Geschichten im Kopf, Geschichte in den Adern
Ihr italienischer Grossvater rettete einst Titos Leben. So hatte es die junge Zora als Kind immer wieder gehört. Und doch setzt die Schweizer Autorin Zora del Buono nun dessen Frau, ihrer kämpferischen slowenischen Grossmutter, ein literarisches Denkmal.
Zora del Buono hat sich als Autorin bereits einen Namen gemacht, mit poetischen Texten für das Mare-Magazin und ihre Büchern gleichermassen. Insbesondere ihre 2015 erschienene Novelle «Gotthard», die an einem einzigen Tag während des Baus des Gotthard-Basistunnels spielt, begeisterte deutsche und Schweizer Kritiker. In ihrem jüngsten Roman «Die Marschallin» geht sie nun ihrer hochpolitischen Familiengeschichte auf den Grund.
Die Marschallin, das ist ihre slowenische Grossmutter Zora del Buono, nach der die Autorin benannt ist: Als junge Frau folgte die willensstarke junge Frau dem italienischen Radiologen Pietro del Buono vom slowenischen Bovec aus in dessen Heimat nach Bari.
Dort bekommt sie drei Söhne und zieht dort fortan die Fäden, bewundert und gefürchtet zugleich. «Die ganze Familie hat sich um sie gedreht», erinnert sich die Enkelin. «Aber an ihr sind auch Menschen zugrunde gegangen.»
Titos Lebensretter?
Ihre Grosseltern waren Salonkommunisten, die von ihrer Villa in Süditalien aus mit hohem Einsatz den Partisanenkampf gegen die von Mussolini angeführten Faschisten unterstützen. Auch Antonio Gramsci, Gründer der Kommunistischen Partei Italiens, zählte zu ihren Freunden. Das ist belegt. Doch was ist dran an der Erzählung, ihr Grossvater habe durch seinen Rat vermutlich Titos Leben gerettet?
Er riet dem jugoslawischen Volkshelden, sich nicht in Moskau operieren zu lassen, wie es die russischen Parteigenossen vorschlugen. Vielleicht wollten sie den abtrünnigen West-Kommunisten Tito so aus dem Weg räumen? Vielleicht wäre er nie aus der Narkose erwacht.
Geschichte Sloweniens und Italiens
Die vertrauten Gespräche und Treffen Titos mit dem Arzt del Buono gab es in der Tat. Die Autorin hat sie mithilfe von Titos Biographen akribisch recherchiert, so erzählt sie bei einem Gespräch in einem Berliner Café. Und so fliessen in ihrem Buch die politische Geschichte Sloweniens und Italiens im 20. Jahrhundert mit einer überaus spannenden und persönlichen Familienchronik ineinander – grosse Geheimnisse und Drama inklusive.
Persönlich auch deshalb, weil die 1962 in Zürich geborene Zora del Buono im Zuge der Recherche viel über ihren früh verstorbenen Vater Manfredi erfuhr. Der jüngste Sohn der «Marschallin» kam als junger Radiologe in die Schweiz und lernte dort Zora del Buonos Mutter kennen, eine Aargauerin, die mit 14 ihr Elternhaus verlassen hatte um in Zürich Röntgenassistentin zu werden. Es war eine grosse Liebe, doch das Glück währte nicht lang.
Nur acht Monate nach der Geburt der Tochter verunglückte der erst 33-Jährige tödlich in einem durch einen Raser verursachten Autounfall. Zora del Buono kennt ihren Vater folglich nur aus Erzählungen und Bildern, in ihrem Buch erweckt sie ihn zum Leben, als sympathischen und lebensfrohen jungen Mann.
«Ich bin ihm dadurch näher gekommen.» Mit ihrer Mutter wuchs sie in Zürich auf und in ihren ersten Lebensjahren auch in Bari bei der Familie ihres Vaters, in jener Villa, die auch der Fixpunkt ihres Buches ist.
