freihandelsabkommen abgeschossen hatten.
McMullen aber blickt nach vorn: Er begrüsse es, beim Thema Freihandel mit einem Landwirt zusammenzuarbeiten. «Sollte es zu Verhandlungen kommen, ist es von Vorteil, jemanden an Bord zu haben, der mit den hartnäckigsten Freihandels-Gegnern in der Schweiz sprechen kann», sagte McMullen zur Stabwechsel im Schweizer Wirtschaftsministerium.
Win-win
Was McMullen mit Optimismus erfüllt, ist die gestiegene Nachfrage nach landwirtschaftlichen Spezialprodukten in den letzten zehn Jahren. Und das sowohl in der Schweiz als auch in den USA. Dadurch werde ein Freihandelsabkommen für die Produzenten interessanter. Auch jene in der Schweiz.
«Schweizer Bauern würden viel mehr Geld verdienen, könnten sie ihre Produkte in den USA absetzen», glaubt der Botschafter. Er führt insbesondere den wachsenden Appetit der US-Konsumenten auf hochwertige Schweizer Produkte wie Käse und Wein an.
McMullen hat mit vielen Schweizer Bauern gesprochen, die strikt gegen ein Freihandelsabkommen sind. Dies, weil sie zu viele und zu gravierende Nachteile befürchten. Dazu zählt auch der Verlust von Direktzahlungen des Staates.
Diplomatischer Klartext
Als die Schweizer Spitzen-Handelsdiplomatin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch im Oktober zu Handelsgesprächen in die USA reiste, machte sie vor den Medien klar, dass ein vollständiger Agrarfreihandel zwischen den beiden Ländern für die Schweizer Agrarproduzenten «inakzeptabel» sei.
Aber McMullen ist überzeugt, dass die Schweizer Bauern das «Gesamtbild» verstehen würden. Damit meint er den Umstand, dass die Landwirtschaft «nur ein kleiner Teil» eines Freihandelsabkommens wäre. Denn dieses würde auch starke Branchen wie Pharma und Exportindustrie betreffen.
Aber wie würde es sich punkto Wettbewerb von Schweizer Käse mit US-Käse verhalten? Dieser wird teils gar unter ähnlichem Namen vermarktet.
Würde da der Agrarzwerg Schweiz nicht vom Agrarriesen USA überrollt?
In den bisherigen Handelsgesprächen seien keine Probleme mit geschützten Herkunftsbezeichnungen aufgetreten, entgegnet McMullen. Auf dem US-Markt habe es neben der heimischen Produktion durchaus Platz für Käseprodukte aus der Schweiz.
US-Food auf Schweizer Tellern
Markus Ritter kann dieser Sicht nichts abgewinnen. In einem Interview mit der Basler Zeitung sagte der Präsident des mächtigen Schweizerischen Bauernverbandes, dass die Schweiz in Bezug auf Tierschutz, Umweltverträglichkeit und Gentechnik im Lebensmittelsektor «höhere Standards und Erwartungen» habe als die USA.
Sollten über ein Freihandelsabkommen mehr US-Nahrungsmittelimporte in die Schweiz gelangen, sieht Ritter nichts weniger als die Garantie dieser Standards in Gefahr.
Mächtige Aufsicht
McMullen argumentiert wiederum, dass die Vereinigten Staaten mit der Food and Drug Administration (FDA) über «eine viel stärkere Aufsichtsbehörde verfügen, als sich die Schweizer je vorstellen könnten». Und er fügt an: «Amerikaner essen sicherlich keine Lebensmittel, die ihrer Gesundheit schaden.»
Was er in der Schweiz am meisten zu hören bekomme, sei nicht die Sorge um die Lebensmittelsicherheit, sondern die Frage, wann Konsumenten mehr US-Rindfleisch kaufen könnten.
«Die Schweizer Rindfleischproduzenten haben nichts zu befürchten», beschwichtigt Edward McMullen. «Sie haben einen starken Markt und sie sind sehr gut aufgestellt. Die Öffnung des Marktes für ein wenig amerikanisches Rindfleisch oder was auch immer auftauchen mag, wird kaum sehr umstritten sein.»
Trumps verwirrliche Signale
US-Präsident Donald Trump sendet gemischte Botschaften zur Frage der Zölle aus. Im März hatte er Importzölle auf Stahl und Aluminium eingeführt. Im Juni dann, am G7-Gipfel, hatte er erklärt, dass es «keine Zölle und keine Schranken» geben sollte.
Die meisten Tariffragen zielten auf China ab, so McMullen. Die Schweiz zähle nicht zu jenen Ländern, die im Handelsaustausch mit den USA riesige Überschüsse aufweisen. «Wir hatten nie Probleme mit der Schweiz», sagt der Botschafter.
Fall Schweiz bei WTO noch hängig
Im Juli leitete die Schweiz wegen der Aluminium- und Stahlzölle ein Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO)Externer Link ein. Die Schweiz exportierte im vergangenen Jahr Stahlprodukte im Wert von rund 80 Mio. Franken in die USA.
Anfang dieses Monats kündigte die WTO an, dass ein spezielles Panel die Klage der Schweiz gegen die USA prüfen werde.
Die Schweiz hat auch eine Ausnahme von den Zöllen beantragt. Eine solche wurde ihr bisher jedoch nicht gewährt. Einige in den USA tätige Unternehmen, die Schweizer Stahl- und Aluminiumprodukte importieren, haben immerhin die Freistellung von den Verwaltungsgebühren erreicht. Diese Ausnahmen sind aber auf bestimmte Produkte beschränkt.
Letztlich aber seien es nicht die Zollfragen, die das Gesamtbild der Auswirkungen eines Freihandelsabkommen auf die Volkswirtschaften beider Länder bestimmen würden, sagt der US-Diplomat. Stahl und Aluminium zählten schliesslich nicht zu den Schlüsselindustrien der Schweiz.
Dynamik gefordert
Im Sommer schrieb Edwin Feulner, ehemaliger Präsident der konservativen US-Denkfabrik The Heritage FoundationExterner Link, dass «es an der Zeit ist, ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz abzuschliessen». Und das «je früher, desto besser».
Die Schweizerisch-Amerikanische Handelskammer schloss sich Feulners Sicht an: «Wir brauchen jetzt ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA!»Externer Link, so das Credo der Organisation.
Der Ständerat, die kleine Kammer des Schweizer Parlaments, sprach sich am 6. Dezember für ein Handelsabkommen mit den USA aus. Die Schweizer Regierung soll «ein Freihandelsabkommen oder zumindest ein Präferenzabkommen mit den USA» anstreben, so der Auftrag des Ständerats.
McMullen sieht keinen Anlass zur Eile. Zumindest nicht, was die eigene Seite angeht. «Wenn die Schweiz in einen Dialog treten will, dann wollen wir mitziehen, und das in ihrem Tempo», sagt er, «der Ball liegt ganz im Feld der Schweiz.»
Sein Schlusssatz klingt wie nach einer Steilvorlage für die Schweizer Mannschaft, die den Ball noch immer in der eigenen Spielhälfte ohne viel Inspiration hin und her spielt.
«Wir brennen darauf, den Dialog fortzusetzen und den Ball nach vorn zu spielen. Was unsere Seite betrifft, rollt der Ball ziemlich rund.»
Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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