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Sie kämpft für das Leben in Somaliland

Edna Adan Ismail hat ihr ganzes Geld in den Aufbau eines Spitals gesteckt. Sarah Hunter

Kämpferin, Karrierefrau, Aktivistin: Edna Adan Ismail hat in Somaliland, am Horn von Afrika, ein Spital gegründet. Strukturelle Unterstützung erhielt sie dafür von der Schweiz. Die Hebamme und ehemalige Ministerin hat sich zum Ziel gesetzt, das Gesundheitssystem in ihrem Land zu verbessern. Die Kinder- und Müttersterblichkeit Somalilands gehört zu den höchsten weltweit.

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«Wenn in meinem Spital ein Mann es ablehnt, dass seine Frau einer Operation unterzogen wird, die ihr das Leben retten könnte, rufe ich die Polizei. Danach verlange ich vom Ehemann, dass er in Anwesenheit des Polizisten eine Erklärung unterschreibt, in welcher er in Kauf nimmt, dass seine Frau stirbt», sagt die 78-jährige Edna Adan Ismail. swissinfo.ch traf die ehemalige Ministerin für auswärtige Angelegenheiten und Soziales kürzlich an der Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Basel.

Edna Adan Ismail gilt als erste Frau Somalias, die im Vereinigten Königreich studiert hat, sowie als erste Krankenschwester und qualifizierte Hebamme ihres Landes. Nach ihrem Rücktritt hat sie das «Hôpital Maternité Edna Adan» in Hargeysa im Norden Somalilands gegründet.

«Ich habe mein ganzes Geld investiert»

Die stabile politische Lage in der selbsternannten Republik hat nicht verhindern können, dass die Mütter- und Kindersterblichkeit einen Rekordwert erreicht hat. Dafür verantwortlich ist insbesondere der Bürgerkrieg, der das Land zugrunde gerichtet und die Infrastruktur zerstört hat (Vgl. Kasten).

Edna Adan Ismail ist sehr schnell zur Überzeugung gelangt, dass sie für ihr Land handeln musste. «Mein Vater war ein anerkannter Arzt. Ich bewunderte ihn sehr. Ich hatte immer gehofft, auch so viel zu wissen, wie er, um ein Spital aufbauen zu können», sagt sie. Diesen Wunsch hat sie nie aufgegeben und ihn schliesslich 2002 verwirklicht.

«Ich habe mein ganzes Geld in dieses Projekt gesteckt. Ich habe Spendensammlungen organisiert und Unterstützung von lokalen Geschäftsleuten erhalten», sagt sie. Die Hindernisse waren allerdings nicht nur finanzieller Natur. «Ich bin eine Frau, und damals war ich schon älter als 60-jährig. Niemand traute mir zu, ein Spital zu gründen. Ich musste den Leuten beweisen, dass ich dazu in der Lage war», sagt sie mit kämpferischer Stimme, die jenen Menschen eigen ist, die sich nie geschlagen geben.

Phantom-Staat Somaliland

Somaliland erscheint nur auf gewissen Karten. Die internationale Staatengemeinschaft hat die selbsternannte Republik am Horn von Afrika nie anerkannt.

Das ehemalige britische Protektorat, proklamierte seine Unabhängigkeit erstmals am 26 Juni 1960. Fünf Tage später schloss es sich mit Italienisch-Somalia zusammen und gründete Somalia.

1979 sah sich Somaliland von der Regierung des somalischen Präsidenten Siad Barre in seinen Rechten beeinträchtigt. Eine nationale Bewegung Somalilands (MNS) rekrutierte Guerilla-Kämpfer und besetzte 1988 Hargeisa. Siad Barre reagierte mit einer blutigen Repression. Hargeisa wurde von der Luftwaffe des Regimes bombardiert. Die Bilanz war erschreckend: 50’000 Tote und fast 250’000 Flüchtlinge.

1991 wurde Siad Barre gestürzt. Im gleichen Jahr wurde die Unabhängigkeit Somalilands ein weiteres Mal proklamiert. Trotz der Nicht-Anerkennung des Staats durch die internationale Staatengemeinschaft gilt das Land von 4 Mio. Einwohnern als stabil.  

Die Macht der Traditionen

Die Ex-Ministerin musste sich auch mit den Grundzügen des Bauens vertraut machen und Personal rekrutieren. «Ich habe mit der Ausbildung von Hebammen begonnen, weil es entscheidend ist, kompetente Praktikerinnen zu haben.» Laut Edna Adan ist die Ausbildung das A und O. Das Unwissen der traditionellen Geburtshelferinnen erkläre zu einem Teil die hohe Müttersterblichkeit. «Oft sterben die Frauen an Infektionen, Blutungen oder anderen Komplikationen, die man leicht hätte behandeln können.»

