Genom-Editing: Die wichtigsten Fakten
Immer mehr Menschen weltweit hungern. CRISPR-Cas9 könnte helfen. Was ist an dieser Gen-Technologie dran? Und warum ist sie umstritten?
Wie kann die Weltbevölkerung in Zukunft ernährt werden? Immer mehr Menschen leben auf unserem Planeten, zugleich spüren wir vermehrt die negativen Auswirkungen des Klimawandels. Vor allem Bäuerinnen und Bauern in südlichen Weltregionen, die einen Grossteil unserer Grundnahrungsmittel produzieren, stehen unter Druck.
Es sind Pflanzensorten gefragt, die einen schnellen Ertrag liefern und den extremen Wetterereignissen sowie Schädlingen trotzen können. So genanntes Genom-Editing könnte die Lösung sein. Es gibt starke Befürworter:innen wie auch starke Gegner:innen der Technologie. Was steckt hinter der Debatte um CRISPR-Cas9 und was sagen die wissenschaftlichen Fakten?
Was ist Genom-Editing und wie wird es in der Landwirtschaft eingesetzt?
Beim Genom-Editing wird die DNA von lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren und Menschen verändert. Züchter:innen verändern schon lange das Erbgut von Pflanzen, um neue, verbesserte Sorten zu kreieren, aber die jüngsten technologischen Fortschritte ermöglichen es, das Genom eines Organismus schneller, günstiger und genauer zu modifizieren.
Ein Werkzeug dafür ist CRISPR-Cas9Externer Link (clustered regularly interspaced short palindromic repeats and associated protein 9). Es wurde 2012 Externer Linkentdeckt und funktioniert wie eine Schere, welche die DNA an bestimmten Stellen durchschneidet.
Damit können sehr präzise Änderungen an den Eigenschaften einer Pflanze vorgenommen werden. Diese Anpassungen reichen von der Farbe und Grösse eines Gemüses oder einer Frucht, über den Nährstoffgehalt bis hin zur Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und Pestiziden.
Andere gängige Technologien für die Genom-Editierung sind so genannte ZFNs (Zinkfinger-Nuklease) und TALENs (Transkriptionsaktivator-ähnliche Effektornukleasen).
Expert:innen streiten zur Frage, wie Genom-Editing und CRISPR-Cas9 klassifiziert und gekennzeichnet werden sollen. Die Europäische Union verwendet den Begriff «neue GenomtechnikenExterner Link«, um diese Technologien zu umschreiben, die ab 2001 entstanden sind.
Was ist der Unterschied zwischen genom-editiertem und gentechnisch verändertem Saatgut?
Bei der traditionellen Züchtung werden Pflanzen über mehrere Generationen hinweg identifiziert, ausgewählt und «gekreuzt», um ihre Eigenschaften zu verbessern. Dies hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt und ist etwa durch die Verwendung von Genomsequenzierung effizienter geworden.
Bei der Genom-Editierung mit CRISPR-Cas9 kann die DNA einer Sorte ins Erbgut einer anderen eingefügt werden, zum Beispiel von einer Wildkartoffel in eine gezüchtete Kartoffel. Es kann aber auch artfremdes Erbgut eingefügt werden, zum Beispiel das eines Insekts. Das Ergebnis ist ein so genannter genetisch veränderter Organismus (GVO).
Die EU Externer Linkdefiniert GVO als Organismen, bei denen die DNA in einer Weise verändert wurde, «die auf natürliche Weise nicht auftritt». Bei den in den 90er-Jahren entwickelten GVO wurden noch andere, weniger präzise Methoden angewandt als bei den neuen Genom-Editing-Werkzeugen wie CRISPR-Cas9.
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Warum ist Genom-Editing so umstritten?
Die Debatte kreist um potenzielle Vorteile und Risiken des Genom-Editing für die menschliche Gesundheit und die Umwelt.
Die Befürworter:innen, die grösstenteils aus der Saatgutindustrie stammen, behaupten, dass die Technologie lediglich beschleunigt, was bereits in der Natur oder durch traditionelle Züchtungsmethoden geschieht, und dass die Risiken daher minimal sind. Sie argumentieren auch, dass Werkzeuge wie CRISPR-Cas9 präziser sind als frühere gentechnische Verfahren, so dass weniger Gefahr besteht, dass ein nützliches Gen beim Veränderungsprozess zerstört wird.
Kritiker:innen ihrerseits sind der Meinung, dass das Genom-Editing eine Reihe von Veränderungen hervorrufen kann, die Risiken für die biologische Vielfalt, das Wasser und den Boden, die menschliche Gesundheit und die ökologische Lebensmittelproduktion mit sich bringen.
