«Diese Form von Nationalismus darf man nicht dulden!»
Was Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka mit dem «Doppeladler» wirklich bezweckten, bleibt vielleicht für immer ihr Geheimnis. Fakt ist, dass die beiden Schweizer Fussballer mit kosovarischen Wurzeln die Geste machten, die eine Verbindung mit der Idee eines Grossalbaniens zulässt. Genau dies ist für Nenad Stojanovic, Schweizer Politikwissenschaftler mit bosnischen Wurzeln, unzulässig. Die Fifa hat Geldstrafen verhängt.
Fussballfans waren sich einig: Schweiz gegen Serbien von Freitagabend war eine der besten Partien der bisherigen WM in Russland. Wie die Schweizer in der zweiten Halbzeit den Match nach dem frühen Rückstand gekehrt und schliesslich 2:1 gewonnen haben, liess sogar ausländische Medien ins Schwärmen kommen, wie etwa Spiegel online.
Doch der süsse Triumph auf dem grünen Rasen hat Konsequenzen am grünen Tisch: Der Weltfussfallverband Fifa hat am Montag die drei Schweizer Spieler Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka mit je 10’000 Franken und Stephan Lichtsteiner mit 5000 Franken gebüsst. Damit sind sie glimpflich davongekommen, hätte die FIFA doch auch Spielsperren verhängen können.
Der Vorwurf: Ihre Geste des «Doppeladlers» verstosse gegen den Fifa-Grundsatz, dass auf dem Platz politischen Statements verboten sind.
Gebüsst wurde aber auch der serbische Verband, der für Provokationen seitens von Anhängern mit 54’000 Franken geradestehen muss. Auch Serbiens Coach wurde gebüsst: für seine verbale Attacke gegen den Schiedsrichter muss er 5000 Franken bezahlen.
swissinfo.ch: Die beiden Hände auf der Brust, wobei die Finger die Flügel eines Vogels symbolisieren und die ineinander verschränkten Daumen einen doppelten Kopf: Wie kann eine der kleinsten Jubelgesten an der WM in Russland eine solch grosse Debatte auslösen?
Nenad Stojanovic: Das erstaunt nicht, denn was zählt, ist die Wirkung einer Geste. Diese war gross. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, als Spieler seine Freude auszudrücken. Man kann etwa eine Art afrikanischen Tanz machen.
Die sind nicht problematisch, es sei denn, man will damit eine politische Aussage machen bzw. eine ethnische oder nationalistische Botschaft aussenden mit dem Ziel, die Gegner zu provozieren oder die Überlegenheit der eigenen Ethnie zu betonen. Das war hier ein Element, das die ganzen Diskussionen ausgelöst hat.
swissinfo.ch: Die Gesten seien «eindeutig absichtlich und nationalistisch» und sind weder «zu rechtfertigen, zu verteidigen, ja, zu bagatellisieren», schrieben Sie auf Twitter. Welche Reaktionen würden Sie sich wünschen?
N.S.: Es wäre sicher positiv, wenn sich die betroffenen Spieler entschuldigen würden. Oder sie könnten zumindest die Einsicht äussern, dass ihr Verhalten in einem Match mit einem solch besonderen Kontext nicht angebracht war.
Gut wäre auch, wenn sie die Rückkehr zum Agreement verkünden würden, das Valon Behrami 2014 eingefädelt hatte.
Der Mittelfeldspieler, der auch kosovo-albanischer Herkunft ist, konnte damals offenbar seine Nationalmannschaftskollegen überzeugen, keine solchen Gesten zu machen.
Man war damals innerhalb der Mannschaft zum Schluss gekommen, das zu unterlassen. Weil es schon damals Gründe gab, die Fifa-Grundsätze zu respektieren, spreche ich jetzt von einer Absicht.
swissinfo.ch: Vor dem Match hatten serbische Medien gegen die Schweizer Spieler mit Ex-Jugoslawischen Wurzeln Stimmung gemacht, weil sie sich immer noch zu ihren Wurzeln bekennen. U. a. mit dem Wappen Kosovos auf Shaqiris Fussballschuhen. Und im Stadion wurden sie von den serbischen Fans ausgepfiffen. Haben Sie kein Verständnis, wenn dann im Adrenalinrausch des Torjubels die Retourkutsche kommt?
N.S.: Dies können Elemente sein, um das Verhalten der Spieler zu verstehen. Ich kenne ihre Motivation für ihre Aktion nicht. Aber das darf sie nicht rechtfertigen. Spricht man auf dem Balkan mit einer Seite – ob Kroaten, Serben, Albaner – kommt immer die Ausrede, dass die anderen angefangen hätten. Doch damit müssen wir aufhören. Man muss für die eigenen Handlungen Verantwortung übernehmen statt den anderen die Schuld zu geben.
Wichtig: Das Verhalten von serbischen Journalisten, Politikern und Fans ist für mich ebenso inakzeptabel und nicht zu rechtfertigen. Richtigerweise hat die Fifa auch das untersucht.
Aber ich wende mich hier als Schweizer an Shaqiri und Xhaka als meine Mitbürger, die gegenüber der Schweiz in Verantwortung stehen.