2012 hat Edna Adan Ismail eine Universität gegründet, um die Ausbildung für das Gesundheitspersonal sicherzustellen. Sie schätzt, dass Somaliland 1000 qualifizierte Hebammen brauchen würde. Zurzeit gib es nur einen Drittel davon. Das Ziel ist es, dass diplomierte Fachkräfte ihr Wissen in ihrer Gemeinschaft weiter geben und schwangeren Frauen rettende Hilfe anbieten können. Nach wie vor haben viele Frauen in dem Land, in dem 60 Prozent Nomaden sind, nicht die Möglichkeit, sich in eine Klinik zu begeben.

«Die Frauen sollten für sich selbst entscheiden können.» Edna Adan Ismail

Die gut verankerten Traditionen behindern auch das Gesundheitswesen. Es könne immer noch vorkommen, dass eine Frau, bei der während der Entbindung Komplikationen entstünden, nicht in die Klinik gebracht werden könne, weil ihr Ehemann, der sein Einverständnis dafür geben müsse, abwesend sei. «Die Frauen sollten für sich selbst entscheiden können», fordert die Gründerin des Spitals.

Auf die Ausbildung der Kinder setzen

Die Verbesserung des Basiswissens und des Zugangs zur Ausbildung ist fundamental bei der Entwicklungszusammenarbeit in Somaliland. Alexander Schulze, Spezialist für globale Gesundheit bei der Schweizer Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA), teilt die Meinung von Edna Adan Ismail. «Wenn die Leute keine Kenntnis haben von einer Dienstleistung, können sie diese auch nicht beanspruchen. Deshalb muss man die Dorfbewohner über die Gesundheitszentren informieren, ihnen erklären, wie die Strukturen funktionieren, was diese kosten usw..» Laut Schulze sind private Projekte, wie jenes von Edna Adan Ismail wichtig für die Entwicklung des Landes, vor allem, wenn die Behörden nicht in der Lage sind, die Basisversorgung sicherzustellen. Man müsse auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene nach Lösungen suchen.

Die Situation in Somaliland sei sogar im Vergleich mit anderen Ländern Afrikas prekär, sagt der Spezialist für globale Gesundheit. «Wir sprechen hier von extremer Armut.» In gewissen Ländern Afrikas könne man eine Krankenversicherung anbieten. In Somaliland sei dies nicht der Fall. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung verfügt nicht über die notwendigen Mittel, um auch nur geringe Krankenkassenprämien zu bezahlen. «In einer solchen Situation muss man zuerst darüber nachdenken, wie man das Einkommen der Leute erhöhen und auf die Ausbildung der Kinder setzen kann. Wenn die Leute nicht schreiben und lesen können, sind sie kaum in der Lage, ein Geschäft aufzubauen», sagt Schulze.

Ermutigende Statistik

«Ich bin stolz auf mein Land. Ich schätze, dass es in diesem schwierigen Umfeld alles unternimmt, was es tun kann», sagt Edna Adan Ismail. Die Zahlen scheinen ihren Optimismus zu bestätigen. Präzise Zahlen gibt es zwar nicht für Somaliland, aber die jüngsten Schätzungen lassen einen Rückgang der Müttersterblichkeit für alle Regionen Somalias vermuten. Demnach ging sie von 1300 Todesfällen bei 100’000 Lebendgeburten im Jahr 1990 auf 850 Todesfälle im Jahr 2013 zurück (Quelle: WHO, Unicef, UNO-Bevölkerungsfonds, Weltbank).

Die politische Stabilität Somalilands sei ein Vorteil für die Zukunft des Landes, sagt Alexander Schulze. Und Edna Adan Ismail bedauert, dass ihr Land von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt werde. «Dieser Status gibt uns das Gefühl, ignoriert zu werden.»

Schweizer Hilfe am Horn von Afrika

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ist seit den 1990er-Jahren am Horn von Afrika tätig. Das Budget 2013-2016 beträgt für die ganze Region (Somalia, Äthiopien, Kenya, Eritrea und Dschibuti)  140 Mio. Franken.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ist in vier Bereichen tätig: Gesundheit, Nahrungsmittelsicherheit, Migration sowie gute Regierungsführung und Konsolidierung des Friedens.

Vor Ort arbeitet die DEZA hauptsächlich mit den UN-Organisationen, aber auch mit lokalen Organisationen zusammen. Im medizinischen Bereich führt die DEZA Projekte auf nationaler und regionaler Ebene durch, um die Gesundheit der Mütter und Kinder zu verbessern. Sie unterstützt insbesondere ländliche Schulen für die Ausbildung von Hebammen.

«Weil die Sicherheitslage in Somaliland besser ist als in den angrenzenden Regionen, ist der direkte Zugang zur Bevölkerung einfacher», sagt Gerhard Siegfried, Chef der Division östliches und südliches  Afrika bei der DEZA.

Dass der Staat Somaliland international nicht anerkannt wird, erschwert die Beziehungen der DEZA zu den Behörden des Landes. «Wir haben uns dennoch mehrmals mit den Führungskräften getroffen und mit ihnen gesprochen, weil wir der Meinung sind, dass es ihnen – im Vergleich mit anderen Regionen – gelungen ist, Staatsstrukturen zu schaffen und eine funktionelle Grundversorgung auf die Beine zu stellen», kommentiert Gerhard Siegfried.

 

(Übertragen aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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