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Die PKK spaltet Kurden und Türken in der Schweiz

Bei Ausschreitungen zwischen kurdischen und türkischen Demonstranten in Bern werden zahlreiche Personen verletzt, auch Polizisten. Keystone

Nach dem Abbruch eines zweijährigen Waffenstillstands ist die Gewalt zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Gruppierungen wieder eskaliert. Die Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Schweiz, wo rund 120'000 Personen mit türkischer Herkunft leben. Schätzungsweise die Hälfte davon sind Kurden. Man verstehe sich gut, heisst es auf beiden Seiten. Ausser wenn es um die kurdische Arbeiterpartei PKK geht.  

«Sie werden ohnehin nicht schreiben, was ich Ihnen sage», erklärt Turgut Dagci gleich zu Beginn des Gesprächs. Der Vizepräsident der «Türkischen Gemeinschaft Schweiz» hat schlechte Erfahrungen gemacht mit den Medien in der Schweiz. Die Berichterstattung sei «immer einseitig», nämlich zu ungunsten von Türken. Aktuelles Beispiel dafür seien die tendenziösen Berichte über die gewalttätigen Ausschreitungen mit mehreren Verletzten im September in Bern.

Türkei vor Neuwahlen

Am 1. November finden in der Türkei vorgezogene Neuwahlen statt. Bei den letzten Wahlen im Juni hatte die Minderheitenpartei HDP mit überraschenden 13 Prozent der Stimmen der regierenden AKP den Weg zur Alleinherrschaft verbaut. An einer Koalitionsregierung mit der HDP hatte Regierungspräsident Recep Tayyip Erdogan danach wenig Interesse gezeigt und stattdessen Neuwahlen angesetzt.

Vertreter der Kurden und anderer Minderheiten werfen Erdogan vor, er habe den Waffenstillstand mit der PKK bewusst einseitig gebrochen, um auch zwischen türkischen Nationalisten und Kurden Zwist zu säen, damit sich die Bevölkerung an den bevorstehenden Wahlen für Stabilität und hartes Durchgreifen entscheiden und der AKP wieder zu einer absoluten Mehrheit verhelfen werde.

Entzündet hatte sich dieser Konflikt bei einer bewilligten Kundgebung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), eine nationalistische Organisation, welche der in der Türkei regierenden AKP nahe steht. In Bern wollte die UETD gegen «jegliche Art von Terrorismus» demonstrieren. Um diese Kundgebung zu verhindern, hatten sich am gleichen Ort auch Kurden und Sympathisanten versammelt, worauf mehrere Demonstranten aufeinander los gingen und auch Polizisten verletzten.

Feindbild PKK

«Wir haben kein Problem mit Kurden. Das sind unsere Schwestern und Brüder. Die gewalttätigen Demonstranten in Bern waren nicht Kurden, sondern die PKK». Er habe selber an der Kundgebung der UETD teilgenommen, sagt Dagci, weil er gegen jegliche Form von Terrorismus sei.

Zu den Terroristen zählt er auch die PKK, gegen welche die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan in den Kurden-Gebieten seit diesem Sommer wieder Krieg führt, weil sie diese für mehrere Anschläge auf Sicherheitskräfte und Zivilisten verantwortlich macht.

«Wir sind nicht Freunde von Erdogan, sondern der Türkei – für eine friedliche Türkei», sagt Dagci. «In unserer Dachorganisation hat es Vereine aus allen ethnischen und religiösen Gruppierungen.» Kurdische Gruppierungen gehören allerdings nicht zu den Mitgliedern. «Leider nicht!», bestätigt der aus der Osttürkei stammende Projektleiter einer Schweizer Maschinenbau-Firma. Er habe für verschiedene Projekte und Anlässe – zum Beispiel für ein Kommunikations- und Bewerbungsseminar – mit mehreren kurdischen Vereinen das Gespräch gesucht. «Aber wir werden von der anderen Seite systematisch ausgeschlossen.» Mit wem er vergeblich den Kontakt gesucht hatte, kann oder will Dagci allerdings nicht konkret sagen.

Fotos von Abdullah Öcalan und anderen kurdischen Idolen im Lokal eines kurdischen Vereins in Bern. swissinfo.ch

Helden und Märtyrer

Für viele Kurden in der Schweiz ist Erdogan nicht nur kein Freund, sondern ein Feind, der die Minderheiten in seinem Land unterdrückt. Weil die PKK mit «Leib und Leben für die Rechte der Kurden» kämpft, geniesst sie auch bei den in die Schweiz immigrierten Kurden Sympathie und Unterstützung.

Abdullah Öcalan, der immer noch als Kopf der PKK gilt, obwohl er seit 1999 in der Türkei u.a. wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, Sprengstoffanschlägen und Mord eine lebenslange Haftstrafe verbüsst, wird auch hierzulande von vielen Kurden als Held verehrt. Sein Konterfei wird nicht nur an den wiederkehrenden kurdischen Kundgebungen auf Fahnen hochgehalten, sondern auch auf Wandbildern in kurdischen Vereinen.

