Gandhi-Aktivisten wollen die UNO aufrütteln
Indische Aktivisten begannen vor einem Jahr in Neu-Delhi einen langen Marsch. In Genf trafen sie Gleichgesinnte aus Frankreich, mit denen sie sich gemeinsam für die Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung einsetzen.
Einige hundert Aktivisten haben in Genf an die dringende Notwendigkeit erinnert, Armut und Klimawandel zu bekämpfen. «Gandhi machte damals den Salzmarsch. Wir kommen aus dem französischen Guerande, der Stadt des Salzes. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, Gandhis Marsch symbolisch nachzuahmen und die Bretagne mit Genf zu verbinden», sagt Marc, den wir Ende September auf dem Place des Nations in Genf treffen.
Gandhi war in drei Wochen 386 Kilometer von seinem Ashram in Ahmedabad bis zum Indischen Ozean marschiert, um die Unabhängigkeit seines Landes zu fordern: Er rief die Inder dazu auf, das von den Briten gehaltene Salzmonopol zu brechen und selbst Salz aus verdampftem Meerwasser zu gewinnen. Marc, ein sechzigjähriger Bretone, hat seinerseits 988 Kilometer in zwei Monaten zurückgelegt, um am UNO-Sitz in Genf die Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige EntwicklungExterner Link zu fordern.
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) wurden 2015 von den Vereinten Nationen als Teil der Agenda 2030Externer Link für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Die Ziele sollen bis 2030 erreicht werden.
Im Gegensatz zu den Millenniums-Entwicklungszielen, die sich nur an arme Länder richteten, verpflichten die Nachhaltigkeitsziele der UNO alle Länder. Etwa indem sie sie auffordern, Ungleichheiten entsprechend einer national definierten Armutsgrenze zu reduzieren. Mit 169 Bestimmungen fordern sie einen radikalen Paradigmenwechsel, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Gefordert ist ein sozial und ökologisch nachhaltiges Wirtschaftswachstum, auch durch entsprechende Produktions- und Konsumverhalten.
Die Schweiz war eines der ersten Länder, das der UNO 2018 einen nationalen BerichtExterner Link vorgelegt hat. In der Schweiz ist das Hauptinstrument zur Umsetzung dieser Ziele die Strategie der nachhaltigen EntwicklungExterner Link. Ein Konsultationsprozess zu diesem Programm soll im Herbst beginnen. Die Kantone, Gemeinden und die Zivilgesellschaft werden in die Vernehmlassung einbezogen.
Unter dem riesigen zerbrochenen Stuhl, der auf dem Place des Nations vor dem Hauptquartier der Organisation steht, wirbeln Mitglieder der Bewegung «ATD Vierte Welt» als Friedensvögel verkleidet herum und begrüssen die eintreffenden Aktivisten. Aus Frankreich und der Schweiz kommend, vereinigten sie sich mit einer Gruppe namens Jai Jagat.
Diese war im Oktober 2019 von Delhi aus nach Genf aufgebrochen. Im März aber wurden die Inderinnen und Inder in Armenien von Covid-19 gestoppt. Die Initiative zum Jai Jagat-Marsch 2020 ergriff Rajagopal P.V., der Gründer von Ekta Parishad, einer Massenbewegung, die die Ausgegrenzten in der indischen Gesellschaft integrieren will.
Gegen Armut und für den Frieden
«Wir marschieren für Frieden, Gerechtigkeit, Ökologie und für alles, was wir verändern wollen», sagt Marc, der unermüdliche Bretone. Es gebe immer noch viel Armut in der Welt, aber mit politischem Willen könnte sie leicht ausgerottet werden, ist er überzeugt.
«Deshalb stehen wir vor der UNO. Wir starteten von Guérande aus mit vier Personen, auf dem Weg schlossen sich uns Menschen tage- oder wochenweise an», erzählt Marc. An den Abenden hätten sie sich mit den Menschen vor Ort getroffen, um Erfahrungen auszutauschen. «Wenn wir all die Initiativen zusammenbringen würden, könnten wir weltweit Furore machen!»
Der 44-jährige Inder Wali gehört zur Kerngruppe von rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten, die von Delhi kamen: «Wir starteten von Raj Ghat in Delhi, wo sich Gandhis Gedenkstätte befindet. Vier Monate lang gingen wir zu Fuss zu seinem Ashram in Ahmedabad. Jeden Tag schlossen sich uns Leute an. Manchmal waren es 100, manchmal 400, manchmal noch mehr.»
Sie würden sich auf vier der 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung konzentrieren: Beseitigung der extremen Armut, Bekämpfung des Klimawandels, Verringerung der Ungleichheit und Förderung des Friedens. «Es ist symbolisch, dass uns im März das Coronavirus gestoppt hat. Der ursprüngliche Plan war, die gesamte Region zu durchqueren. Es zeigt die Dringlichkeit der Krise und die Notwendigkeit, das Entwicklungsmodell zu ändern».
Ankunft des grossen Marsches auf nächstes Jahr verschoben
Benjamin Joyeux, der Koordinator von Jai Jagat GenfExterner Link, hat die Ankunft des grossen Marsches in den letzten zwei Jahren vorbereitet. Obwohl er ein wenig enttäuscht ist, dass kein offizieller Empfang stattfinden konnte, gibt er nicht auf: «Symbolisch war es wichtig, diesen Tag in Verbindung mit unseren indischen Freunden zu organisieren. Auch um zu zeigen, dass trotz Corona die Botschaft von Jai Jagat aktueller denn je ist.»
Die Organisatoren beabsichtigen, den grossen Marsch im nächsten Jahr wieder aufzunehmen. Dann wollen sie in Genf eine Woche lang Debatten organisieren, um mit Vertreterinnen und Vertreter der indischen Ausgeschlossenen die Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu überprüfen.
Die Organisatoren sagen, sie wollten Druck auf die Vereinten Nationen ausüben, um sicherzustellen, dass selbst unter den ärmsten Menschen, wie etwa den indischen Adivasi, die Agenda kein toter Buchstabe bleibe. «Die Klimaziele sind der Überlebensplan der Menschheit,», so Joyeux.»Wir wollen einen Plan für die nächsten zehn Jahre – und er muss heute beginnen».
(übertragen aus dem Französischen von Melanie Eichenberger)
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