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Wie die Nationalbank den Reichtum der Schweizer verwaltet

Warum die Renten der Alten die Mieten für Junge unerschwinglich machen

Hausabbruch
Mit einer Autobahn-Überdeckung wird ein Zürcher Quartier aufgewertet. Dafür müssen günstige Wohnungen weichen. © Keystone / Gaetan Bally

Schweizer Pensionskassen investieren unter Anlagedruck wie verrückt in Immobilien, weil diese als sicher und rentabel gelten. Das verteuert den Wohnraum. In der Schweiz, Deutschland und Österreich wehren sich verzweifelte Einwohner mit Volksbegehren.

Der Boden im Schweizer Mittelland ist knapp. Wohnungen und Häuser sind teuer, vor allem in den Städten. Die junge Generation kann sich ohne Unterstützung der Eltern kaum ein Eigenheim leisten.

Auch die Mieten in den Zentren sind für viele unerschwinglich, so dass Ärmere in die Agglomerationen gedrängt werden. Man spricht von Gentrifizierung.

Gentrifizierung

Seit der Jahrtausendwende gibt es in der Schweiz eine Rückwanderungsbewegung der Mittel- und Oberschicht aus den privilegierten Vororten in die Innenstädte. Dadurch werden ärmere Schichten aus den Stadtvierteln verdrängt, was als Gentrifizierung bezeichnet wird. Als Ursache ausgemacht wird das gesteigerte Interesse an einem urbanen Leben. Der Begriff Gentrifizierung entstand in den 1960er-Jahren in Grossbritannien und leitet sich vom Wort «gentry» für niederen Adel ab.

Quelle: Historisches Lexikon der SchweizExterner Link

Weil die Nachfrage nach Wohnraum in Schweizer Städten und Ballungszentren das Angebot bei Weitem übersteigt, gelten Immobilien sowie Immobilien-Wertpapiere als sichere und lukrative Anlage. Zahlreiche Investoren setzen im grossen Stil auf «Betongold», da im Tiefzinsumfeld mit normalen Anleihen wenig Geld zu machen ist. Dies wiederum führt zu immer weiter steigenden Immobilienpreisen.

Warum Altersrenten Wohnraum unerschwinglich machen

Und was hat Gentrifizierung nun mit den Altersrenten zu tun? Eine ganze Menge.

In der Schweiz wird jedem Angestellten vom Lohn automatisch ein Beitrag abgezogen, der in eine obligatorische private Versicherung einbezahlt wird. Diese Pensionskassen legen das Geld an, so dass es sich vermehrt. Später bekommt der Angestellte das Geld in Form einer Rente oder als Kapital für das Alter zurück.

Pensionskassen sind verpflichtet, das Geld sicher anzulegen. Sie investieren daher mit Vorliebe in den Immobilienmarkt. Wegen des «Zwangssparens» ist viel Kapital vorhanden.

Schweizer Pensionskassen stünden besonders unter Anlagedruck, bestätigt Thorsten HensExterner Link, Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich. «Länder mit kapitalbasierten Pensionskassen wie die Schweiz oder die Niederlande haben tendenziell auch deshalb höhere Immobilienpreise als Länder im Umlageverfahren wie beispielsweise Deutschland.»

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Damit Immobilien rentieren, wird teuer gebaut. Bestehende Immobilien werden luxussaniert – so können höhere Renditen erzielt werden. So sind auf dem Schweizer Markt immer mehr Immobilien mit gehobenem Ausbaustandard zu finden.

Verkürzt lässt sich sagen: Mit dem Geld für die Altersrenten wird der Wohnraum für die Jungen verteuert. Weil das Mietrecht vor Mietzinserhöhungen schützt, wird eine Wohnung relativ gesehen immer günstiger, je länger man drin wohnt. Also verfügen Ältere tendenziell eher über eine bezahlbare Wohnung als Jüngere.

Umgekehrt lässt sich sagen: Wenn Pensionskassen in überteuerte Immobilien investieren, welche sich junge Mieter und Mieterinnen gar nicht leisten können, setzen sie die Renten für die (zukünftigen) Alten aufs Spiel.

Kommt bald der Crash?

Wegen des hohen Anlagedrucks wurde in der Schweiz viel gebaut. Allerdings vor allem dort, wo es noch Platz gab: In den Agglomerationen und auf dem Land. Nicht unbedingt dort, wo die meisten Menschen wohnen wollen. «Es gibt in der Schweiz, wie auch weltweit, seit Jahren eine ‹Flucht› in die Zentren», sagt Hens. «Ich denke nicht, dass sich diese alsbald umkehrt, da die Bewohner weniger auf Ruhe als mehr auf Angebote an Dienstleistungen wie Schulen, Krankenhäuser, Freizeit etc. achten.»

Die durch Mieterträge erzielten Renditen sind seit einigen Jahren leicht rückläufig. Doch dieser Effekt wird durch Wertzunahmen kompensiert. Dies würde sich erst ändern, wenn die Zinsen steigen – was im Moment nicht absehbar ist.