Einige sind besorgt, dass solche Pflanzen natürliche Arten verdrängen und breite Monokulturen schaffen könnten, was wiederum verheerende Auswirkungen auf die Ökosysteme haben könnte. Viele argumentieren auch, dass viele Risiken noch völlig unbekannt sind.
Es stellen sich daher viele ethische und soziale Fragen: Wann und wo soll die Technologie eingesetzt werden? Und wer soll Zugang haben?
Wie sieht es mit der Regulierung von genom-editiertem Saatgut und Lebensmitteln aus?
Die Regulierungslandschaft ist in BewegungExterner Link, da die technologische Entwicklung und die Sorge um den Klimawandel viele Staaten dazu veranlassen, ihre Politik in Bezug auf die Gentechnik anzupassen. Die Vorschriften beeinflussen die Anforderungen an Sicherheitskontrollen und die Frage, ob genom-editierte Produkte anders gekennzeichnet werden sollten.
Sowohl die USA als auch Kanada haben beschlossen, Genom-Editing nicht zu regulieren, wenn die genetische Veränderung auch mit herkömmlichen Methoden hätte vorgenommen werden können. Das bedeutet, dass genom-editierte Pflanzen nicht den GVO-Sicherheitsprotokollen und Kennzeichnungsvorschriften unterliegen. Grossbritannien hat letztes Jahr eine ähnliche Haltung eingenommen. Brasilien und Argentinien behandeln Genom-Editing-Pflanzen wie konventionelle Pflanzen, sofern sie keine Fremd-DNA enthalten.
In Japan müssen genom-editierte Nutzpflanzen registriert werden, aber sie müssen keine Sicherheits- oder Umwelttests durchlaufen. Im Dezember 2020 gab die Regierung grünes Licht für den Verkauf einer genom-editierten TomatensorteExterner Link.
In China galten bislang strenge Beschränkungen für die Einfuhr und den Anbau von GVO. Um die Saatgutindustrie umzugestalten und die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen, kündigte die Regierung jedoch jüngst Änderungen der Vorschriften an, die den Weg für eine breitere Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen ebnen.
Zugleich sollen in Kürze Vorschriften erlassen werden, welche es ermöglichen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen die langwierigen Feldversuche, die sonst eigentlich vorgeschrieben sind, überspringen können. China investiert stark in diese Technologie, aber bislang wurden dort noch keine genom-editierten Pflanzen auf den Markt gebracht.
Russland interessiert sich ebenfalls stark fürs Genom-Editing und hat angekündigt, dass genom-editierte Pflanzen, bei denen keine fremde DNA eingefügt wird, von einem 2016 eingeführten Gesetz, das den Anbau von GVO verbietet, ausgenommen werden könnten. 2019 startete die Regierung ein 1,7-Milliarden-Dollar-Programm, um in den nächsten zehn Jahren 30 gentechnisch veränderte Pflanzen- und Tierarten zu entwickeln.
Die Schweiz ist bisher der EU gefolgt, die genom-editierte Organismen 2001 unter die GVO-RichtlinieExterner Link gestellt hat. Dies wurde durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2018 gestützt. Die Begründung: Das Genom-Editing habe in der Vergangenheit keine sichere Anwendung gefunden. Im April 2021 nahm die Europäische Kommission in einer Studie aber eine positivere Haltung gegenüber der Technologie ein und empfahl eine Anpassung der Rechtsvorschriften an den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt.
Im vergangenen Dezember stimmte der Ständerat Externer Linkdafür, genom-editierte Pflanzen vom GVO-Moratorium auszunehmen. Einige Politiker:innen forderten jedoch weitere Sicherheitsnachweise, bevor sie eine endgültige Entscheidung treffen.
Gibt es bereits genom-editierte Lebensmittel auf dem Markt?
Bisher sind nur eine Handvoll genom-editierter Produkte auf dem Markt erhältlich: Eine Sojabohne mit einem besseren Fettsäureprofil ist das erste kommerzielle Produkt in den USA (entwickelt mit TALEN), und in Japan kam im September 2021 eine mit Gamma-Aminobuttersäure angereicherte Tomate (entwickelt mit CRISPR) in den Handel.
Die Forscher:innen arbeiten an vielen anderen Gemüse- und Obstsorten, darunter ein weisser Champignon, der nicht braun wird, kernlose Tomaten, herbizidresistenter Raps, besonders stärkehaltige Kartoffeln, Kakao, der gegen Pilz- und Viruserkrankungen resistent ist, und süssere Erdbeeren mit längerer Haltbarkeit.
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(Bearbeitet von Nerys Avery, übersetzt aus dem Englischen von Christoph Kummer)
Übersetzt aus dem Englischen von Christoph Kummer
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