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«Das hier ist nicht die Schweiz», das hört er oft

Itamar im Westjordanland
Itamar mit einem palästinensischen Bauern vor dessen bescheidenem Gehöft. Auf dem Hügel direkt dahinter befindet sich ein israelischer Militärposten. swissinfo.ch

Itamar ist israelischer Friedenaktivist mit Schweizer Wurzeln. Was er aus seiner ersten Heimat kennt, wünscht er sich sehnlichst für seine zweite.

Wenn es drei Sachen in Israel wie Sand am Meer gibt, dann Folgende: Humus, Probleme und Friedensorganisationen. «Combatants for PeaceExterner Link«, zu Deutsch «Kämpfer des Friedens», ist eine NGO, die sich an allen vorbei an die Spitze geboxt hat. Ihre Mitglieder reisen für Vorträge um die Welt, sie haben eine treue Anhängerschaft in Israel und sind für ihre moderate aber trotzdem bestimmte Vorgehensweise bekannt. Der Dokumentarfilm «Disturbing the Peace», der letztes Jahr erschien, rückte die Aktivisten international ins Rampenlicht. So auch der neueste Roman der israelischen Bestsellerautorin Lizzie Doron «Sweet Occupation» , in dem sie ihre Begegnung mit einem palästinensischen Aktivisten der Organisation beschreibt. Die grösste internationale Errungenschaft der Friedenskämpfer ist jedoch die Nomination für den Friedensnobelpreis 2017.

Die meisten Israelis von «Combatants for Peace» waren einst bewaffnete Soldaten, die heute gegen die israelische Besatzung im Westjordanland kämpfen. Viele Palästinenser der Organisation sassen wegen leichten oder schweren Gewaltdelikten gegen jüdische Israelis im Gefängnis und sehen heute keinen Sinn mehr in gewaltvollem Widerstand. Man könnte fast sagen, es handelt sich dabei um eine Zusammenkunft der Erleuchteten.

Karte
Das Westjordanland befindet sich zwischen Israel und Jordanien und gehört, zusammen mit Gaza, zu den Palästinensischen Autonomiegebieten. Während des Sechstagekrieges 1967 wurde das Gebiet von Israel erobert. Seitdem steht das Westjordanland – zu dem auch Ostjerusalem gehört – unter israelischer Militärverwaltung. Teile der sogenannten Westbank stehen unter palästinensischer Verwaltung. Über 2,5 Millionen Menschen wohnen in der Westbank, zirka 15 Prozent von ihnen sind die sogenannten jüdischen Siedler. Die Regierung Israels unterstützt die Siedler, welche laut UN illegal im Westjordanland leben. Israel genehmigt immer wieder neue Baupläne für jüdische Siedlungen, oder baut bestehende aus, was international als illegal bewertet wird und immer wieder für Schlagzeilen sorgt. swissinfo.ch

 «Im Libanon war die Aufgabe klar. In der Westbank nicht.»

Eine Schweizer Note unter den 200 aktiven Mitgliedern versprüht Itamar Feigenbaum (45). Der Physiklehrer und Sohn einer Schweizerin und eines Israelis wurde in Bern geboren, zog im Alter von vier Jahren nach Israel und wuchs hier wie alle Israelis auf: Mit der Volljährigkeit kam der obligatorische Militärdienst. Itamar diente als Fallschirmjäger, operierte im Südlibanon im Kampf gegen die Hisbollah, war aber auch in der Westbank stationiert. Gegensätze, die ihn zu den Friedenskämpfern trieb, wie er sagt: «Im Libanon sind die Fronten klar: Der Feind ist die Hisbollah und gegen die kämpfst du. In der Westbank ist es anders. Es ist kein wirklicher Kampf, keine richtige Aufgabe. Es sind ja fast alle Zivilisten.» Auch nach seinem Militärdienst dachte er oft, wenn er sich die Fronten in der Westbank anschaute: Weder die israelischen Soldaten noch die Palästinenser sollten in der Situation sein, in der sie sich dort befinden.

Itamar ist heute der Westbank-Koordinator von «Combatants for Peace». Er koordiniert unter anderem, welche israelischen Mitglieder welchen palästinensischen Bauern auf dessen Weidegang begleiten. «Die Bauern ziehen mit ihrem Vieh durch die Gegend und kommen den jüdischen Siedlungen oft sehr nah. Auch sonst werden sie häufig mit Soldaten konfrontiert. Wenn ein Israeli von uns bei diesen Begegnungen dabei ist, wirkt das oft deeskalierend und auch die Palästinenser fühlen sich etwas sicherer.» Itamar lebt in Afula, im Norden Israels. Das Westjordanland ist in unmittelbarer Nähe. Wie oft er die Bauern besucht, ist unterschiedlich. Manchmal mehrere Male pro Woche, manchmal wenige Male pro Monat. Je nachdem, wie viel Arbeit gerade anfällt.

«Combatants for Peace» sind in vielen Bereichen aktiv: Sie organisieren gemeinsame Demonstrationen, bei denen beide Seiten zusammen gegen die Besatzung und für ein friedliches Miteinander schreien. Sie veranstalten monatliche Veranstaltungen, wo Israelis und Araber aufeinandertreffen, um Visionen zu teilen und Diskussionen zu führen. Ihre wichtigste Veranstaltung jedoch ist der alternative Gedenktag zum israelischen Unabhängigkeitstag im Frühling: «Combatants for Peace» gedenkt nicht nur den Soldaten und Opfern, die seit der israelischen Staatgründung bei Krieg und Terroranschlägen ihr Leben liessen, sondern spannt den Bogen weiter, indem sie aktiver auf das Leid beider Seiten aufmerksam machen und mit Kraft versuchen, die Geschichten beider Völker zu thematisieren. Im letzten Jahr nahmen fast 4’500 Menschen an den Gedenkfeiern teil.

Die Schweiz als Vorbild

Vor sieben Jahren zogen Itamar, seine Frau und seine zwei Kinder für ein Jahr zurück in die Schweiz. Dort lebten sie auf dem Land, mit Bauern und der Natur als Nachbarn. «Ich habe in der Schweiz viel über das Landleben gelernt», erinnert er sich. «Vor allem, wie wichtig es für einen Bauern ist, sich frei bewegen zu können und Raum zu haben. Es sind viele Erkenntnisse, die mir heute in meiner Zusammenarbeit mit palästinensischen Bauern helfen.»

Wenn in Israel etwas nicht läuft, wie es soll, höre man oft den Satz «Das hier ist nicht die Schweiz». Auch Itamar hat diesen Satz schon häufig gehört. «Dabei wünschte ich mir, es wäre etwas mehr, wie in meinem zweiten Zuhause: In der Schweiz leben so viele verschiedene Menschen friedlich und respektvoll zusammen. Das wünsche ich mir auch für Israel.» 

«Combatants for Peace» sind am 3. und 4. Oktober in der Schweiz zu Besuch. In Genf findet dann ein Screening des Filmes «Disturbing the Peace» statt mit anwesenden Aktivisten, in Zusammenarbeit mit der Genfer NGO «B8ofHopeExterner Link«.

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