Albanisch-sprachige Diaspora in der Schweiz
Laut Bundesamt für Statistik lebten 2016 rund 260’000 Menschen in der Schweiz, die Albanisch sprechen. Die Schweiz zählt 8,4 Mio. Einwohner.
Die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Kosovo, Bosnien, Serbien Mazedonien, Montenegro) machen die viertgrösste Einwandererpopulation der Schweiz aus. Die grössten Gemeinden stellen Italien, Deutschland und Portugal.
Auch wenn sich Xhaka und Shaqiri durch die Aktionen der Serben provoziert gefühlt haben sollten: Das wäre kein Grund, ihre Aktion zu verteidigen, zu rechtfertigen oder sich mit ihnen zu solidarisieren.
swissinfo.ch: Aber sie dürfen sich doch zu den Wurzeln ihrer Eltern und ihrer Familie bekennen!
N.S.: Natürlich! Hier ging es aber klar nicht darum, weil die Geste nicht diesem Zweck diente. Gerade bei linken Kommentatoren hat das aber zur Verwirrung geführt. Sie stören sich daran, dass die rechtskonservativen Schweizer den Menschen nicht erlauben wollen, mehrere Identitäten zu haben und loyal zu anderen Ländern zu sein.
Ich stamme selber aus Sarajevo und habe als schweizerisch-bosnischer Doppelbürger das grösstes Verständnis, dass Menschen mit Migrationshintergrund noch andere Identitäten haben.
«Ich hätte Verständnis, wenn Shaqiri und Xhaka in ihren englischen Klubs bei jedem Tor, das sie erzielen, den Adler machen würden.» Nenad Stojanovic
Ich hätte auch Verständnis, wenn Shaqiri und Xhaka in ihren englischen Klubs bei jedem Tor, das sie erzielen, den Adler machen würden. Aber das ist nicht der Fall, sie tun das nicht regelmässig.
Sie taten es hier im vollen Bewusstsein für die jüngste Geschichte mit dem Krieg der Serben gegen Kosovo. Diese Form von Nationalismus darf man nicht dulden. Es ist eine kleine Geste. Aber viele solche kleinen Gesten tragen nicht zur Versöhnung und zur Entspannung des schwierigen Verhältnisses zwischen Albanern und Serben bei. Vielmehr giessen sie damit Benzin ins Feuer.
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Adlergeste rückt kosovarische Gemeinschaft der Schweiz ins Rampenlicht
Es geht hier nicht um eine multikulturelle Schweiz, wie Ex-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey oder der Schriftsteller Pedro Lenz sagten. Denn damit verharmlosen sie eine für mich eindeutig nationalistische Geste.
swissinfo.ch: Sie teilen also die Haltung des Schweizerische Fussballverbandes nicht, der sich explizit mit seinen Spielern solidarisiert und sagt, es würden zwei Herzen in deren Brust schlagen.
N.S.: Ich bin nicht sicher, ob sich der Verband auch intern mit den Spielern solidarisiert. Verband und Coach Vladimir Petkovic haben beide betont, dass Politik nicht zum Spiel gehört. Aber angesichts der Untersuchungen der Fifa wäre es strategisch wohl nicht klug, die eigenen Spieler zu verurteilen. Also zeigt man gegen Aussen Geschlossenheit.
Auch, weil die Chancen durch eine allfällige Sperre der Schlüsselspieler beeinträchtigt wären. Aber ich bin mir praktisch sicher, dass die Shaqiri und Xhaka intern die Botschaft erhielten, dass sie so etwas nicht mehr tun dürfen.
swissinfo.ch: Die multikulturelle Schweizer Fussball-Nationalmannschaft gilt als Vorzeigeprojekt einer erfolgreichen Integrationsarbeit. Und die beginnt schon auf Stufe der Kleinsten. Müssen der Verband und die Klubs hier Korrekturen anbringen?
N.S.: Auf jeden Fall. Es braucht verstärkte Präventionsarbeit gegen Nationalismus, weil dieser ein Übel in der Geschichte der Menschheit ist. Das Schöne an der Schweiz ist, dass sie schon im 19. Jahrhundert die Idee vertreten und verteidigt hat, dass man eine Nation sein kann, die aus verschiedenen Kulturen besteht.
Damit grenzte sie sich ab vom Nationalverständnis etwa von Deutschland oder Italien ab. Diese sagten, dass nationale Identität ganz klar an die eine Sprache gebunden ist.
Die Schweiz hat hier also einen schönen historischen Vorteil: sie hat gelernt, mit einer autochthonen Vielfalt umzugehen und diese als einen Reichtum zu sehen statt als Hindernis.
Später lernte sie, auch mit Vielfalt umzugehen, die von aussen kam, also durch Migration entstand. Aber es gilt auch hier, vieles noch zu verbessern. Es gibt Stimmen von rechts, die eine völlige Assimilierung von Einwanderern verlangen. Aber sie sind in der Minderheit. Eine Mehrheit ist überzeugt, dass eine Vielfalt von Sprachen, Kulturen und Identitäten gut für die Schweiz ist.
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