Tiana Moser: «Wir riskieren den Austritt aus Schengen»
Am 15. Mai kommt das Frontex-Referendum an die Urne. GLP-Nationalrätin Tiana Moser spricht sich für die Erhöhung des Schweizer Beitrags an Frontex aus. Ansonsten riskiere die Schweiz den Austritt aus Schengen, sagt sie im Interview.
Als assoziiertes Mitglied im Schengen-Raum beteiligt sich die Schweiz an der Finanzierung von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Das Budget der Agentur wurde erhöht, was auch eine Erhöhung des Schweizer Beitrags von 24 Millionen auf 61 Millionen Franken jährlich bedeuten würde. Die Vereinigung Migrant Solidarity Network und weitere Organisationen haben dagegen das Referendum ergriffen.
Worum es beim Frontex-Referendum geht, können Sie in unserer Übersicht lesen:
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Was für und was gegen den Frontex-Beitrag spricht
Tiana Moser ist GLP-Nationalrätin aus Zürich. Sie ist Präsidentin der grünliberalen Fraktion im Nationalrat und setzt sich seit jeher für eine Intensivierung der Beziehungen mit der Europäischen Union ein.
- Hier finden SieExterner Link die Seite des Referendumskomitees «No Frontex Referendum».
- Die Seite «Frontex-Schengen Ja» finden Sie hierExterner Link.
- Hier geht esExterner Link zu den Angaben des Bundesrates.
swissinfo.ch: Russland ist in der Ukraine eingefallen, die Schweiz und die EU haben Gespräche über die künftigen Beziehungen aufgenommen. Der Moment für die Abstimmung ist wohl etwas unglücklich?
Tiana Moser: Ein Referendum gehört zur direkten Demokratie. Bundesrat und Parlament haben dann die Aufgabe die Vorlage der Bevölkerung zu erklären. Das geht in dem Fall sehr gut: Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist das Sicherheitsbedürfnis in ganz Europa stark gestiegen, auch in der Schweiz. Und damit auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Zusammenstehens und der Kooperation unter gleichgesinnten Ländern.
Unsere Verbundenheit zu den europäischen Ländern und damit zur Europäischen Union bringen wir im Sicherheits- und Migrationsbereich mit der Teilnahme bei Schengen zum Ausdruck. Das aufs Spiel zu setzen ist schädlich, erst recht in der aktuellen Situation.
Die Gegner:innen des Referendums sagen, die Schweiz riskiert aus Schengen/Dublin rauszuschlittern. Die Befürworter:innen bestreiten das. Was stimmt?
Die Sache ist rechtlich klar. Wir haben 2005 die Teilnahme an Schengen durch einen Volksentscheid beschlossen und damit geht auch die Verpflichtung einher, sich an Entwicklungen zu beteiligen. Wir haben dabei Mitspracherecht, jedoch kein Mitentscheidungsrecht.
Wenn wir nun eine Weiterentwicklung nicht übernehmen, kommt es nach sechs Monaten zu einem automatischen Austritt aus Schengen, ausser man findet innerhalb von 90 Tagen eine andere Lösung. Dies erachte ich als praktisch ausgeschlossen: Die Schweiz müsste sich innert kurzer Zeit selbst darüber im Klaren werden, was sie will.
Und anschliessend – während eines Krieges auf europäischem Boden – mit jedem einzelnen europäischen Land und der Europäischen Kommission einigen. Wir riskieren also tatsächlich den Austritt aus Schengen. Das wäre katastrophal.
Die SP begründet ihre Unterstützung des Referendums mit dem Fehlen von humanitären Ausgleichsmassnahmen – konkret solle das Resettlement-Kontingent erhöht werden. Das wäre mit der parlamentarischen InitiativeExterner Link von Daniel Jositsch gewährleistet, nicht?
Die SP betreibt hier ein Spiel mit einem enorm hohen Risiko für die gesamte Schweizer Bevölkerung. Weil sie eines ihrer politischen Ziele nicht erreicht hat – eben die Resettlement-Erhöhung – gefährdet sie die Schengen-Mitgliedschaft, mit drastischen Auswirkungen für unsere Sicherheit und Reisefreiheit, und damit auch für die Wirtschaft.
