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Hohe Staatsschulden verhindern einen Zinsanstieg

Fed-Gebäude in Washington DC
Als die US-Notenbank zwischen 2015 und 2019 ihren Leitzins in mehreren Schritten von null auf 2.5 Prozent erhöht hat, sei das "total schiefgelaufen", meint Reto Lipp. Gebäude der Federal Reserve in Washington DC. Keystone / Jim Lo Scalzo

Reto Lipp, Wirtschaftsexperte beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), ist zu Gast im swissinfo.ch-Podcast Geldcast. Er erwartet weder in den USA noch in Europa einen baldigen Zinsanstieg. Die Staatsschulden seien dafür schlicht zu hoch.

«Die Börse hat Corona abgehakt.» Das sagt der Geldpolitik-Kenner Reto Lipp. Er arbeitet für das Schweizer Radio und Fernsehen und ist einer der einflussreichsten Wirtschaftskommentatoren der Schweiz. In seiner Rolle als Moderator der SRF-Wirtschaftssendung ECO interviewt er auch regelmässig den Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank.

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Die Erholung an der Börse sei «überraschend schnell» gegangen. Der amerikanische Börsenindex S&P 500 notiert aktuell rund 17 Prozent über dem Stand vom letzten März. Grund dafür sei die intakte Wirtschaftsstruktur, so Lipp.

Staatliche Hilfspakete stützen die Börse

Das sei aber nicht die einzige Erklärung für Corona-Börsenhausse. Dazu beigetragen haben gemäss Lipp auch die «umfassenden Fiskalprogramme» der Regierungen. Der deutsche Staat habe sich beispielsweise mit fast zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts verschuldet, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern. «Die Investoren haben sich gesagt: ‹Wenn die Regierungen uns aus der Patsche helfen, können wir ja weiter Aktien kaufen.› » Das habe die Aktienpreise stabilisiert.

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Der Börsenboom habe aber auch negative Auswirkungen: Zum einen würden die stark steigenden Aktienpreise die Vermögensungleichheit verschärfen. Zum anderen würden die immer neuen Rekordstände auf den Aktienmärkten die Finanzstabilität gefährden. Lipp nennt das die «Kollateralschäden der tiefen Zinsen».

Bei Zinsanstieg droht ein Börsencrash

Die Nebeneffekte der tiefen Zinsen liessen sich aber nicht so leicht korrigieren. Schon gar nicht durch höhere Zinsen. «Wenn es bald zu einem Zinsanstieg kommen sollte, könnte der Börsenboom in einem Crash enden», warnt Lipp.

Der Wirtschaftsjournalist geht allerdings nicht davon aus, dass es bald zu einer Zinserhöhung kommen wird. Die Zinsen anzuheben sei nämlich nicht so einfach. Als Beispiel führt Lipp die US-Notenbank Fed an. Sie hat zwischen 2015 und 2019 ihren Leitzins in mehreren Schritten von null auf 2.5 Prozent erhöht. «Total schiefgelaufen» sei das, meint Lipp. «Die Märkte haben verrückt gespielt.»

«Politisch ist eine Zinserhöhung kaum machbar»

Ebenfalls gegen eine baldige Zinswende spricht für Lipp die hohe Staatsverschuldung: Die Verschuldung sei so gross, dass die Notenbanken die Zinsen gar nicht erhöhen könnten. «Politisch ist eine Zinserhöhung kaum machbar», befürchtet Lipp. Die Politiker würden bei den Zentralbanken auf der Matte stehen und sie bitten, die Zinsen nicht zu erhöhen.

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Das würde vor allem dann zum Problem, wenn die Inflation steigen sollte. Aktuell ist das zwar kein Thema. Die Teuerung ist nämlich weltweit zu tief. Die Europäische Zentralbank möchte die Inflationsrate gerne Richtung zwei Prozent anheben. Zurzeit liegt sie bei 0,9 Prozent. Und auch die Schweizerische Nationalbank hätte die Teuerung gerne etwas höher, nämlich bei mindestens null Prozent. Momentan beläuft sie sich auf minus 0,5 Prozent.

Die Globalisierung hält die Teuerung tief

«Sollten die Inflationsraten stark steigen, bekämen die Notenbanken ein Problem.»

Lipp glaubt, dass es nach der Krise zu «etwas mehr» Inflation kommen könnte. Dann stünde plötzlich die Frage im Raum, ob die Notenbanken die Zinsen wirklich erhöhen würden. Tun sie das nicht, kann es zu einem spürbaren Preisanstieg kommen.

«Sollten die Inflationsraten stark steigen, bekämen die Notenbanken ein Problem», so Lipp. Sie sind nämlich verpflichtet, die Preise stabil zu halten. Steigende Preise führen beispielsweise dazu, dass sich pensionierte Personen mit ihrer gleichbleibenden AHV-Rente immer weniger leisten könnten.

Doch es gebe gute Gründe, jetzt nicht auf eine übermässig steigende Inflation zu wetten, so Lipp. Ein gewichtiger Faktor werde die Teuerung nämlich weiterhin tief halten: die Globalisierung.

«Die Inflation steigt nur, wenn die Löhne steigen. Die Löhne werden aber nicht steigen», zeigt sich Lipp überzeugt. Beispielsweise in Deutschland seien schlicht zu viele Leute arbeitslos. Dazu kämen die «Millionen von Arbeitern in asiatischen Ländern» die günstiger arbeiten als Europäerinnen und Europäer.

Das Fazit aus dem Geldcast-Gespräch

Kein Inflationsdruck, hohe Staatsverschuldung, und instabile Finanzmärkte. Der Wirtschaftsjournalist wagt die Prognose: «Das mit den tiefen Zinsen wird noch ein paar Jahre so weitergehen.»

Das gesamte Gespräch ist nachzuhören im swissinfo.ch GeldcastExterner Link.

AutorFabio CanetgExterner Link hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geld­politik doktoriert. Heute ist er Dozent an der Universität Neuenburg. Als freischaffender Journalist schreibt er für swissinfo.ch und die Republik. Er moderiert den Geldpolitik-Podcast «GeldcastExterner Link«.  

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