«Die tiefen Zinsen verzerren die Marktsignale»
Alexandra Janssen, CEO von ECOFIN Portfolio Solutions, ist zu Gast im Geldcast. Sie sagt: "Die Zentralbanken müssen über die Bücher." Und sie fordert mehr Eigenkapital für die Banken. Hier finden Sie die spannendsten Aussagen aus dem Gespräch.
«Das geht gar nicht!» So urteilt Alexandra Janssen über die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Janssen ist das neue Aushängeschild der liberalen Ökonomen-Szene der Schweiz.
Und sie weiss, wovon sie spricht: Als Finance-Doktorandin an der Universität Zürich hat sie sich intensiv mit der internationalen Geldpolitik auseinandergesetzt. Seit Jahren versuchen die grossen Zentralbanken der Welt, die Inflation zu erhöhen.
Autor Fabio CanetgExterner Link hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geldpolitik doktoriert. Heute ist er Dozent an der Universität Neuenburg.
Als freischaffender Journalist schreibt er für swissinfo.ch und die Republik. Er moderiert den Geldpolitik-Podcast «GeldcastExterner Link«.
«Und passiert ist hier praktisch nichts», sagt die Geldpolitik-Expertin Janssen. Die milliardenschweren Kaufprogramme der US-Zentralbank Fed und der EZB hätten schon Auswirkungen gehabt, so die 31-jährige Ökonomin, «aber nicht dort, wo die Zentralbanken den Effekt haben wollen».
Tatsächlich lag die Inflation in den USA im Durchschnitt der letzten zwölf Jahre bei 1,7 Prozent pro Jahr – und damit unter dem Zielwert von zwei Prozent. Noch tiefer war in dieser Zeit die Teuerung in der Eurozone, nämlich bei 1,2 Prozent.
Janssen fordert deshalb ein Umdenken: Mit der Tiefzinspolitik würden die Zentralbanken nämlich die Märkte verzerren. «Die tiefen Zinsen haben negative Auswirkungen auf die Wirtschaft.»
Für Janssen ist deshalb klar: «Die Zentralbanken sollten ihre expansive Geldpolitik zurückfahren, um die Märkte nicht weiter mit ihren Interventionen zu verzerren.»
Zentralbanken finanzieren die Staaten
Absehbar ist ein solches Szenario allerdings nicht. In den USA hat der Vorsitzende der US-Zentralbank Fed, Jerome Powell, erst vor Kurzem versprochen: Die Zinsen bleiben bei null, bis die Inflation für längere Zeit über zwei Prozent liegt.
Hier gehts zum Geldcast mit Alexandra Janssen:
So fliesst weiterhin billiges Geld in die Finanzmärkte, wo die Börsenkurse immer neue Höchststände erreichen. Janssen spricht von einer «Inflation der Vermögenspreise».
Doch das neu gedruckte Geld fliesse nicht mehr nur in die Finanzmärkte, sondern auch an die Staaten, so die Geschäftsführerin von ECOFIN Portfolio Solutions. «Die Neuverschuldung in den USA und in Europa wurde während der Coronakrise durch die Zentralbanken finanziert.» Heute sei die EZB der grösste Gläubiger der Eurostaaten. Das findet die Finanzmarkt-Kennerin Janssen problematisch.
Das Risiko von grossen Zentralbankbilanzen
Der Grund: Die Staaten werden so abhängig von den günstigen Zinskosten. Irgendwann müsse die Geldpolitik aber wieder normalisiert werden, sagt Janssen. Für sie bedeutet das zwei Sachen:
Erstens müsse die Geldmenge reduziert werden. Das sei wichtig, weil die grossen Zentralbanken-Bilanzen ein politisches Risiko für die Unabhängigkeit der Notenbanken bergen. Je mehr Geld die Zentralbanken schaffen, desto stärker geraten die Anlagen der Währungshüter in den Fokus der politischen Diskussionen.
In der Schweiz wurde beispielsweise im letzten Jahr darüber abgestimmt, ob die Nationalbank ihr Geld in Firmen investieren darf, die Kriegsmaterialien produzieren.
Aus diesem Grund sollten die Zentralbanken möglichst «marktneutral» investieren, findet Janssen. Das bedeutet, dass die Zentralbanken breit anlegen und nicht einzelne Sektoren für ihre Investitionen auswählen. Janssen gibt aber zu: «Was Marktneutralität genau bedeutet, ist eine grosse Frage.» Zentralbanken können nämlich nur in Firmen investieren, die an der Börse gehandelt werden. Die lokale Bäckerei bleibt dabei auf der Strecke.
«Auch wenn man sich viel Mühe gibt, marktneutral anzulegen, wird nie ganz gelingen.» Das zeigt für Janssen: Die Zentralbankenbilanzen müssen so bald wie möglich verkleinert werden.
Die Banken brauchen mehr Puffer
Zweitens müssten bei einer geldpolitischen Kehrtwende die Zinsen steigen. «Das sollte idealerweise aber nicht zu schnell passieren», warnt sie. Der Grund: «Wenn die Zinsen steigen, gibt es bei den Geschäftsbanken ein grosses Verlustrisiko.»
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Damit können die Banken nur umgehen, wenn sie genug Eigenkapital-Puffer haben. «Eigenkapital ist zwar teuer, bringt aber viel Sicherheit», sagt die Finanzexpertin. Sie ist der Meinung, dass die Banken mehr Eigenkapital halten sollten als heute.
Warum engagiert sich Janssen in dieser Debatte? Sie sagt: «Gerade in der Schweiz können wir uns alle für ein Thema einsetzen. In der Geldpolitik ist das zwar schwierig, aber auch hier braucht es Meinungen.» Und die vertritt sie. Kompetent, prägnant und verständlich.
Das gesamte Gespräch ist nachzuhören im swissinfo.ch-GeldcastExterner Link.
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