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Schweizer Firma des meistgehassten Mannes der USA unter Beschuss

Martin Shkreli in Begleitung seiner Anwälte während eines Prozesses in New York, 31. Juli 2017. Keystone / Andrew Gombert

Indem er den Preis für sein Spitzenmedikament um fast 6000% erhöht hatte, machte sich Martin Shkreli zum meistgehassten Mann der USA. Nun sieht er sich mit mehreren Gerichtsverfahren konfrontiert. An vorderster Front dabei: Seine Schweizer Firma Phoenixus AG.

Das Gefängnis hat den meistgehassten Mann der USA nicht mundtot gemacht. Bekanntschaft erreichte Martin Shkreli damit, dass er den Preis für das Toxoplasmose-Medikament Darprim von 13 auf 750 Dollar pro Pille erhöht hat. Doch erst wegen Betrugs mit seiner Firma Retrophin wurde er 2018 schliesslich zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Mai 2020, mitten in der Pandemie, bittet der Financier scherzhaft um eine bedingte Entlassung, um ein Mittel gegen Covid-19 zu entwickeln – die Justiz lehnt ab, mit dem berechtigten Hinweis, dass er keinen wissenschaftlichen oder medizinischen Abschluss habe.

Dabei beschäftigen Shkreli, der auch die Schweizer Biotechfirma Phoenixus AG mit Sitz in Baar und deren Tochtergesellschaft Vyera Pharmaceuticals LLC in Delaware gegründet hat, noch ganz andere Probleme. Vyera zielte wie Retrophin auf die Entwicklung von Wirkstoffen gegen seltene oder vernachlässigte Krankheiten ab.

Zusätzlich zu einer Klage der New Yorker Staatsanwaltschaft und der Federal Trade Commission wegen wettbewerbswidriger Praktiken sowie einer Beschwerde, die kürzlich von der Versicherung Blue Cross eingereicht wurde, eröffneten Phoenixus-Aktionäre und Aktionärinnen nun eine neue rechtliche Front.

Der beschlagnahmte Maserati

Eine der klagenden Aktionärinnen ist die Schweizerin Sabine Gritte, die rund eine Million Dollar in das Unternehmen investiert hat. Die Genferin ist Gründerin der Boutique Bibi Gritte, die in Genf und Gstaad präsent ist.

Unter den Klägern und Klägerinnen befinden sich auch zwei französische Geschäftsleute. Antoine Verglas ist französischer Staatsbürger mit Wohnsitz in New York. 2015 hat er 600’000 Dollar in die Phoenixus AG investiert. Der zweite, Betrand des Pallières, ist über seinen Fonds SPQR Capital (Cayman) Limited in das Verfahren involviert. 2015 erwarb er Anteile für rund 1,2 Mio. Dollar.

Des Pallières sorgte 2007 in der britischen Presse für Schlagzeilen, weil er seinen Maserati drei Monate lang auf dem Londoner Abschlepphof stehen liess: Er war «zu beschäftigt», um ihn abzuholen. Es scheint, als hatte die Phoenixus AG in zu dieser Zeit eine höhere Priorität als sein Luxusauto.

Zusammen mit anderen Klägerinnen und Klägern wirft er Phoenixus und vier ihrer Führungskräfte vor, über die finanzielle Situation des Unternehmens gelogen und das Kapital zum eigenen Vorteil veruntreut zu haben. All dies wurde angeblich von Shkreli vorangetrieben, der das Geschehen aus der Gefängniszelle weiterhin diktiert haben soll. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Geschädigte Minderheitsaktionäre

Die Klägerinnen und Kläger heben hervor, dass die Unternehmen im Jahr 2018 in die VIEs (Variable Interest Entities) Orphan Stars Therapeutics LLC und Dermelix Biotherapeutics investiert haben. Diese Finanzvehikel, die unabhängig von den Beteiligungen der Aktionäre an der Hauptgesellschaft sind, ermöglichen es oft, Geld zu sparen, um z.B. Forschung und Entwicklung zu betreiben, auch wenn die Leistung eines Unternehmens nicht so hoch ist wie erwartet.

Im Falle von Phoenixus sei diese Strategie jedoch dazu benutzt worden, das Kapital des Unternehmens auf Kosten der Minderheitsaktionäre zu verschieben. In den Finanzstatuten 2018 und 2019 wurden tatsächlich keine Angaben über die Struktur dieser VIES, ihren Zweck oder ihre Aktivitäten gemacht.

In der Anklage heisst es: «Shkreli muss als Folge seiner Verurteilung Vermögenswerte, zu denen auch seine Anteile an Vyera gehören könnten, an die Regierung abtreten (…). Infolgedessen hatte Shkreli ein Motiv, das Vermögen von Vyera abzuschöpfen, bevor seine Aktien verfallen. Zum Zeiptunkt der Erstellung dieses Dokuments hat die Regierung die Einziehung nicht vollzogen.» Der Financier schuldet den Bundesbehörden mehr als sieben Mio. Dollar.

Peter Nobels Expertise

Kurz vor Einreichung ihrer Klage erfuhren die Aktionärinnen und Aktionäre, dass sich die Zusammensetzung des Pheonixus-Verwaltungsrats geändert hatte – zu Gunsten Shkrelis. Diese Information war wahrscheinlich der Auslöser für ihre Klage. Sie fordern, dass Phoenixus und Vyera formell geprüft und unter unabhängige Kontrolle gestellt werden, die Informationen über die VIEs veröffentlicht werden, die Angeklagten die Gehälter und Boni, die sie von der Firma erhalten haben, zurückzahlen und die Firma Schadenersatz erhält, dessen Höhe im Prozess festgelegt wird.

Die Verteidigung berief sich ihrerseits auf die Expertise von Peter Nobel, einem Schweizer Anwalt und Wirtschaftsrechts-Experten. In seinem Bericht kommt er zum Schluss, dass die Schweizer Gerichte besser geeignet wären, einen solchen Streitfall zu beurteilen, da Phoenixus eine Gesellschaft nach Schweizer Recht ist.
 

Quellen: 
Supreme Court of New York, 23/11/2020 Externer Link
Affirmation of Prof. Dr Peter NobelExterner Link 

Gotham City

*Gotham CityExterner Link wurde von den investigativen Journalisten Marie Maurisse und François Pilet gegründet und ist ein Newsletter zum Thema Wirtschaftskriminalität.

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