«Falls die Zinsen mal wieder steigen, werden dadurch die ländlichen Gebiete mehr betroffen sein», meint Hens. Laut UBS-Bubble IndexExterner Link ist der Immobilienmarkt in der Schweiz überhitzt. Doch Hens vermutet: «Solange es keinen Schock durch plötzliche Änderung der Rahmenbedingungen gibt, wird die Blase nicht platzen.» 

Das hatten wir doch schon mal!

Das alles mag dem einen oder anderen Leser aus der Fünften Schweiz seltsam bekannt vorkommen. Tatsächlich hatten wir das alles schon einmal in ähnlicher Form: Im Jahr 1985 wurde in der Schweiz das Pensionskassenobligatorium eingeführt. Das brachte neue Investoren mit viel Kapital auf den Markt. Gleichzeitig vergaben die Banken locker Hypotheken. Also wurde in Immobilien investiert. Wegen der Zuwanderung und des knappen Bodens in der Schweiz rechnete niemand mit einer Trendwende.

Aber sie kam: 1989 erhöhte die Schweizer Nationalbank den Diskontsatz und der Bundesrat beschloss Massnahmen gegen Immobilienspekulation. Zudem wurden Regeln für Pensionskassen eingeführt, wie sie ihr Geld zu investieren haben. Die Hypothekarzinsen stiegen.

Anfangs der 1990er-Jahren platzte deshalb die Immobilienblase: Banken kollabierten und die Schweiz durchlebte deprimierende Jahre der Rezession und Immobilienkrise.

Was unterscheidet die Schweiz von anderen Ländern?

Gentrifizierung ist ein globales Phänomen. Doch es gibt einige Aspekte, in denen die Schweiz sich von anderen Ländern unterscheidet.

In London und Manhattan beispielsweise stehen viele Luxuswohnungen leer, weil die Eigentümer – meist ausländische Firmen – auf eine Wertsteigerung spekulieren, welche die entgangenen Mieteinnahmen überkompensiert.

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Zwar steht auch in der Schweiz die eine oder andere Luxuswohnung leer, weil sie keinen Käufer oder Mieter findet. Aber in der Schweiz gibt es Gesetze, die vor Immobilienspekulation schützen. Zum Beispiel sind die Grundstückgewinnsteuern höher, je schneller man eine Immobilie weiterverkauft. Und die sogenannte Lex KollerExterner Link verhindert, dass Ausländer im grossen Stil Immobilien kaufen können, ohne sie selbst zu bewohnen.

In anderen Ländern – beispielsweise Italien – treiben auch Kriminelle die Immobilienpreise in die Höhe, weil diese mit Immobilienkäufen illegale Gelder waschen. Zwar wird laut Hens das Geldwäschereigesetz in der Schweiz streng gehandhabt. Dennoch werden auch hierzulande Fälle publik. So soll ein bulgarischer Drogenhändler Geld aus dem Handel mit mehreren Tonnen Kokain in Immobilien unter anderem in Montreux und Genf reinvestiert haben.

Bevölkerung wehrt sich mit Mitteln der direkten Demokratie

Doch es rumort in der Volksseele. Bereits 1988 – vor dem Platzen der Immobilienblase – wurde in der Schweiz über eine Volksinitiative gegen BodenspekulationExterner Link abgestimmt, die den Erwerb von Grundstücken nur zum Eigengebrauch oder zur Bereitstellung preisgünstigen Wohnraums erlauben wollte. Grundstückerwerbe zu Zwecken reiner Kapitalanlage wären verboten gewesen. Die Stimmbevölkerung lehnte das Begehren ab.

Voraussichtlich im Februar 2020 wird in der Schweiz über die WohninitiativeExterner Link des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands abgestimmt. Die Initiative verpflichtet den Staat, das Angebot an preisgünstigen Mietwohnungen zu fördern. Mindestens 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen sollen im Eigentum von Genossenschaften und anderen Trägern des gemeinnützigen Wohnungsbaus stehen. Die Initiative schreibt zudem vor, dass Programme der öffentlichen Hand zur Förderung von Sanierungen nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führen dürfen.

Laut Mieterinnen- und Mieterverband würde der knappe Wohnraum damit der Spekulation und dem Renditedruck entzogen. «Energetische Sanierungen sind wichtig, doch eine Subventionierung von Luxusumbauten darf nicht sein», schreiben die Initianten auf der Website.

Eine Wienerin lancierte die Europäische Bürgerinitiative «Housing for allExterner Link«, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Die Petition fordert mit dem Slogan «Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Handelsware» bessere EU-Gesetze für mehr bezahlbaren und gemeinnützigen Wohnbau in Europa.

Und in Berlin wird über ein Volksbegehren debattiert, das Wohnungen von grossen Immobilienkonzernen kommunalisieren, sprich enteignen will.

Hens hält nichts von diesen Volksbestreben: «Enteignungen sind dummer Populismus. Die Leute, die sowas fordern, verstehen nicht, dass sie damit das Angebot weiter verknappen.»

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