Mitbegründerin von «Mare»
Vielleicht war es etwas von dem rebellischen Geist ihrer Grossmutter in ihr, der die Enkelin Zora 1987 nach Berlin führte. Zürich war der jungen Architekturstudentin zu eng geworden. Seither lebt sie in Deutschland und wohnt in einer grossen Wohngemeinschaft in Berlin-Kreuzberg. In der kommt zeitweise auch ihre Mutter aus Zürich unter, die mehr und mehr auf die Unterstützung ihrer Tochter angewiesen ist.
Auch ihre Mutter, betont Zora del Buono, sei zeitlebens eine starke Frau gewesen. Nach dem Tod ihres Mannes holte sie alleinerziehend in Zürich ihr Abitur nach und studierte Kunstgeschichte. «Sie war die einzige Schwiegertochter, die von der strengen Marschallin akzeptiert wurde.»
Es war dem Zufall geschuldet, dass aus der Architektin Zora del Buono in Berlin eine erfolgreiche Autorin wurde: Das war 1997, ihr enger Zürcher Schulfreund Nikolaus Gelpke, mittlerweile Meeresbiologe in Kiel, hatte die Idee, eine Art «Spiegel» für Meeresfreunde auf die Beine zu stellen. Zora del Buono schlug vor, sich stattdessen am Kulturmagazin DU anzulehnen: So entstand «Mare, die Zeitschrift der Meere». «Damals hatte keiner von uns Ahnung vom Journalismus», erinnert sie sich lachend.
Mare wurde zum Erfolgsprojekt. Auch 142 Ausgaben später gehen die Ideen nicht aus. Glänzend geschriebene Essays und Reportagen führen die Leser zu geheimnisvollen Orten und interessanten Menschen an und auf den Meeren der Welt.
«Ich fühle mich gerne fremd»
In den Anfangsjahren war Zora del Buono Mitglied der Chefredaktion, mittlerweile nimmt sie sich zwischendurch den Freiraum, ihre Bücher zu recherchieren und zu schreiben. Ansonsten fährt die 57-Jährige für Mare durch die Welt oder auch mal auf Containerschiffen mit.
«Dabei bin ich gar kein Wassermensch», erzählt sie beim Spazierganz durch den Park mit ihrem kleinen schwarzen Hund Mica, einer lebhaften sizilianischen Mischung. Meist reist sie allein, manchmal in Begleitung ihres Hundes. Kein Problem, sondern ein Wunschzustand: «Ich fühle mich gerne fremd», sagt sie. Ja, sie liebe gar die Einsamkeit des Fremdseins.
Schwäne füttern am Zürichsee
Auch um näher bei ihrer Mutter zu sein, verbringt sie seit einigen Jahren mehr und mehr Zeit in Zürich. Dort hat sie nach den Jahrzehnten in Berlin auch wieder eine kleine Wohnung gemietet. Es waren wilde und gute Jahre in Berlin, von denen sie lebhaft erzählt. Nächte in schrägen Bars, endlose Gespräche an Küchentischen, die Tage als Bauleiterin in einem Architekturbüro, wo sie nach ihrem Studium ihr Geld verdiente.
Doch nach der Wiedervereinigung und der folgenden Gentrifizierung hat die Stadt für sie viel an Reiz eingebüsst. Sie vermisst die Brüche, die Subkultur und das ganz und gar Unbürgerliche, das sie einst in die damals noch geteilte Stadt zog.
Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung ist Berlin in ihren Augen so zahm geworden, dass auch Zürich wieder mithalten könne. Denn ihre Heimatstadt habe sich in die entgegengesetzte Richtung entwickelt, sei so viel spannender und vielfältiger als während ihre Kindheit und Jugend. «Ich finde es heute super dort, ausser dass es zu viel Geld gibt.»
Entspannter sei Zürich allemal, auch das schätzt sie mittlerweile. Wer weiss, wohin das Leben sie noch treibt: «Vielleicht sitze ich im Alter am Zürichsee und füttere Schwäne. Mit Hut». Sagt sie und lacht.
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