Die Grünliberalen – und ich persönlich – haben die Erhöhung der Resettlement-Kontingente auch unterstützt. Es gab aber keine Mehrheit dafür. Das ist unschön, aber so funktioniert nun mal Demokratie. Man kann weiterhin für eine Erhöhung kämpfen, und ich werde das unterstützen. Die Schweiz kann und muss hier mehr tun. Aber unsere Beziehungen zur EU jetzt mit einem Nein zu Frontex noch mehr zu belasten, macht keinen Sinn und ist unverantwortlich.
Die Diskussionen über Frontex laufen nicht nur in der Schweiz: Das EU-Parlament will die Frontex-Rechnung für das Jahr 2022 nicht genehmigen. Grund sind massive Vorwürfe von Antibetrugsbehörde Olaf. Ein Zeichen für den Zustand der europäischen Asylpolitik?
Weder ich noch andere Befürworter:innen dieser Frontex-Vorlage behaupten, dass die Arbeit problemfrei ist. Aber auch in der Schweiz passieren im Asylwesen Fehler. Wichtig ist, dass man hinschaut und das verbessert. Die Frontex-Vorlage macht eben auch das: Neu sollen 40 Grundrechtsbeauftragte eingesetzt werden, die Agentur soll besser kontrolliert werden. Genau das, was die Frontex-Gegner:innen kritisieren, schwächen sie also mit ihrem eigenen Referendum.
Und es ist natürlich auch eine Ressourcenfrage: Frontex unterstützt die Länder an den europäischen Aussengrenzen, die auch unsere Grenzen sind. Wir können da nicht einfach abseitsstehen und die Arbeit den anderen überlassen.
Mit anderen Worten: Wir können nicht einfach sagen, die Reisefreiheit nehmen wir gerne, weil das uns viele Vorteile bringt, aber die unangenehme Arbeit im Sicherheits- und Migrationsbereich überlassen wir den anderen Ländern. Schlussendlich muss auch die Schweiz Verantwortung übernehmen und als zuverlässige Partnerin angesehen werden.
Sie haben den Ausbau des Grundrechtsschutzes angesprochen. Die Schweiz ist schon heute im Frontex-Verwaltungsrat vertreten. Was für einen Einfluss haben wir effektiv auf die Agentur?
Wir haben eine Vertretung und die setzt sich entsprechend unserer Wertvorstellungen ein. Die vorliegende Vorlage zeigt genau, dass die Probleme erkannt wurden und dass man sie angehen will. Das wurde uns auch von der Verwaltung und von der Person im Frontex-Verwaltungsrat zugesichert. Daneben stellt die Schweiz Know-How zur Verfügung, sowie auch zwei Grundrechtsbeauftragte, die sich einbringen.
Abgesehen davon geht es ja nicht einzig um die Reisefreiheit im Schengenraum, von der unsere Wirtschaft und unsere Bürger:innen profitieren. Es wird wenig thematisiert, dass die Grenzsicherung weit über die Migrationspolitik hinaus wichtig ist, etwa bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und beim Menschenhandel. Bei der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit sind wir auf eine europaweite Kooperation angewiesen, denn allein sind wir praktisch handlungsunfähig. Das müsste ja eigentlich auch im Sinne der Frontex-Kritiker:innen sein. Nur untergraben sie mit dem Referendum genau das.
Die Debatte zu Frontex sorgt in der Schweiz für Emotionen, vor allem wegen den gut dokumentierten Pushbacks an den europäischen Aussengrenzen. Diese geschehen jedoch durch nationale Behörden. Setzt sich die Schweiz im bilateralen Rahmen mit europäischen Staaten für die Einhaltung von Menschenrechten ein?
Das passiert genau über die Zusammenarbeit bei Schengen. Das ist eines der Dossiers in den Beziehungen zur EU, wo wir noch mit am Tisch sitzen. Auch kann unsere Justizministerin über die Treffen mit den EU-Innenminister:innen in den direkten Austausch treten, wo solche Fragen diskutiert werden.
Durch den Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommens ist unser Verhältnis zur Europäischen Union massiv belastet geworden, zudem hat die EU wegen dem Ukraine-Krieg zurzeit ganz andere Herausforderungen. Wenn wir nun auch noch die Schengen-Mitgliedschaft in Gefahr bringen, schwächen wir uns in der Europapolitik erneut selbst.
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