Manche Vereinsmitglieder nahmen einst selber am Widerstandskampf in der Heimat teil oder sassen wegen mutmasslicher Beteiligung in türkischen Gefängnissen. Und noch mehr Kurden in der Schweiz haben Eltern, Geschwister, Verwandte oder Freunde, auf die dies zutrifft.

Was ist die PKK in den Augen von Kurden, die in der Schweiz eine öffentliche Funktion haben: Widerstandskämpfer gegen ein Unrechtsregime oder eine terroristische Organisation?

Edibe Gölgeli, die junge Präsidentin der Schweizerisch-kurdischen Gemeinschaft in Basel, ist auch Mitglied des Grossen Rats der Stadt Basel. Sie mag sich nicht zur Frage äussern, welche Rolle die kurdische Arbeiterpartei in ihrem Verein spielt. Es sei nicht ihre Aufgabe «Propaganda- oder Antipropaganda-Statements zur PKK abzugeben», hält sie in einer E-Mail an swissinfo.ch fest.   

Auch die frisch gewählte Basler Nationalrätin Sibel Arslan, die ebenfalls kurdische Wurzeln hat, hat einen Interview-Termin mit swissinfo.ch kurzfristig platzen lassen: «Aufgrund vieler Anfragen kann ich Ihnen keine Auskunft geben», schreibt sie.

Während Ihres Wahlkampfs hatte sie die Konfliktparteien, die türkische Regierung und die PKK-Führung, öffentlich dazu aufgerufen, die Angriffe zu stoppen und die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen. «Die Luftangriffe der türkischen Regierung auch ausserhalb der Landesgrenze und die Angriffe der PKK auf die Sicherheitskräfte kurbeln die Spirale der Gewalt an», kritisierte sie.

«Terroristische Gruppierung», aber nicht verboten

Laut dem Sicherheitsbericht 2015 des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB), der im Februar veröffentlicht wurde, ist die PKK «als gewaltextremistische und terroristische Gruppierung anzusehen, deren Gewaltpotenzial nicht abgenommen hat». Aber anders als in den USA oder der EU gehört die PKK in der Schweiz nicht zu den verbotenen Organisationen wie «Al-Qaïda» oder «Islamischer Staat» (IS).

Der Lagebericht hält fest, «…dass Verbindungen zu linksextremen Gruppierungen aus der Türkei und zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) weiterhin bestehen und zumindest situativ gemeinsame Aktionen möglich sind».

An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert. «Rekrutierungen und Geldsammelaktionen zu Gunsten der PKK finden in der Schweizer weiterhin statt», teilt der Nachrichtendienst auf Anfrage von swissinfo.ch. mit.

Ob das «Fest für Kobane» vom 31. Oktober auf dem Berner Reitschul-Areal auch dazu gehört, dazu will sich der NDB nicht äussern. Bei dem Anlass soll laut den kurdischen Veranstaltern «schweizweit» Geld für den Wiederaufbau der syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei gesammelt werden. IS-Terroristen hatten 2014 die Region erobert, den Hauptort eingekesselt und mehrere Quartiere zerstört. Nach monatelangen erbitterten Kämpfen konnten die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG), unterstützt von Luftangriffen der USA, die IS-Kämpfer aus Kobane vertreiben.

Terroristische Unterorganisationen

Das Bundesamt für Polizei Fedpol, das gegen «Schwerstkriminalität» (u.a. organisiertes Verbrechen und Finanzierung des Terrorismus) ermittelt, bezeichnet zwei bewaffnete Unterorganisationen der PKK, die «Volksverteidigungskräfte» (HPG) und die «Freiheitsfalken Kurdistans» (TAK), als kriminelle Organisationen. Fedpol stützt sich dabei auf einen Entscheid des Bundesstrafgerichts von 2012, in dem festgehalten wird, dass die Unterorganisationen «terroristisch tätig» gewesen seien und auch gegen «zivile Zielobjekte Gewalt ausgeübt» hätten.

Ob die PKK als Gesamtorganisation eine kriminelle Organisation im Sinn des schweizerischen Strafrechts ist, wurde im Entscheid des Bundesstrafgerichts offen gelassen. Die Frage sei auch in der sonstigen Rechtssprechung noch nicht erörtert worden, antwortet Fedpol auf Anfrage von swissinfo.ch. 

Die Ausschreitungen in Bern zeigten, dass sich der aktuell verschärfte Konflikt in den Kurdenregionen auch in der Schweiz entladen könne. «Wir können also nicht ausschliessen, dass sich solche Gewalttätigkeiten auch in Zukunft in der Schweiz ereignen werden», schreibt Fedpol.

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